Kino

Survival-Drama der anderen Art: Willem Dafoe in "Inside"

In „Inside“ findet sich ein Dieb plötzlich gefangen in dem Luxus-Apartment eines Kunstsammlers, den er eigentlich ausrauben wollte. So wird aus einem Auftrag ein existenzieller Überlebenskampf

Von 
Gebhard Hölzl
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Grandiose One-Man-Show: Willem Dafoe als Nemo in „Inside“. © Wolfgang Ennenbach/Focus Features/dpa

Ein Mann auf sich alleine gestellt. Eine One-Man-Show. Das kennt man im Kino: Robert Redford auf einem havarierten Segelboot in „All Is Lost“. Tom Hanks gestrandet auf einer entlegenen Insel in „Cast Away - Verschollen“. James Franco beim Canyoning gefangen in einer Felsspalte in „127 Hours“. Nun kämpft Willem Dafoe ums Überleben. Im zweiten Spielfilm von Vasilis Katsoupis („My Friend Larry Gus“), zu dem der Regisseur gemeinsam mit Ben Hopkins („Die neun Leben des Tomas Katz“) das Drehbuch geschrieben hat.

Gemälde von Egon Schiele im Visier

Wie bei einem Heist-Movie setzt die Handlung ein. Mit einem Hubschrauberflug übers nächtliche New York. Das Geräusch der Rotoren ist zu hören. Ein Mann wird auf der Terrasse einer Penthouse-Wohnung abgesetzt. Kurz darauf ist er schon in den Räumlichkeiten. „Inside“, sprich „drinnen“, so der Titel des Werks. Einen klug geplanten Raubzug unter erschwerten Bedingungen erwartet man. Nervenkitzel, Spannung und Flucht in letzter Sekunde. Weit gefehlt. Denn dem Filmemacher steht der Sinn nicht nach einem prototypischen Gaunerstück, sondern einem existenziellen Überlebenskampf.

Willem Dafoe

  • Ob seiner kantigen Gesichtszüge und seines sardonischen Lächelns ist Willem Dafoe (67) unverwechselbar. Als Schauspieler ist er ein Grenzgänger, beim Arthouse ebenso zu Hause wie in Hollywood.
  • In rund 150 Kinofilmen hat er bislang mitgewirkt, viermal wurde er - für seine Parts in „Platoon“, „Shadow of the Vampire“, „The Florida Project“ und „Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit“ - für einen Oscar nominiert, 2018 wurde ihm der Goldene Ehrenbär der Berlinale verliehen.

Beim Hacken der Alarmanlage geht etwas schief. Nemo - der Name ist wohl Verweis auf den seelenverwandten monomanen Tiefseekapitän von Jules Verne -, ein professioneller Kunstdieb, sitzt fest. Das Sicherheitssystem des Appartements verriegelt alle Ein- und Ausgänge. Via Handfunkgerät kontaktiert der Ganove seinen Komplizen, bittet um Unterstützung. Doch der teilt ihm lapidar mit, dass er ihm jetzt nicht mehr helfen könne. Auf sich allein gestellt ist er nun - inmitten von Videoinstallationen, Skulpturen und der drei Egon-Schiele-Gemälde, die er im Auftrag eines unbekannten Kunden stehlen soll.

Das Smart-Home wird zur Vorhölle

Eine moderne Robinsonade. Ein Survival-Drama der anderen Art. Kurz kämpft Nemo mit der Verzweiflung. Flucht, wälzt sich im Bett, zappt sich durch die dysfunktionalen Programme des Monsterfernsehers. Dann rappelt er sich auf und überlegt, wie er dem goldenen Käfig entfliehen kann. Ein Oberlicht, hoch oben in der Decke des zentralen Wohnraums, scheint die einzige Möglichkeit, wieder in Freiheit zu gelangen. Aus Schränken, Betten und Stühlen baut er eine gewagte Konstruktion, die ihn in die schwindelnde Höhe bringt. Nun braucht er noch das entsprechende Werkzeug, um die Stahlmuttern zu öffnen. Mit seinem Taschenmesser schnitzt er sich aus Teakholz-Armlehnen Schraubenschlüssel ...

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Eine langwierige Angelegenheit. So hofft Nemo bald auf die Hilfe der Sicherheitskräfte und der Putzfrau des Wolkenkratzers, die er im Monitor der Überwachungskameras beobachten kann. Alternativ auf die Rückkehr des Hausherrn, der auf unbestimmte Zeit nach Kasachstan verreist ist, oder die Polizei. Vergebens - niemand kommt. Tage werden zu Wochen, Wochen zu Monaten. Der Luxus des Ambientes steht im harten Kontrast zum Mangel an Lebensmitteln und Wasser. Im High-Tech-Kühlschrank, der nach ein paar Sekunden Öffnungszeit mit dem Ohrwurm „Macarena“ zum Schließen mahnt, finden sich nur Cracker und Kaviar, zu trinken gibt’s lediglich Champagner und Hochprozentiges. Die Wasserhähne nebst Toilettenspülung sind abgesperrt, die Klimaanlage spielt verrückt, heizt auf 40 Grad auf, um dann wieder auf acht Grad abzukühlen. Das Smart-Home als Vorhölle.

Überlebenskampf und die Kunst

Ein raffiniertes Spiel, bei dem sich Reichtum in Not verkehrt. Die Hochsicherheitswohnung entpuppt sich als Hochsicherheitsgefängnis. Immer mehr verwahrlost der Held, versinkt in Müll und den eigenen Fäkalien. Der smarte Einbrecher verkommt zum physischen und psychischen Wrack. Erinnert sich, was ihm als Kind wichtig war: Sein Skizzenbuch, sein AC/DC-Album und sein Kater Groucho. Die Schallplatte hat er verliehen und nie mehr zurückbekommen, die Katze ist gestorben. Nur der Block ist ihm geblieben. Was ihn an seine wahre Leidenschaft erinnert. Das Malen. Fortan schafft er selbst Kunst. An den Wänden seiner unwirtlichen Umgebung.

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Eine dem Theater verpflichtete Arthouse-Performance, bei der zwischendurch räsoniert wird, ob „jeder Mensch eine Insel“ oder „kein Mensch eine Insel“ sei. Verkopfte, ungewohnte Unterhaltung, getragen vom souverän agierenden Dafoe. Der durchgeknallte Green Goblin von vier „Spider-Man“-Abenteuern mutiert zum Green Goblin der Kunstwelt. Dabei wird er von Steve Annis („Die Farbe aus dem All“) perfekt ins Licht gesetzt. Gleichzeitig gelingt es dem Kameramann, die klaustrophobe Enge des Schauplatzes zu nutzen und die Schönheit der Kunstwerke zu feiern.

Freier Autor Gebhard Hölzl, Print-/TV-Journalist, Autor und Filmemacher.

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