Mannheim. Brauereigäule, die mit hohem Tempo durch die Planken galoppieren und Bier liefern - Walter Oberthür kann sich daran erinnern, dass er das als Kind erlebt hat. Und er weiß auch noch, wie ein Pferd mal den Kopf durch das Fenster steckte, als in der Nachkriegszeit eine Ladung Stangeneis kam. „Der Kutscher war eingeschlafen, er hatte wohl schon zu viel Bier getrunken“, erzählt er lachend. Da machte sich eben das Pferd, das den Weg schon kannte, selbst bemerkbar, um die Lieferung anzukündigen. . .
„Wirklich beeindruckend“, sagt Andreas Hiby-Durst, Geschäftsführender Gesellschafter der Eichbaum-Brauerei, da. Mit Gebietsleiter Hendrik Kießl und Marketingleiter Holger Vatter-Schönthal ist er zu Familie Oberthür gekommen, um eine große Urkunde zu überreichen. „100 Jahre ununterbrochene Geschäftsverbindung“ - das sei selbst für die 1679 gegründete Brauerei etwas ganz Besonderes: „Sie sind unser ältester, langjährigster Kunde“, hebt Huby-Durst hervor, denn seit 100 Jahren ist die Gastwirtschaft in D 6,18 nun im Besitz der Familie Berrar-Oberthür. „Ein gelebtes Beispiel von Nachhaltigkeit und Regionalität“, ergänzt Vatter-Schönthal, wozu die Brauerei ein eigenes Glas und einen themenbezogenen Bierdeckel aufgelegt hat.
Treffpunkt der Soldaten
Die Tradition geht freilich viel weiter zurück. Der 1632 gegründete „Ochsen“ in Feudenheim ist zwar älteste Gasthaus im heutigen Mannheim - doch er wird nicht 100 Jahre bis heute von einer Familie geführt.
Einen „Schwarzen Adler“ nennt ein Ratsprotokoll erstmals am 6. Februar 1677, wenn auch mit anderer Adresse: Im heutigen H 2,5 führt ein Hugenotte Jean Baptist de Latre „das Schildt Zum schwartzen Adler“. 1689 fällt es aber, wie viele Gebäude, dem Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) zum Opfer. Nach dem Wiederaufbau wird eine Gaststätte mit diesem Namen in R 3,1 geführt, nachgewiesen erstmals 1733 und wieder in Akten von 1748. Lange liest man dann nichts, bis 1857 das „Schildgerechtigkeit“ genannte Recht, ein Wirtshaus mit diesem Namen zu führen, auf ein Haus in D 6,18 übergeht.
Es ist auch während des Erbfolgekriegs von Franzosen niedergebrannt, zu Beginn des 18. Jahrhunderts wieder aufgebaut worden. Damals taucht bereits ein „Bierwirth“ in Protokollen auf. Im April 1731 erwirbt Kaufmann Johann Caspar Beuschel das Anwesen, der ab 1733 als Gastwirt an dieser Stelle genannt wird. Da lautet der Name allerdings „Zur Pauke“, später „Zur goldenen Pauke“ - denn gegenüber wird wirklich die Pauke geschlagen: C 6, wo heute die Friedrich-List-Schule ist, dient bis 1901 als Kaserne, erst für kurfürstliche Truppen, dann für das Badische Grenadier-Regiment. Die Soldaten sollen die besten Gäste gewesen sein.
Markthändler bewirtet
Zwischenzeitlich sei die Gastwirtschaft sogar „zur Schnaps- und Bierwirtschaft herabgesunken“ und für Militärs verboten gewesen, heißt es in einer alten Chronik. Jakob Böhler, der das Haus 1856 erwirbt, will damit jedenfalls nichts zu tun haben. Er lässt das alte, zweistöckige Anwesen abreißen, errichtet ein dreistöckiges Gebäude und bricht auch mit der alten Kneipentradition. Vielmehr kauft er von Jakob und Philipp Sperling den - zuletzt nicht mehr genutzten - Namen „Zum schwarzen Adler“ und beantragt bei der Stadt, ihn von R 3,1 nach D 6,18 zu übertragen.
Das wird ihm gewährt - und mit dem Namen ändern sich die Gäste: Kaufleute und Angehörige des Mittelstands, darunter viele über das nahe Rheintor aus der Pfalz kommend, sind seine Gäste. Bis 1875 ist Böhler als Wirt verzeichnet, dann folgt für 23 Jahre Michael Ottendörfer. In seiner Zeit dient der „Schwarze Adler“ als Sammelstelle für badische Auswanderer, die in Mannheim auf Schiffe auf den Rhein gehen, Richtung Rotterdam fahren und von dort aus in die USA.
Nach mehreren Besitzerwechseln sorgt ab 1922 Gastwirt Franz Berrar für Kontinuität. Er kommt aus St. Avold in Lothringen, wird durch den Ersten Weltkrieg vertrieben, landet in Mannheim, kauft das Lokal Gastwirt Harry Herrington ab und baut sich hier eine neue Existenz auf. Mit Erfolg: Weil sich seinerzeit gegenüber der Großmarkt befindet, darf er bereits um 3 Uhr morgens öffnen und die Markthändler bewirten. Urkunden darüber sind noch heute im Marchivum vorhanden und vom „Badischen Bezirksamt - Polizeidirektion“ ausgestellt.
Auf den Vordrucken steht auch das Wort „Großherzoglich“, aber es ist durchgestrichen - drei Jahre vorher war ja die Monarchie abgeschafft worden. Berrar muss, als er am 15. März 1922 die Wirtschaft als Geschäftsführer übernimmt, aber noch seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit „Preußen“ angeben.
Im Zweiten Weltkrieg gelingt es der Wirtin Lina Berrar, trotz schwieriger Zeiten, ständiger Bombenangriffe und Lebensmittelmangel den Betrieb aufrechtzuerhalten - bis das Haus am 1. März 1945, beim letzten Luftangriff, zerstört wird. Die Tochter des Gastwirts, Mathilde Berrar, die 1938 den Hamburger Kaufmann Walter Oberthür geheiratet hat, geht mit ihrer Mutter ab 1952 den Wiederaufbau an und schafft 1953 die Neueröffnung. Ab 1956 wird Mathilde Oberthür als alleinige Inhaberin geführt, ab 1966 von ihrem Sohn Walter Oberthür unterstützt.
Stadträte stoßen an
Der bringt nicht nur Erfahrungen von seiner Lehre als Koch in der französischen Schweiz und Stockholm mit ein, sondern auch seine aus Schweden stammende Frau Mary. Durch sie finden sich bis heute auf der Speisekarte Spezialitäten wie eingelegter Hering nach schwedischem Originalrezept. In den 1960er bis in die späten 1980er Jahre, als der Gemeinderat im Florian-Waldeck-Saal des Zeughauses tagt, ist der „Schwarze Adler“ Ort nächtlicher Gesprächsrunden. So sehr sie sich vorher öffentlich streiten - hier stoßen nach der Sitzung Stadträte aller Parteien an, dazu Vertreter von Verwaltung und Presse. Auch zum Mittagstisch sind in D 6 Mitarbeiter aus dem Rathaus E 5 anzutreffen, und manche Dinge lösen sich auf dem „kleinen Dienstweg“.
Die Wände zieren viele alte Stiche Mannheims. Dazu hängen, sorgfältig hinter Glas, einige der mehr als 1000 Korkenzieher, die Walter Oberthür gesammelt hat. Zum 2. Januar 2012 hat er den Betrieb an Sohn Christian übergeben, der nach einer Lehre im „Europäischen Hof“ in Heidelberg und der Küchenmeister-Ausbildung seit 2002 schon in D 6,18 hinter dem Herd steht und wie sein Vater auf gutbürgerliche Küche mit regionalen Gerichten setzt. Für den Service sorgt seine Frau Claudia.
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