Ludwigshafen. Ein vielfältiges und kontrastreiches Programm spartenübergreifender kultureller Highlights bieten die Festspiele im Pfalzbau Ludwigshafen. Zur Eröffnung dieser Veranstaltungsreihe, die noch bis zum 16. Dezember dauert, gastierten zwei Tanzcompagnien mit internationalem Renommee: Rosas aus Belgien und Gauthier Dance aus Stuttgart. Beide sehr unterschiedlich, geradezu gegensätzlich in ihrer Performance, zeigten somit die Spannweite der Möglichkeiten des modernen Tanzes.
Exit Above, After The Tempest, von der Choreographin Anna Teresa Keersmaeker inszenierte, führte zurück zu den Urformen des Tanzes, der menschlichen Bewegung, das Schreiten, Rennen, Laufen, das in sich Verharren und Erstarren in der Bewegung. Keersmaeker griff musikalisch auf Blues, Rock und Pop zurück, der Musik, mit der sie aufgewachsen ist, und engagierte zusätzlich zu den Tänzerinnen und Tänzern die Sängerin und Songschreiberin Meskerem Mees und den Gitarristen Jean-Marie Aerts. Sie mischten sich unter die Tanzenden und lieferten mit einfühlsamen Songs, von Maskerems zartfühlender Stimme vorgetragen, die musikalische Grundsubstanz für die feinen, wohlaustarierten, sich aus der Ruhe heraus bis zur Ekstase steigernden Bewegungen der 11 Tänzerinnen und Tänzer des Ensembles.
Bewusst anspielend auf Shakespeares Drama „Der Sturm“ sahen sich die Zuschauer des vollbesetzten Hauses mit einer Bühne konfrontiert, einer Insel im weiten Meer, wo, wie beim Original, Menschen gestrandet waren. Doch spann die Choreographin an dieser Stelle den Faden zum englischen Vorbild nicht weiter, sondern schlug die Brücke zu einem zweiten, weltberühmten Literaten, der das Thema Sturm behandelt hat, nämlich zu Walter Benjamin. Dessen „Engel der Geschichte“, der Böses ahnt, wird zitiert. Er warnt vor dem Sturm des Fortschritts, der alles mit sich fortreißt und zertrümmert. Mit einem gewaltigen Rauschen setzte an dieser Stelle eine Windmaschine ein. Der Tänzer, der in seinen bizarren Bewegungen tatsächlich an das Gemälde „Angelus Novus“ von Paul Klee erinnerte, auf das sich Benjamin in seiner Schrift bezog, wurde von jenem Bühnensturm erfasst und in die Weite des tiefen, aperspektivisch aufgebauten Raums geschleudert.
Auf eine tiefgründige Art und Weise holte der zweite Teil des Abends das Publikum in die Katastrophen der unmittelbaren Gegenwart zurück, denn es stammte von dem israelischen Choreographen Ohad Naharin: „Minus 16“. Die 16 Tänzerinnen und Tänzer der Gauthier Dance Compagnie beeindruckten das Pfalzbaupublikum durch die ausdrucksvollen Umsetzungen ganz unterschiedlicher Genres aus der Welt des Tanzes. Dabei erstreckte sich die Bandbreite ausgehend vom jüdischen Pessach Lied „Echad mi Yodea“ hin zu Formen des populären internationalen Gesellschaftstanzes wie Mambo, Tango und Foxtrott.
Zu letzterem begaben sich die Tänzerinnen und Tänzer sogar von der Bühne aus ins Publikum und baten zum Tanz. Das Spiel mit diesen, von einigen der so in Szene gesetzten Besucherinnen mit schüchterner Unruhe, von anderen mit selbstbewusstem Stolz angenommenen Rollen, schien überaus gewagt. Dass diese bizarre Mischung unterschiedlicher Tanzbewegungen am Ende dann aber doch ein stimmiges Bild ergab, spricht für die kollektive Integrationskraft der Tänzerinnen und Tänzer aus Stuttgart.
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