Albumreview Rock

Andreas Kümmerts neuem Album sieht und hört man das Herzblut dahinter an

„Working Class Hero“ klingt vor allem auf (blut-)rotem Vinyl exzellent, wurde vom Art Director von Oasis gestaltet und enthält neben zwölf Eigenkompositionen erstmals auch „Rocket Man“

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Andreas Kümmert präsentiert sich als Sänger auf "Working Class Hero" vielseitig wie immer _ und noch etwas gereifter. © Thomas Berberich

Mannheim/Bad Dürkheim. Wenn man „Andreas“ bei Spotify eingibt, werden einem erstmal Gabalier und Bourani vorgeschlagen. Dabei hat Andreas Kümmert sogar die bessere Stimme als Letzterer, der schon mühelos die Mannheimer SAP Arena zum Tanzen und Weinen gebracht hat. Aber die erste Kommerz-Pop-Liga ist bekanntlich so gar nicht Kümmerts Welt. Das hört man seinem neuen Album „Working Class Hero“ auch an, das der Niederfranke am 13. April mit seiner Mannheimer Live-Band bei einem Quasi-Heimspiel im Capitol vorgestellt hat. Genau deshalb ist seine sechste Vollprofi-Produktion eine so gute Rock-Platte, die vor allem auf Vinyl exzellent klingt.

Live in Bad Dürkheim produziert

Mit wie viel Herzblut die 13 Songs in Stefan Kahnes Bad Dürkheimer Studio live eingespielt wurden, sieht man sogar: Die LP ist in einem warmen Dunkelrot gehalten. Im Kern von der Mannheimer Schlagzeug-Allzweck-Waffe Michael Germer, Kümmert (Gesang, Gitarre, Keyboards) und  Kahne (Bass, Gitarren), in dessen Studio-Wahlheimat schon Chako Habekosts Reggae-Platte einen erstaunlich authentischen Klang verpasst bekam. Die   Pandemie-Jahre nutzte Kümmert dort, um mit seinen beiden Mitstreitern intensiv am neuen Album zu arbeiten. „Ich habe mir immer gedacht, es muss ja weitergehen“, sagt er. Der intensiven Arbeit verdankt sich wohl auch der Albumtitel, der an Helden der Arbeit erinnert und nichts mit John Lennons Politsong „Working Class Hero“ zu tun hat. Es findet sich nicht mal ein Lied gleichen Namens.
Michael Menges fragte Oasis-Fotograf Brian Cannon an

Cover und Album-Artwork wurden von Brian Cannon gestaltet, Art Director von Britpop-Größen wie Oasis oder The Verve. © Brian Cannon

Auch das Album-Artwork ist etwas Besonderes und macht die Anschaffung der LP mit Klappcover lohnenswert. Auch wenn das Kernmotiv der drei Bilder, eine runtergerockte Arbeitshalle, auf den ersten Blick nicht wahnsinnig viel her macht. Aber schon die spielerische Komposition der Requisiten (Gitarrenkoffer, Verstärker, Lederjacke über Stuhl) regt an, mal nach dem Fotografennamen zu schauen. Und siehe da, hinter der gelungenen visuellen Gestaltung steckt Brian Cannon, der Fotograf, Art Director und Regisseur, dem die großen Stars des Britpop vertrauen: allen voran Oasis, aber auch The Verve, Ash, Suede oder Archive. Auf die Idee, den Iren anzufragen, kam Kümmerts Manager und Verleger Michael Menges: „Ich habe Brian angefragt, weil Andreas ein riesiger Britpop-Fan ist. Er hat irgendwann geantwortet und fand es interessant.“

Authentischer Retro-Rock-Gesang  

        

Der Mannheimer Musikverleger spielt auch eine kleine Rolle im Video zum Album-Opener "Leave The Radio On". Tatsächlich beginnt zumindest die erste Nummer mit Reminiszenzen an die Britpop-Ära der 1990er, obwohl man Kümmerts Gesang eher mit britischem Rock ab den späten 60ern à la Joe Cocker, Elton John oder den Faces assoziiert. Oder mit klassischen Hard-, Blues- oder Classic-Rock-Stimmen.  In all diesen Spielarten kann Kümmerts variable Retro-Rock-Röhre reüssieren. Eigentlich bekommt man mit ihm vier bis fünf Sänger zum Preis von einem. Und er ist als Performer insofern noch etwas gereift, als dass er seine enormen Möglichkeiten reduzierter einsetzt und nie kraftmeierisch demonstriert, was seine Stimmbänder zu bieten hatte.

Grönemeyers Keyboarder spielt „Rocket Man“

Dass das auch seine Reize hat, weiß jeder, der seinen Start-Ziel-Sieg bei „The Voice Of Germany“ 2013 verfolgt hat, die mit einer umwerfenden Version von Elton Johns „Rocketman“ begann. Da hat Kümmert voll aufgefahren, was Küche und Keller zu bieten haben – aber nie überkandidelt, dank einem offenbar eingebauten Geschmackskompass. Seine – nun etwas reduzierte – Version von  „Rocket Man“ erscheint auf diesem Album zum ersten Mal. Sekundiert übrigens von Herbert Grönemeyers Mannheimer Keyboarder Alfred Kritzer.  „Der Song ist einfach ein Teil meiner Geschichte“, sagt Kümmert. „Ich spiele ihn auch live und dachte mir, er hätte es mal verdient, auf einem Album zu landen.“
Die anderen zwölf Nummern stammen alle von ihm, Kahne und Germer. Und fast jede verbeugt sich auf LP-Seite 1 mehr oder weniger deutlich vor Rock-Ikonen und/oder großen Hits: Der Falsettgesang im munteren „Clown Song“ oszilliert zwischen „The Lion Sleeps Tonight“ und Canned Heat. „I Don’t Know“. „I Don’t Know“ zitiert kurz den Mr.-Big-Dauerbrenner „To Be With You“. „In My Bones“ beginnt beinahe wie ein Soundgarden-Kracher und anfangs scheint sich Kümmert hier kurz vor deren verstorbenen Sänger Chris Cornell zu verbeugen, bevor die treibende Nummer dem Groove den Vorzug vor der Grunge-Härte gibt.  Stimme und stimmige Produktion sorgen dafür, dass trotz hörbarer Einflüsse der eigenständige Charakter der Songs dominiert. „Hard Times“, das live im Capitol auch eine Gospel-Note hat, setzt einen fast spirituellen Kontrapunkt. Dann klingt die erste Seite mit der Ballade „Spaceship“ stimmungsvoll und mit leichtem Country-Appeal aus.

Zweite Seite rockt bluesig

Das LP-Format nutzen Kümmert und Co. gekonnt. Denn beide Seiten funktionieren auch, als wären sie jeweils ein Album. Der Sänger und seine Band zeigen sich in der zweiten Halbzeit als virtuose Wiedergänger der Bluesrock-Größen im Spektrum zwischen Bad Company und ZZ Top. Dass „In It For The Money“ und das großartige „Poor Boy Boogie“ mit seinem John-Lee-Hooker-Beat von einem Deutschen gesungen werden, kann man eigentlich kaum glauben. Die sehr gelungene, soulige Schlussnummer „Miracles“ mit dezenter Mick-Hucknall-Note passt zwar perfekt hinter „Rocket Man“, wirkt aber nach dem druckvollen Beginn ein wenig wie ein angehängter Radio-Hit. Trotzdem: Eine sehr hörens- und sehenswerte Platte.

Deren Songs, zumindest sieben davon, auch beim etwas kurzgehaltenen Auftritt im Capitol auf Anhieb funktionierten. Denn egal ob im Studio oder live: Andreas Kümmerts Stimme hat Weltformat. Seine Band bei der Präsentation des neuen Albums „Working Class Hero“ im Mannheimer Capitol mag komplett aus dem Rhein-Neckar-Delta. Aber Stefan Kahne (Gitarre, Produktion), Michael Germer (Schlagzeug), David Heiner (Keyboards), Asbjörn Gärtner (Bass) sowie die Background-Sängerinnen Jill Pappert und Selenia Gulino sind erstklassig, nicht Regionalliga. Deswegen war das knapp 90-minütige Konzert ein Fest guter, alter Rockmusik mit Blues-Grundierung, Funk- und Soul-Ausschlägen. Diese Show im zumindest „untenrum” voll besetzten Capitol ist offensichtlich ideal dimensioniert für den 36-jährigen Unterfranken, der nach seinem Sieg bei „The Voice Of Germany“ 2013 erst die dazugehörige Arena-Tour und 2015 den Start beim Eurovision Song Contest ausschlug. Aber bei halbvollen Clubs sollte es bei dieser Qualität nicht lange bleiben.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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