Geschichte

Das Anwesen der Familie Brentano: Ein Haus voller Geschichten

Das Brentano-Haus in Oestrich Winkel ist ein kulturelles Zeugnis der deutschen Romantik. In den Sommermonaten kann es besichtigt werden

Von 
Helga Köbler-Stählin
Lesedauer: 
Malerisches Zeugnis vergangener Zeit: das Brentano-Haus in Oestrich Winkel mit Rebengang und Wiese. © Helga Köbler-Stählin

Oestrich Winkel. Im Jahr 2024 jährt sich Goethes Besuch in der alten Heimat zum 210. Mal. Man schreibt das Jahr 1814. Der Dichterfürst und Politiker sollte am 28. August 65 Jahre alt werden. Seit geraumer Zeit gestattet ihm der Weimarer Herzog, in dessen Diensten Johann Wolfgang von Goethe steht, den Rückzug von staatlichen Ämtern. Dazu kommt, dass Napoleon am 6. April desselben Jahres abdankt und die politischen Verhältnisse eine längere Abwesenheit vom Hof erlauben. Von Juli bis Oktober nimmt sich Goethe Zeit. „Dichtung und Wahrheit“ ist mit dem dritten Band gerade abgeschlossen, der „Diwan“ bereits begonnen. Goethe will in diesen drei Monaten Besuche machen, Freunde treffen und seine süddeutsche Heimat bereisen.

Nun logiert der gebürtige Frankfurter im Rhein-Main Gebiet, was auch Antonie von Brentano erfahren hat. Flugs schickt sie ihm zehn Flaschen guten Wein und eine Einladung nach Oestrich-Winkel. Hier steht das stattliche Sommerhaus der Frankfurter Kaufmannsfamilie, dem Franz von Brentano, ihr Ehemann und Stiefbruder der Literaten Clemens und Bettine, vorsteht.

Ein Blick in das Zimmer im Brentano-Haus, in dem Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1814 nächtigte. © Helga Köbler-Stählin

Johann Wolfgang von Goethe wird kommen. Für ihn ist es eine schöne Tour entlang des Rheins, an der Rosenstadt Eltville vorbei. Und von dort aus ist es mit der Chaise nicht mehr weit. Seit seiner Jugend verkehren Goethes Mutter und die berühmte Schriftstellerin Sophie La Roche, die Großmutter der Brentanos, miteinander, seine Schwester Cornelia ist seit damals gar traute Freundin von Maximiliane.

Goethe bei einem Besuch im Hause Georg de La Roche verliebt?

Maxe, wie man sie nennt, ist La Roches älteste Tochter, ein vergnügliches Fräulein, hübsch anzusehen und hat, wie Goethe schreibt, „eine freie anmuthige Bildung“. Man munkelt, dass Goethe, der damals gerade sein Jurastudium mit Promotion zu Ende gebracht hat und kurz über zwanzig ist, sich bei einem Besuch im Hause Georg de La Roche, der Geheimer Rat und Regierungskanzler des Kurfürsten zu Trier ist, in sie verliebt haben könne. Doch selbst wenn das der Wahrheit entspräche, würde dessen Gattin, Staatsrätin Sophie La Roche nicht so einfältig sein, ihr Töchterchen mit einem Praktikanten am Wetzlarer Kammergericht zu vermählen.

Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren

Es ist die Zeit der „Werther-Periode“, aber wer kann jetzt schon ahnen, dass dieser junge Schreiberling einmal Berühmtheit erlangen wird. Da kommt eher der vornehme Herr Brentano (1735-1797) ins Gespräch. In Frankfurt führt dieser Pietro Antonio, auch Peter Anton genannt, ein weit verzweigtes und erfolgreiches Handelshaus. Dass er schon um die Vierzig ist, verwitwet und Kinder hat, wird man zu meistern wissen. Maxe (1756-1793) ist mit der Eheschließung einverstanden und wird die Gattin des angesehenen, aus Italien stammenden Kaufmanns. Sie ist noch nicht ganz 18 Jahre alt, als sie ihn 1774 heiratet. Die vierflügelige Anlage „zum Goldenen Kopf“, in der Frankfurter Großen Sandgasse, wird ab jetzt ihr Zuhause. Im Comptoir ist ein Kommen und Gehen. Diese Art von Umtriebigkeit ist Maxe nicht gewöhnt. Die junge Frau sucht die Ruhe im beschaulichen Elternhaus auf Ehrenbreitstein. Clemens Brentano ist am 8. September 1778 dort zur Welt gekommen.

Mehr zum Thema

Speyer

Fotokunst in Speyer: "Baukunst von Speyer bis Sydney" im Fokus

Veröffentlicht
Von
zg/ube
Mehr erfahren
Lampertheim

Schüler aus Spanien zu Gast

Veröffentlicht
Von
Rosi Israel
Mehr erfahren

Er ist der dritte Sohn aus der Ehe mit Peter Anton, aus der in 18 gemeinsamen Jahren 12 Kinder geboren werden. Doch 1793 stirbt Maximiliane mit nur 37 Jahren im Kindbett. Ihr Gatte ist verzweifelt, die damals achtjährige Bettine legt dem Vater die Hände auf den Mund, „damit er nicht so laut weint und klagt“. 1797, nach seinem Tod, sind noch 13 von insgesamt 20 Kindern des Vaters am Leben. Darunter ist Franz, der das Kaufmannsgeschäft und die Vormundschaft der Geschwister übernimmt. Auch Clemens und Bettine, die als Dichtergeschwister in die Literatur eingehen, gehören dazu. Bettine wird es sein, die sich an Goethe klammert und in ihrem Buch „Briefwechsel mit einem Kinde“ gesteht: „aber ich war schon im sechzehnten Jahr so von ihm hingerissen, dass, wenn man seinen Namen nannte, man mochte ihn loben oder tadeln, so befiel mich Herzklopfen“.

Eine Sitzgruppe im Salon des Hauses mit Blick auf die Gästezimmer: die Wohnräume können von Frühjahr bis Herbst besichtigt werden. © Köbler-Stählin

Sie himmelt den Weggefährten der Mutter an, reist nach Weimar, auch als sie schon mit Achim von Armin verheiratet ist, sitzt an Goethes Tisch und spöttelt über Christiane, dessen geliebten „Bettschatz“. Die Bürgerliche hat Goethe vier Kinder geschenkt, aber nur Sohn August, der Erstgeborene, wird überleben. Goethe braucht lange um Christiane zu seiner angetrauten Frau zu nehmen. 1806 ist es soweit. Die langjährige Geliebte, von der feinen Gesellschaft beschimpft und gemieden, ist legitimierte Frau Geheime Rätin von Goethe. Nach Wiesbaden, oder nach Oestrich Winkel, wird sie ihren Mann nicht begleiten. Mit den Brentanos hat sie nichts am Hut. Bettine, das Enfant terrible, hat in Weimar einen Affront ausgelöst und Goethes Gattin vor aller Augen als „toll gewordene Blutwurst“ beschimpft. Doch statt auf die fanatischen Liebesbeschwörungen des „Kindes“ einzugehen, verbietet der 57-jährige Dichterfürst Bettine endgültig sein Haus. Mit der „Tollhäuserin“ wolle er nichts mehr zu tun haben. Im „Brentano-Haus“ am Rhein schlafen die beiden zwar im selben Gästezimmer, gar im selben Bett, doch die Hausherrin Antonie sorgt dafür, dass sie sich nicht begegnen und beherbergt sie zu verschiedenen Zeiten.

Die historischen Räume sind bis heute erhalten

Die historischen Räume in Oestrich Winkel, um die sich viele solcher Geschichten ranken, sind bis heute erhalten. In den Sommermonaten öffnen sich die Türen für Besucher. Und wenn die derzeitige Gastgeberin Angela Baronin von Brentano durchs Haus führt, weiß sie einiges mehr zu berichten. „Goethe“, so erzählt die gelernte Kunsthistorikerin, galt als schwierig. „Seine Vergötterung hatte 1814 schon begonnen. Am frühen Morgen darf ihn niemand ansprechen. Beim Essen ist er blasiert. Das mag daran gelegen haben, dass er keine Zähne mehr hatte“, sagt sie schmunzelnd.

Der Mannheimer Morgen auf WhatsApp



Auf unserem WhatsApp-Kanal informieren wir über die wichtigsten Nachrichten des Tages, empfehlen besonders bemerkenswerte Artikel aus Mannheim und der Region und geben coole Tipps rund um die Quadratestadt

Jetzt unter dem Link abonnieren, um nichts mehr zu verpassen

Seit 1806 bewohnen die Frankfurter Brentanos das einstige Sommerhaus das ganze Jahr über. Und unter Franz’ Gattin Antonie, geborene Edle von Birkenstock, (1775-1851) wird das Domizil zum geistig-kulturellen Gesellschaftszimmer. Als ihr Mann (1765-1844) die Vormundschaft für die Geschwister übernimmt, übernimmt sie nach der Vermählung 1798 auch die Mutterrolle. Toni, wie man sie ruft, ist der Mittelpunkt der Familie. Die Möbel im „Brentano-Haus“ sind ein Geschenk ihres Vaters. Diese und die Teppiche auf den knarrenden Holzdielen gibt es heute noch. Auch der große Salon ist original erhalten. Nicht nur die zahlreichen Familienmitglieder, Goethe, die Gebrüder Grimm, die Freunde Achim von Arnim und Clemens Brentano, Bettine oder deren zeitweilige Freundin Karoline von Günderrode wie auch Ludwig van Beethoven fanden hier einen Ort der Geselligkeit.

Jetzt für MM+ Abonnenten: Das E-Paper am Sonntag



Für MM+ Abonnenten: Lesen Sie kostenfrei unser E-Paper am Sonntag - mit allem Wichtigen aus Mannheim und der Region, dem aktuellen Sport vom Wochenende sowie interessanten Verbraucher-Tipps und Reportagen. Das Geschehen in Deutschland und der Welt ordnen unsere Korrespondenten für Sie ein.

Hier geht es zum E-Paper - ab dem frühen Sonntagmorgen für Sie verfügbar

Sie haben noch kein MM+ Abo? Dann sichern Sie sich den MM+ Kennenlernmonat  

Der Salon der Brentanos im ersten Stock, wirbt der „Freundeskreis Brentano-Haus“, entwickelte sich zu einem Zentrum der Rheinromantik. „Morgens kommen wir alle aus unseren Gemächern im Saal zusammen“, schreibt Bettine. „Der Tag geht vorüber im launigen Geschwätz, dazwischen kommen Bruchstücke von Gesang... Und am Abend spazieren wir an den Ufern des Rheins entlang.“

Im Dezember 2014 verkaufen Udo Baron von Brentano und seine Frau Angela das stattliche Anwesen an das Land Hessen/Verwaltung der Schlösser und Gärten. Seitdem finden umfangreiche Sanierungsmaßnahmen statt. Die insgesamt fünf historischen Wohnräume des Hauses sind von Frühjahr bis Herbst für Besichtigungen zugänglich. Bei schönem Wetter stehen die Fenster offen. Darunter duften die Wiesen und Weinreben, gerade so, als sei die Zeit stehen geblieben.

Freie Autorin Studium: Journalismus, Medien- und Pressearbeit-PR

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke