Literatur

Khumalo schreibt über ein Drama im Ärmelkanal

"Bevor wir sterben tanzen wir" heißt ein neuer Roman des südafrikanischen Schriftstellers Fred Khumalo. Das lesenwerte Buch hat einen historischen Kern und rekonstruiert einen Schiffsuntergang im Jahr 1917

Von 
Manfred Loimeier
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Der Journalist und Schriftsteller Fred Khumalo lebt in Johannesburg. © Jörg Kandziora

Mit seiner Autobiografie „Touch My Blood“ über seine Jugend in einem südafrikanischen Township ist der Schriftsteller Fred Khumalo Anfang der 2000er Jahre bekannt geworden; den Literaturpreis der Europäischen Union hat er dafür bekommen, und auch seine folgenden Romane, Sachbücher, Jugendbücher und Erzählungsbände wurden immer wieder ausgezeichnet, etwa mit dem Alan-Paton- oder dem Nadine-Gordimer-Award. Nun liegt erstmals einer seiner Romane auf Deutsch vor.

Kollision bei Nebel und Sturm

Um 5 Uhr morgens am 21. Februar 1917 sank im Ärmelkanal das Schiff SS Mendi. Nebel und Sturm hatten die Sicht beeinträchtigt, und weil Krieg war, fuhr das Schiff mit weniger Beleuchtung und sehr schnell. Auch der Frachter Darro, der die SS Mendi rammte, war sehr schnell unterwegs, hatte nur wenige Lichter gesetzt und die Nebelhörner kaum bedient. An Bord der SS Mendi waren 823 Personen. 636 davon ertranken. Die wenigsten von ihnen konnten überhaupt schwimmen. Und fast alle von ihnen waren südafrikanische Kriegsfreiwillige, die sich zum Dienst innerhalb der britischen Armee gemeldet hatten: Zulu, Xhosa, BaSotho, Swasi und sogenannte Coloureds, Farbige.

Der Untergang der SS Mendi war ein tragisches Unglück mit langem gerichtlichem Nachspiel, begleitet von einer Vielzahl an Presseberichten. Von der „Black Titanic“ sprach man damals, und dennoch geriet dieses historische Drama in Vergessenheit.

Diesem Ereignis hat der südafrikanische Journalist und Schriftsteller Khumalo den Roman gewidmet, der unter dem Titel „Bevor wir sterben tanzen wir“ nun auch auf Deutsch erschienen ist. Khumalo hat sein Buch aber nicht als historischen Roman geschrieben, es liest sich vielmehr wie ein Krimi – und das mit voller Absicht.

Eingebettet ist das Drama des Schiffsuntergangs in eine Rahmenhandlung um den Protagonisten Jean-Jacques Henri in Frankreich. Der ist Kellner in einem Restaurant, und ein plötzliches Wiedererkennen im Jahr 1958 fördert die alte Geschichte um den Schiffsuntergang zutage.

Vorlage für ein Theaterstück

Khumalo nimmt das zum Anlass, um auch die Geschichte Südafrikas um die Wende zum 20. Jahrhundert zu illustrieren. Da geht es um den zweiten südafrikanischen Krieg zwischen Briten und Buren, um die rassistische Unterscheidung zwischen schwarz, farbig und weiß, um die afrikanischen Volksgruppen, die im Krieg der Europäer zerrieben zu werden drohen. Dramaturgischer Höhepunkt ist indes der Untergang der SS Mendi, dem sich einige der Kriegsfreiwilligen an Bord tanzend stellten, so wie es überliefert und belegt ist.

Für sein Buch hat Khumalo in Militär- und Zeitungsarchiven recherchiert, und er hat drei Monate in Nordfrankreich an der Küste bei Dieppe verbracht. Dort befindet sich nicht nur einer der Soldatenfriedhöfe mit den Opfern des Untergangs, dort fand er in Bibliotheken auch Aufzeichnungen und Briefe von Zeitzeugen. Auf der Grundlage dieses authentischen Materials formte Khumalo seinen spannend zu lesenden Roman, den Christiane Seidel mitunter etwas zu wortgenau übersetzte.

In Südafrika bekam Khumalo dafür den Literaturpreis des Instituts für Geistes- und Sozialwissenschaften, und eine südafrikanische Schauspielgruppe machte daraus ein Theaterstück, mit dem sie auch durch Großbritannien tourte. Kurzum: ein literarischer Höhepunkt, den der verdienstvolle Berliner Verlag InterKontinental nun auch der deutschsprachigen Leserschaft zugänglich macht und der eine kaum bekannte Facette aus der Zeit des Ersten Weltkriegs in Erinnerung ruft.

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