Manfred Loimeier, Journalist, Literaturwissenschaftler und leitender Redakteur dieser Zeitung, hat seine Beschäftigung mit Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah vertieft und systematisiert. Das Ergebnis liegt nun in Buchform vor und baut auf Rezensionen und früheren Interviews mit Gurnah auf. Es ist die erste monografische Darstellung zum Leben und Werk des aus Tansania stammenden, in Großbritannien lebenden Schriftstellers. „Ein Leben zwischen den Welten“ heißt der broschierte Band im Untertitel und fasst so ein wichtiges Charakteristikum des Autors zusammen, der vom afrikanischen wie dem englischsprachig-westlichen Kulturraum geprägt ist.
Romane bewegen sich immer in einer Art Zwischenwelt
Zum besseren Kennenlernen des 2021 mit dem angesehensten Literaturpreis geehrten Autors ist damit eine gute Basis gelegt. Wie schon in seinen Büchern über J. M. Coetzee und Ngugi wa Thiong’o schlägt Loimeier eine Schneise durchs Gesamtwerk anhand detaillierter Analysen der chronologisch abgehandelten Romane – von „Memory of Departure“ (1987) bis „Afterlives“ von 2020, der zwei Jahre darauf unter dem Titel „Nachleben“ in deutscher Übersetzung erschien. Mit einigen Abbildungen versehen, findet das alles auf 124 Seiten Platz, was das Buch durchaus handlich macht.
Auch für diesen Schriftsteller gilt, dass er zeitlebens eigentlich an ein und demselben Buch schreibt, von dem er immer neue Facetten veröffentlicht. Immer gehe es im Werk des 1948 auf Sansibar geborenen Autors, so Loimeier, um Exil und Heimkehr, Vertreibung und Ankunft, Integration und Ablehnung, Liebe und Verrat, verdichtet und exemplifiziert im Leben der Hauptfiguren und mit Verweisen auf die Weltliteratur. Und immerzu bewegten sich die Romane in einer Art Zwischenwelt, in der neben historischen Ereignissen auch Mythen, Legenden, Gerüchte und Erinnerungen eine Rolle spielten.
Gegenwart und Vergangenheit durchdringen sich. Insofern gilt: Wer einen Roman Gurnahs in die Hand nehme, „bekommt eine ganze Bibliothek“. Prägend für Gurnahs Schreiben ist seine Herkunft, denn Sansibar war, als der Autor dort aufwuchs, ein Schmelztiegel der Kulturen, wo sich der indische, arabische und afrikanische Raum begegneten. Das ist mit ein Grund dafür, dass auch Gurnah, der dann englischsprachige Literatur studierte und als Professor lehrte, eine Art von Weltliteratur schreibt. Was diese ausmacht, lässt sich durch Loimeiers lehrreiche und anschauliche Ausführungen gut nachvollziehen.
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