Literatur

David Grossman fordert „Mut zu einem ganz neuen Anfang“

Trotz Massaker und Krieg ist der israelische Schriftsteller und Friedensaktivist David Grossman überzeugt: „Frieden ist die einzige Option". So heißt auch ein neues Buch mit Aufsätzen und Reden von ihm

Von 
Frank Dietschreit
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Der israelische Schriftsteller und Friedensaktivist David Grossman. © A. Garcia/dpa

Wenige Tage nach dem 7. Oktober, als Terroristen die Grenze zu Israel überwanden, ein Massaker an Juden verübten und Geiseln nach Gaza verschleppten, schwankt David Grossman zwischen Entsetzen und Ohnmacht. Seit Jahren hat der israelische Autor sich gegen die Besatzung ausgesprochen, Frieden und eine Zweistaaten-Lösung angemahnt. „Was jetzt geschieht“, sagt er, sei ein „Alptraum“ und zeige „den Preis, den Israelis zu zahlen haben, weil sie sich jahrelang von korrupten Politikern verführen ließen“, die „das Justizwesen, das Erziehungswesen wie auch die Armee unterhöhlten (...), um den Ministerpräsidenten vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren.“

Doch bei aller „Wut auf Netanjahu, seine Leute und sein Vorgehen“ dürfe man sich „keiner Täuschung hingeben: Die Gräueltaten dieser Tage sind nicht Israel zuzuschreiben. Sie gehen aufs Konto der Hamas. Wohl ist die Besatzung ein Verbrechen, aber Hunderte von Zivilisten zu überwältigen, Kinder, Eltern, Alte und Kranke, und dann von einem zum anderen zu gehen und sie kaltblütig zu erschießen – das ist ein viel schwereres Verbrechen.“ Auch in der Hierarchie des Bösen gebe es eine Rangordnung. Die Hamas-Terroristen hätten ihr menschliches Antlitz zweifelsohne verloren. Israel, das weiß Grossman sofort, wird den Terror mit Krieg beantworten, und er vermutet: „Das Land wird nach dem Krieg sehr viel rechter, militanter und auch rassistischer sein.“

Ängstlich fragt er, ob die „winzige Chance auf einen wahren Dialog“ nun für Jahre auf Eis gelegt oder womöglich auf ewig eingefroren sei. Denn jedem, der die Spirale der Gewalt durchbrechen will, müsse klar sein: „Frieden ist die einzig Option.“ Was Grossman kurz nach dem „Schwarzen Schabbat“ formulierte, ist jetzt in einem Band mit Aufsätzen und Reden nachzulesen. Am 16. November fordert er in einer „Trauerrede für die Terroropfer“, den Hass zu überwinden und den „Mut zu einem ganz neuen Anfang“ aufzubringen. Grossman bleibt seiner Rolle als Friedensstifter treu. Bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz von 2017 wies er darauf hin, dass der unablässige blutige Konflikt die Beteiligten „dermaßen deformiert, dass sie ihren eigenen existenziellen Interessen zuwiderhandeln.“ Die Politiker flehte er an: „Ich bitte Sie, alles zu tun, was in Ihren Kräften steht, um die beiden Seiten zusammenzubringen und den Dialog zu erneuern, dem beide seit Jahren mit der seltsamen Logik der Selbstzerstörung aus dem Weg gehen.“

Dass seine Appelle nicht unumstritten sind, zeigt eine „Korrespondenz“ zwischen dem deutsch-iranischen Schriftsteller Navid Kermani und dem israelisch-deutschen Soziologen Natan Sznaider: Auf Kermanis Plädoyer für einen Frieden durch eine Zweistaaten-Lösung entgegnet Sznaider: „Wie kann denn so ein Palästina innerhalb von Gaza und Westbank funktionieren? Wie sollen sie denn in einem solchen Staatsgebilde leben?“ Da müsse fast automatisch das Begehren bei den Palästinensern frei werden, doch lieber alles haben zu wollen. Er sehe, so Sznaider, im Moment jenseits des Krieges keine Lösung und glaube nicht mehr an die Kompromissbereitschaft der anderen Seite. Der Terror werde weitergehen und auch die Reaktion darauf. Bittere Aussichten.

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