Albumreview Jazz

Erwin Ditzner und Co. zeigen, wie die Welt nach der Apokalypse klingen könnte

Das neue Live-Album „Ditzner/Luc Ex/Szafirowski“ verewigt Ausschnitte aus dem Carte-Blanche-Konzert des Schlagzeugers bei Enjoy Jazz 2020 in der Alten Feuerwache

Von 
Georg Spindler
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Schlagzeuger Erwin Ditzner hat bei jeder Auflage des Festivals eine Carte Blanche und kann ein Konzert völlig frei gestalten. © Frank Schindelbeck

Mannheim. So könnte sich die Welt nach einer Endzeit-Katastrophe anhören: überall musikalische Trümmer, Brocken und Bruchstücke; ein Durcheinander aus Klang-Fetzen, Geräusch-Splittern und Sound-Partikeln. Erwin Ditzner hat bei seinem Enjoy-Jazz-Konzert 2020 in der Alten Feuerwache Mannheim mit dem finnischen Gitarristen Mikael Szafirowski und dem holländischen Bassgitarristen Luc Ex ein gewaltiges post-apokalyptisches Klangszenario entfesselt.

Aufgenommen bei Enjoy Jazz 2020

Ausschnitte dieses Auftrittes dokumentiert der Ludwigshafener Schlagzeuger auf seinem neuen Album „Ditzner/Luc Ex/Szafirowski“, das auf dem rührigen Fixcel-Label des Neckarsteinacher Fotografen Frank Schindelbeck auf LP und CD erschienen ist.
Vermeintliches Tohuwabohu
Wer hinhört, wird in dem vermeintlichen Tohuwabohu einen hochintensiven Ideenaustausch entdecken. Wie blitzschnell da Einwürfe hin- und hergeschleudert werden, wie dicht die Interaktion vor sich geht, das ist schon außergewöhnlich, die Klangsprache, zwischen Noise und Free Jazz, freilich radikal. Die Gitarre kreischt, schnaubt und quietscht, der Bass gärt, brodelt und rumort düsterdunkel. Und Ditzner vernetzt die freien Kollektivimprovisationen reaktionsfreudig mit nervös vibrierenden Rhythmus-Geweben. Seine Meisterschaft im Erschaffen kleinteiliger, filigraner Perkussions-Texturen ist selten zuvor so eindrücklich dokumentiert worden.

Plötzlich tauchen Rock-Beats auf

Doch diese Musik verblüfft auch mit jäh auftauchenden, hart hämmernden Rock-Beats, überraschenden Groove-Sequenzen oder plötzlich aufblitzenden surrealen Slide-Gitarren-Effekten und Minimal-Music-Patterns. Melodien erklingen nurmehr als Ahnungen, nicht als Beschwörungen.
Extreme, kompromisslose Musik, deren Unbedingtheit wohl auch daher rührt, dass der Auftritt am Vorabend eines langen Lockdowns stattfand, der sich offenkundig wie ein Schatten über die Darbietung legte. In ihrer Endzeit-Ästhetik gewinnt diese Platte heute, in Zeiten von Krieg und Krisen, eine beklemmende Aktualität. Musiker können nun mal mitunter Entwicklungen, auch unbewusst, vorausahnen.

Erhältlich bei E-Mail
Die LP „Ditzner/Luc Ex/Szafirowski“ (Fixcel Records) kostet 25 Euro, die CD 15 – nur erhältlich direkt unter erwin@ditzner.de. Ein Release-Konzert findet am Samstag, 6. Mai, 20 Uhr, in der Reihe Ditzners Club im Wilhelm Hack Museum in Ludwigshafen statt. Mehr unter ditzner.de

 

Redaktion

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