Mannheim. Überall Zeitenwende – aber die Toten Hosen (DTH) bleiben stabil. Wer bei den Düsseldorfer Punkrockern eine vor Energie nur so strotzende Rock-Party bestellt, der kriegt sie auch – wie seit 40 Jahren. Nur viel größer als zu Zeiten der Bandgründung 1982, als Campino, Breiti, Kuddel, Andi und Co. bei ihrem ersten Konzert zu Ostern im Bremer Schlachthof noch als die Toten Hasen angekündigt wurden. Mehr als 28 000 Fans strömen auf das Maimarktgelände.
Für das erste große Open Air in Mannheim seit Pandemiebeginn kein schlechtes Ergebnis. Beim letzten Mal waren 2018 30 000 Leute gekommen, 2013 auf dem Höhepunkt der „Tage wie diese“-Euphorie 40 000. Nur der Sonntag nimmt seinen Namen etwas zu wörtlich: 32 Grad im Schatten unter fast wolkenlosem Himmel sind theoretisch tolle Voraussetzungen für ein Freiluftkonzert. Praktisch gibt es auf dem Maimarkt keinen Schatten.
Respekt vor Kondition der Fans
„Willkommen in der Wüste“, ruft Campino also dem tapfer feiernden Publikum zu. Gegen Ende bringt er es noch mal auf den Punkt: „Riesenrespekt vor eurer Kondition: Wie ihr euch habt durchbraten lassen und uns immer noch zeigt, wer Herr im Haus ist!“ Da ist es nach 22 Uhr und die Bedingungen sind herrlich. Aber die absolute Mehrheit der 28 000 ist schon seit dem späten Nachmittag am Start. Denn die Düsseldorfer bringen auf ihrer Jubiläumstour wie schon 2018 Mini-Festivals an den Start. Das attraktive Vorprogramm eröffnet bei gleißendem Sonnenschein um 18 Uhr der Altmeister des deutschen Indie-Rock: Ex-Tomte-Sänger Thees Uhlmann räumt vor allem mit den Ohrwürmern „Avicii“ und „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ ab. Nach kurzer Umbaupause setzen die Deutschpunk-Kronprinzen von Feine Sahne Fischfilet noch mindestens einen drauf. Frontmann Monchi hat in der Corona-Pause zwar mehr als 60 Kilo verloren, aber nichts von seiner Durchschlagskraft. Schon der bläsergetriebene erste Song „Zurück in unserer Stadt“ reißt vor der Bühne alle mit. Die Jungs aus Vorpommern nutzen ihre Stunde mit einer viel kompakteren Vorstellung als 2018. Damals bestritten sie an gleicher Stelle das Aufwärmprogramm für die Hosen.
Das Programm
Erste Zugabe: 23. Helden und Diebe (1999) , 24. Schrei nach Liebe (Die Ärzte, von DTH 2012), 25. Zehn kleine Jägermeister (1996). 26. Schönen Gruß, auf Wiederseh’n (1990).
Zweite Zugabe: 27. Alles wird vorübergehen (2004), 28. Tage wie diese (2012), 29. Freunde (2004), 30. You’ll Never Walk Alone (Rodgers & Hammerstein, DTH 1996).
Dritte Zugabe: 31.Wort zum Sonntag („70 ist die neue 60, Ihr Lutscher!“-Version) (2022, Original 1986), 32. 2.Opel-Gang (1983), 33. Eisgekühlter Bommerlunder (1982).
Aufgewärmt werden muss an Hochsommer-Tagen wie diesen allerdings niemand. Als die Intro-Melodie „3 Akkorde für ein Halleluja“ ertönt, kennt der Jubel kaum Grenzen. Und die seit 1982 von unterhaltsamen Punk-Dilettanten zu einer wuchtigen Stadionband gereiften Düsseldorfer setzen alles noch mehr unter Strom: Das starke neue Stück „Alle sagen das“ funktioniert als Auftakt genauso wie der 20 Jahre alte Klassiker „Auswärtsspiel“ – natürlich erleben die Düsseldorfer in Mannheim das genaue Gegenteil.
Die Stimmung steigert sich noch mit den idealen Mitsingnummern „Altes Fieber“ und „Paradies“. Bei „Bonnie & Clyde“ müssen Teenager-Kinder vereinzelt ihre wild hüpfenden Väter einfangen. Spätestens mit dem Klassiker „Liebeslied“ rollt das Konzert wie ein Hochgeschwindigkeitszug. Dass es abgeht wie die Feuerwehr, signalisiert Campino, indem er vor „112“ einen Einsatzanzug der Düsseldorfer Floriansjünger überwirft – ein speziell mit Band-Emblem angefertigtes Geschenk zum Jubiläum.
Solche Gesten, Treue, Begeisterung und Textfestigkeit im generationenübergreifenden Publikum unterstreichen, wie fest verwurzelt die musikalische Volkspartei DTH im kollektiven Bewusstsein der Republik ist. Als die Band anfing, war noch Helmut Schmidt SPD-Bundeskanzler. Und über Führung musste nicht groß diskutiert werden. Heute zählen über Jahrzehnte erfolgreiche Musiker mit konstant eindeutiger Haltung, zum Beispiel gegen Rechts und pro Humanismus, zu den Instanzen, die Orientierung stiften. Wie Niedecken, Grönemeyer – und natürlich Campino. Das polarisiert auch. Genau wie der auch marktstrategisch visionär konzipierte Erfolg – speziell bei einer ursprünglich dem Underground verpflichteten Punkband. Doch: Dass die Hosen für die einen linksgrünversiffte Gutmenschen sind, für die anderen peinliche Altrocker, darf ihnen herzlich egal sein. Nicht nur wegen der enormen Resonanz bei ihren Konzerten (zehn von 19 Open Airs waren ausverkauft), sondern auch wegen der gesellschaftlichen Wirkung.
Denn geliebt werden die Hosen nicht nur für Stadionhymnen ohne Scheu vor Pathos oder Sauflieder wie die frenetisch gefeierten „Zehn kleine Jägermeister“ und „Eisgekühlter Bommerlunder“ (das Campino selbstironisch in der dritten und letzten Zugabe als „etwas Nachdenkliches“ für den Nachhauseweg ankündigt – „sozialdemokratische Laberer können eben nicht anders”). Sie werden auch für nachdenkliche, autobiografische Inhalte genauso gefeiert wie für politische: „Unter den Wolken“ kündigt Campino mit Blick auf unsere fragilen Zeiten an und betont: „Diese Scheißfreiheit ist nicht selbstverständlich, sondern man muss um sie kämpfen.“
Man darf aber auch feiern. Und so wird auf dem Maimarkt der 60. Geburtstag von Bassist Andi Meurer ausführlich begangen, der längst auch die vierte Saite seines Instruments zu nutzen weiß. Dass man in Mannheim trotz allem noch stimmungsvollere Hosen-Konzerte gesehen hat, muss man den Temperaturen zuschreiben.
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