Literatur

700 Seiten voller Sprachkraft Wolfgang Koeppens

Die Ausgabe seiner Feuilletons bestätigt die souveräne Sprachkraft des Schriftstellers Wolfgang Koeppen. Fast 30 Jahre nach seinem Tod sind die Texte jetzt gesammelt veröffentlicht worden

Von 
Erika Deiss
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Das Archivbild von 1991 zeigt den Schriftsteller Wolfgang Koeppen, der als einer der größten deutschen Erzähler der Nachkriegszeit gilt. © Ursula Düren/dpa

Um Wolfgang Koeppen ist es still geworden. Wäre nicht die 16-bändige Werkausgabe, die seit 2006 erscheint – der Autor fiele völlig in Vergessenheit. Geboren 1906 in Greifswald und gestorben 1996 in München, zeichnet Koeppen insbesondere für die Trilogie „Tauben im Gras“ (1951), „Das Treibhaus“ (1953) und „Der Tod in Rom“ (1954) verantwortlich, die das restaurative Wirtschaftswunderklima der Ära Adenauer einer nimmermüden Analyse unterwarf – sein nachkriegsliterarisch vehementer Durchbruch.

Aber dann? Wo blieb der große, epochale Zeitroman? – jahrzehntelanges Schweigen. Koeppen veröffentlichte kaum noch Belletristisches, nur einige Reisebücher. Jetzt also sind in der Werkausgabe als Band 13 Koeppens Feuilletons erschienen, ein 721 Seiten starker Band, der es in jeder Weise in sich hat. Man kann das Buch aufschlagen, wo man will, man ist sofort gepackt von Koeppens eminent luzider, atemlos geschmeidiger, bedrängend unberechenbarer Prosa, die sich ohne Punkt und Komma ganz dem Sog der mahlstromgleichen Sprache anvertraut.

Ein Katalog sämtlicher bislang zu ermittelnden Kritiken

Wie er sich überhaupt für nichts zu schade ist. Es gibt kein Thema (ausgenommen vielleicht Religion), das Koeppen nicht auf seine spitze Feder spießte. Unterteilt in „Abteilung I: Reportagen, Feuilletons, Abteilung IIa: Kritiken, Berichte zum Theater, Abteilung IIb: Kritiken, Berichte zur Literatur, Abteilung IIc: Kritiken, Berichte zum Film, Abteilung III: Anekdoten, Lokalberichte“ bieten Koeppens Feuilletons so ziemlich lückenlos den tagesaktuellen Episodenüberblick des herrschenden Kulturbetriebs der 1930er Jahre in Berlin und Greifswald ab, den er in kurzen, ja bisweilen kürzesten Notizen treffend zu Papier bringt.

Egal, ob prominente oder völlig unbekannte, heute längst vergessene Autoren, Künstler, Schauspieler und Sänger, Koeppen hext sie mit viel Witz in seine äußerst lesenswerten mustergültigen Notizen. Viel Kleinkunst, Zirkus, Kabarett gibt sich die Ehre. Ein Bildteil und ein Kommentar ergänzen die 615 Textseiten. Kein Bibliograf, so sagte Koeppen einst, werde je in der Lage sein, sämtliche Zeitungsbeiträge aus seiner Feder komplett aufzulisten. Jörg Döring, der Herausgeber des Bandes, hat das glänzend widerlegt.

Infolge seiner minuziösen Sichtung beinahe aller Druckmedien, in denen Koeppen je zu publizieren die Gelegenheit besaß, ist ihm ein Katalog sämtlicher bislang zu ermittelnden Kritiken von der minimalen Skizze bis zum halben Leitartikel, der auch schonmal Alltag oder Politik thematisiert, gelungen. Sie alle werden hier erstmalig nachgedruckt. So kann der Leser zwischen frechem Witz und tiefsinniger Nachricht über all jene Ereignisse, die seine aktuellen Umweltdaten ihm tag-täglich vor die Füße spülten, unterscheiden. Als die Signaturen seiner Zeit und Zeichen der beständig folgenden, als wissenswerte Nachricht eingestuften Fakten zeigen sie, wie ein blutjunger, schon bei seinen ersten Gehversuchen in der Welt des Schreibens gänzlich fertiger Jung-Literat sich ohne Netz und eitle Virtuosenmätzchen souverän und nachgerade enthusiastisch freischwimmt. Hier hat ein junger Journalist mehr als die Probe seines überragenden Talents gegeben.

Freier Autor Studium der Germanistik und Philosophie; Promotion in Philosophie. Rund zwanzig Jahre für den Rundfunk tätig: Musiksendungen, Features, Hörspiele und Rezensionen.

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