Hüttenthal. Es gibt Menschen, die auf dem Weg nach vorn in die Vergangenheit blicken. In einem kleinen Betrieb im beschaulichen Dörfchen Hüttenthal scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Statt verbissen in Innovationen zu investieren, lehnen sich Britta und Kurt Kohlhage entspannt in Traditionen zurück. Mit großem Erfolg: Die kleinste unabhängige Molkerei Hessens ist ein Riese in puncto Geschmack und Qualität.
Die Chefin strahlt, das Hoflädchen versprüht ursprünglichen Charme, und sogar die Ziegen auf der Wiese scheinen ein Lächeln anzudeuten. Im Mossautal, auf halber Höhe zwischen Darmstadt und Heidelberg, ist die Welt noch in Ordnung. Der kleine Ortsteil ist berühmt geworden, seit sich der Familienbetrieb den Erhalt heimischer Spezialitäten auf die Fahnen schrieb. "Mit der Globalisierung ist die Regionalisierung als Gegenbewegung gewachsen", sagt Britta Kohlhage. Regional orientiert war man schon immer, doch als Nische im industrialisierten Massenbetrieb funkelt kulinarische Retrokultur heute besonders hell. Im Jahr werden hier fünf bis sechs Millionen Liter Kuhmilch verarbeitet. Große Betriebe brauchen das an einem Tag.
Lose Landbutter
Die gemütlichen Hüttenthaler profitieren vom immer noch wachsenden Wunsch nach dem Authentischen, dem Ursprünglichen und Natürlichen. Das helle und übersichtliche Haus mit der maßgeschneiderten Anlage ist genau richtig. "Nein, wir wollen nicht wachsen", kommt Britta Kohlhage der entsprechenden Frage zuvor. Man fühlt sich wohl, wie man ist. Bewahren heißt das Ziel.
Im Hoflädchen geht ständig die Tür. Die Besucher kommen von weit her, um handgeschöpften Schichtkäse, reine Buttermilch und naturbelassene Vollmilch zu kaufen. Gern auch gezapft in den eigenen Behälter. Die Schlagsahne ist nicht wärmebehandelt und daher optimal schlagfähig bei hohem Volumen. Der Speisequark ist enorm ergiebig und zeigt eine feste Konsistenz bei hoher Trockenmasse - ein Segen nicht nur für anspruchsvolle Bäcker. Die Landbutter, die es auch lose zu kaufen gibt, stammt ebenfalls ausschließlich von Kühen, die frisches Weidegras genießen dürfen. Alles schmeckt nach früher.
Auch die Weichkäse, eine besondere Spezialität des Hauses. Die 14-tägige Reifung des Rotkultur-Käses erfolgt von außen nach innen. Der anfangs weiße Kern ist charakteristisch. Er zeigt sich jugendlich mild und mit zunehmender Durchreifung herzhaft-pikant. Neben einem hervorragenden Handkäse mit 20 Prozent Fettgehalt ist der 45-prozentige "Hüttenthaler" mit seiner cremigen Struktur der namhafte Promi der Kollektion. Ein vollendeter Rundling ebenfalls nach Münster Art. Rund 5000 Liter Ziegenmilch pro Woche fließen in einen handgeschöpften, aromatischen Frischkäse und werden als Weichkäse entweder natur oder als pikante Variante ("Kräuter-Zickli") verarbeitet. Ein feines Sortiment milder Schnittkäse ergänzt die Kollektion. Exot im Haus ist ein Sauermilchquark russischer Art, der im Auftrag eines Kunden hergestellt wird.
Zwanzig Mitarbeiter kümmern sich um das Schicksal der Milch, die von Landwirten aus der Umgebung stammt. Eine artgerechte Tierhaltung ist garantiert. Mit ihrem konsequenten Qualitätskurs und handwerklichem Können hat die Molkerei zahlreiche neue Fans gefunden. Konditoren und die Gastronomie schwören auf die Produkte des Betriebs, der seine eigenen Milchsäurekulturen pflegt.
Die weiße Ware lagert in zwei Rohmilchtanks à 30 000 Liter. "Gestapelt" nennt man das, wie Britta Kohlhage erläutert. In der Produktion herrschen penible Hygienevorschriften. Hier wird die Milch zu den original Hüttenthaler Spezialitäten weiter verarbeitet. Einen Liter braucht man für ein 100-Gramm-Käseröllchen. Im Reiferaum lagert der Käse bei 15 Grad etwa zwölf bis 14 Tage. Auf den Gittern warten die schmackhaften Minis auf das perfekte Entwicklungsstadium.
Die Ziegen beobachten jeden, der sich dem Hoflädchen nähert. Gleich neben der Wiese hat Britta Kohlhage einen idyllisch gelegenen "Milchgarten" eingerichtet. Eine Raststation, an der man die frischen Produkte des Hauses mit einem knusprigen Holzofenbrot aus Fürth-Linnenbach genießen kann. Allein oder in netter Gesellschaft. Und keine Angst: Der Truthahn vom Nachbarhof will nur auf einen kurzen Blick vorbeischauen.
Es stimmt schon: Wenn Odenwälder Milch so richtig altmodisch Karriere machen will, dann sollte sie nach Hüttenthal strömen.
Molkereilädchen
- Molkereiweg 1, 64756 Mossautal-Hüttenthal, Tel. 06062 / 2665-0
- www.molkerei-huettenthal.de
- Öffnungszeiten: werktags von 8 bis 17 Uhr, samstags von 8 bis 13 Uhr
- Hüttenthaler Spezialitäten gibt es in Käsefachgeschäften und Metzgereien, in Bäckereien, gut sortierten Lebenmittellläden sowie auf den Wochenmärkten an der Bergstraße, im Odenwald sowie in Weinheim, Viernheim, Mannheim und Ludwigshafen
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