Streaming-Konzertkritik

Nachhaltig schönes Konzert von Listentojules im Mannheimer Ella & Louis

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Julia Nagele alias Listentojules im Mannheimer Ella & Louis. © jpk

Mannheim. Kurzfristig für das Jermaine Landsberger Trio eingesprungen, aber alles andere als ein Lückenfüller: Mit Listentojules ist am Freitagabend eines der aktuell vielversprechendsten Mannheimer Musikprojekte per Stream aus dem Mannheimer Ella & Louis zu sehen und hören: in Duo-Besetzung mit der namensgebenden Julia “Jules” Nagele, Jahrgang 1991, und Gitarrist Florin Küppers. Jules ist eine profilierte Songschreiberin, Sängerin und Gitarristin mit drei Musikausbildungen, darunter ein Jazzgesangsstudium an der Mannheimer Musikhochschule und ein Master-Abschluss der Popakademie. 

Dass sie eine stilistische Grenzgängerin ist, merkt man selbst den sonnigen Anfangsstücken an: Sogar in funkigen Momenten gibt es keine 08/15-Taktung, ihr kräftiger, klarer Gesang swingt gekonnt, ohne klassisch jazzig zu sein - es wirkt wie ein Treffen von Keziah Jones, einer ambitionierter phrasierenden Des’ree mit Anflügen von Sinead O’Connor und viel Gespür für Halbtöne - eine oft faszinierende Mixtur, die altgedienten Sting-Fans genauso gefallen kann wie jungen Indie-Pop-Hörern. Auch erstaunlich, was für einen Grundgroove lediglich zwei Gitarren und eine Stimme auf der Bühne transportieren können - unter anderem dank der hohen Kunst des Timings und der Pausen. 

Blindes Verständnis

Der temperamentvolle Beginn spiegelt sich in der guten Laune der Protagonistin: “Ich freu mich voll, dass wir hier spielen können, dass wir endlich wieder Musik machen dürfen”, sagt die Wahl-Mannheimerin aus München zur Begrüßung. Mit Küppers versteht sie sich gesanglich und mit ihrer Gitarre blind. Kein Wunder: Vor acht Jahren begannen die beiden an der Musikhochschule zu studieren und zusammen Musik zu machen. 

Als dritte Nummer folgt der Titelsong ihres Debütalbums “Greenbird” aus dem Jahr 2018, inspiriert von den grünen und lautstark lebensfrohen Halsbandsittichen, die sich seit geraumer Zeit in der Region breitmachen. Eine träumerische musikalische Weltreise. Es folgt ein Blick in die aktuelle Werkstatt: “Movin’ Up” ist einer der sieben Songs aus den  “Listen2Jules”-Sessions, die am 25. Juni ganz nachhaltig als EP in Form eines Posterzines ohne physischen Tonträger aus recyclebarem Material entsteht. Fünf davon gibt es bereits als Stream oder YouTube-Videos, die in spannenden Mannheimer Locations aufgenommen wurden. Musikalisch relativ spontan, immer in wechselnder Duo-Besetzung mit Jules als Konstante. Nach dem Motto “7 Lieder - 7 Features - 7 Orte - 7 Raumakustiken - 7 One Shot Videos - 7 One Take Audios”. Zu den Gästen zählen unter anderem die ebenfalls aus München stammende Singer/Songwriter-Kollegin Henny Herz und Michael “Kosho” Koschorreck, Jules’ Gitarrendozent an der Popakademie. Zurzeit erarbeitet Listentojules auf der Basis dieses Materials ein komplettes Album, für das noch bis eine Crowdfunding-Kampagne läuft (Listentojules auf startnext.com). 

Zwischen den Musikwelten

“It’s Raining”, ursprünglich inszeniert mit Schlagzeuger Julian Losigkeit, perlt etwas jazziger daher. Mit “Kaleidoscope” folgt dann wieder eine beeindruckende Wanderung zwischen den musikalischen Welten - ein großartiger Song, der mit poetischen Mitteln unsere Umwelt- und Klimaprobleme zumindest ins Unterbewusstsein rückt.

Im Original von “Kaleidoscope” zaubert Söhne-Mannheims-Gitarrist Kosho seine typischen Klanglandschaften kongenial per Lapsteel in den Raum. Küppers begeht live nicht den Fehler, das imitieren zu wollen, sondern geht einen eigenen, fein verspielten interpretatorischen Weg. 

Wobei eigentlich der Gesang im Mittelpunkt steht. Und da hat Jules viele Register zu bieten, kann Tempi so ansatzlos wechseln wie die Klangfarben - von nahezu hell und glockenklar bis zu dunklem Timbre. Dazu singt sie schöne kluge Sätze wie Glück verdoppelt sich, wenn wir es teilen. Und neuerdings intensiv über Ökologie und Nachhaltigkeit. Aber sie belässt es nicht bei hübsch gesungenen Worten: Julia Nagele hat ihre Session mit der Baum-Pflanz-Aktion #plantatreesong im indonesischen Regenwald verbunden. “Kaleidoscope” sieht sie als “Reise zu den Lungen der Erde und widmet sich den globalen Waldbränden. Zusammen mit dem Team EcoProjectWane sammeln wir Spenden, um in Indonesien, welches den drittgrößten Regenwald der Welt beheimatet, Primärwald zu schützen und gerodete Flächen wieder aufzuforsten.”

Der Umwelt zuliebe habe sie sich dieses Mal auch gegen eine Veröffentlichung auf CDs und Vinyl entschieden, obwohl sie eine überzeugte Albumkünstlerin ist: “Stattdessen drucken wir ein Posterzine bei der Umweltdruckerei. Das Posterzine ist eine Mischung aus Magazin und Poster und enthält Bilder, Songtexte, kurze Infos und den Downloadcode der ,Listen 2 Sessions’”, erklärt Jules. Pro Exemplar gingen fünf Euro in die Aufforstung in Indonesien. Mehr unter www.listentojules.de/plantatreesong. Selbst die Dankeschöns der Crowdfunding-Aktion sind nachhaltig gedacht: Neben dem Posterzine, Grußbotschaften und Privatkonzerten gibt es vegane Kekse und Ableger für Zimmerpflanzen. 

Perfekt dosiert

Aber Listentojules beherrscht auch andere Gangarten: Sphärische Klänge eröffnen eine ungewöhnlich düstere Nummer mit der Hookline “Live Off The Dark”, in der jemand die Welt mit Schokolade viel zu dunkel malt. Einer der Glanzpunkte des Abends, von Küppers mit ganz feinem Strich zu einem atmosphärisch beeindruckenden Gesamtkunstwerk veredelt. Julia Nagele demonstriert einmal mehr, wie extrem präzise sie ihre Stimmdynamik dosieren kann und was eine enorme Wirkung die Wechsel der Intensität haben können. Beim gut gelaunten “Counting Sheep”  setzt das Duo wieder ganz andere, groovigere Akzente, die Schlussnummer zelebriert ebenfalls die Leichtigkeit des Seins. Ein runder, nachhaltig schöner Konzertabend.

Der kann noch bis Montag nachgeschaut werden. Karten gibt es ab 18 Euro unter ellalouis.de. Am Pfingstsonntag steht ab 16 Uhr der sechste Ella-&-Louis-Podcast geschmaXache bereit, diesmal mit De-Phazz Mastermind Pit Baumgartner als Gesprächsgast. Dafür ist eine Registrierung erforderlich. Modernen Vocal Jazz lässt Annette von Eichels Inner Tide am Pfingstmontag ab 20 Uhr hören.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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