Elfenbein in Erbach

Werkstatt des weißen Goldes

Von 
Fabian Busch
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Eine Rose aus Elfenbein wird in einer Werkstatt gegenüber dem Elfenbein-Museum in Erbach im Odenwald (Hessen) mit einem Spezialwerkzeug bearbeitet.

© DPA

Die Werkstatt ist lichtdurchflutet, es herrscht Konzentration. Ein halbes Dutzend Auszubildende sitzt an den Tischen, die Köpfe über die Arbeit geneigt. Ein genauer Blick auf das kleine Schmuckstück in der Hand, dann kommt die Feile zum Einsatz. Noch einmal schauen, noch einmal feilen. Wieder schauen, dann polieren. Wer hier sitzt, braucht Sinn für Feinheiten.Zwölf junge Menschen lernen derzeit am Beruflichen Schulzentrum des Odenwaldkreises in Michelstadt, um nach drei Jahren den Gesellenbrief als Elfenbeinschnitzer in der Hand zu halten. Elfenbein - das klingt nach Vergangenheit, nach einer Zeit, als der Mensch noch in großem Stil Elefanten tötete, um aus ihren Stoßzähnen Klaviertasten, Billardkugeln oder Schmuck zu machen. Und es klingt nach Wilderei.

Eigentümliche Verbindung

Wenn Helmut Jäger dagegen von Elfenbein erzählt, kommt er ins Schwärmen. "Es passt sich der Körpertemperatur an, es ist nicht so kalt wie Metall", sagt er. Und dann die Farbe. "Weiß ist die plastischste Farbe." Darin sehe man jede Kerbe, jede Rundung. Das "weiße Gold" ist so etwas wie Jägers Lebensaufgabe. Er restauriert in seiner heimischen Werkstatt selbst Ausstellungsstücke, außerdem gibt er als Lehrer sein Wissen an die Auszubildenden in der Berufsfachschule Holz und Elfenbein weiter. Heute kommt dort übrigens kein einziger Stoßzahn eines geschossenen Elefanten mehr zum Einsatz. Aber dazu später mehr.Der Odenwald und das Elfenbein: Diese eigentümliche Verbindung reicht zurück ins Jahr 1783. Franz I. zu Erbach-Erbach war auf der Suche nach einer Verdienstmöglichkeit für die Untertanen in seiner ärmlichen, abgelegenen Grafschaft. Und da Elfenbein in europäischen Herrscherhäusern schwer in Mode war, holte Franz I. das Handwerk in seine Heimat. Er stellte Material, Werkzeuge und Werkstätten zur Verfügung und schuf damit eine Branche, in der zur Blütezeit bis zu 5000 Menschen in der Region tätig waren und die die Städte Erbach und Michelstadt bis in die Gegenwart prägt. Auch wenn dort heute nurmehr eine Handvoll Menschen die Elfenbeinschnitzerei gewerblich betreibt.Das wohl einschneidendste Jahr für das Handwerk war 1989. Jahrzehnte und Jahrhunderte lang hatten Jäger bedenkenlos Elefanten in den afrikanischen Savannen niedergeschossen und die Dickhäuter an den Rand des Aussterbens gebracht. 1989 folgte eine Zäsur; in jenem Jahr wurde der Handel mit Elfenbein weltweit verboten. Für die Wildtiere war das eine gute Nachricht, für die Branche im Odenwald ein Schock. Der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer sei der "Totengräber der deutschen Elfenbeinschnitzer" -so zitierte das Magazin "Der Spiegel" 1989 einen Schnitzermeister aus Michelstadt.Helmut Jäger sah die Sache schon damals nicht so aufgeregt. "Ich habe gesagt: Wenn der Handel nicht verboten wird, stirbt der Elfenbeinschnitzer schneller aus als der Elefant." Denn ohne eine gesunde Population der Tiere hätte es auch kein Material gegeben. Der Schnitzermeister muss sich heute nur in seiner Werkstatt umschauen und die Lehrlinge zählen, um zu sehen, dass er recht hatte.Elfenbeinschnitzer ist zwar immer noch ein exotischer Beruf. Aber Jäger bildet heute mehr junge Menschen aus als in den 80er Jahren. Das Verbot des Elfenbeingeschäfts hat zumindest dem Ruf der Branche gut getan. Wenn die Azubis auf dem Weihnachtsmarkt ihre Produkte verkaufen, weist ein Schild zwar noch darauf hin, dass sie kein Elefanten-Elfenbein verwendet haben. Aber Anfeindungen und Unverständnis gebe es nur noch selten, sagt Jäger.Nachdem Elfenbein als Material weggefallen war, musste die Branche auf die Suche nach Ersatz gehen. Helmut Jäger packt einen Karton aus: lauter Anfertigungen, mit denen er zeigt, wie erfinderisch die Schnitzer dabei waren. Da ist zum Beispiel ein schmaler Torso in frischem Weiß. Das Material: der Knochen eines argentinischen Rindes. Ein kleiner, runder Elefant wurde aus einer Taguanuss gefertigt. Sie stammt aus Südamerika, getrocknet sind die Nüsse so hart wie Knochen. Auch Hirschgeweihe werden an der Schule verarbeitet. Die Eigenschaften dieser Materialien kommen denen von Elfenbein nahe. Aber sie haben eben doch nicht die gleichen Qualitäten.Bei der Suche nach dem besten Ersatz kam den Elfenbeinschnitzern der Klimawandel zur Hilfe. In Sibirien legt tauendes Eis die fossilen Überreste von Mammuts frei. Und so sind die, die die Stoßzähne von Elefanten verarbeitet haben, inzwischen zum größten Teil auf deren Vorfahren aus der Eiszeit umgestiegen. Das 10 000 bis 40 000 Jahre alte Mammut-Elfenbein ist etwas dunkler und spröder, kommt aber den Elefanten-Zähnen näher als jedes andere Material. Und da das tauende Eis in Sibirien immer mehr Mammut-Skelette freilegt, ist laut Helmut Jäger für Nachschub gesorgt.

Sich einlassen aufs Material

Natürlich hat das Ganze einen gewissen Preis. 500 bis 1000 Euro kostet ein Kilo Mammut-Elfenbein, je nach Qualität. Drei bis fünf Kilo verarbeite man in der Berufsfachschule pro Jahr, erklärt Jäger. Das Geld dafür erwirtschaften die Auszubildenden zum Teil selbst, wenn sie ihre Produkte auf dem Weihnachtsmarkt verkaufen.Helmut Jäger holt ein Stück Mammut-Stoßzahn hervor. Es sieht auf den ersten Blick aus wie ein altes, gebogenes Stück Holz. Die helle Farbe kommt erst unter der braunen Rinde zum Vorschein. Allerdings wiegt es deutlich mehr als ein gleichgroßes Stück Holz. Und es will anders behandelt werden. Weil der Rohstoff knapp und teuer ist, soll nicht viel Restmaterial anfallen. "Mein eigener Lehrer hätte mir dieses Stück gegeben und mich gefragt: Was siehst du darin?", erzählt Helmut Jäger. Das Rohstoff-Stück gibt die Form der Skulptur vor. "Man muss sich auf das Material einlassen und seine Form nutzen."So wie es Christina Gura bei einem kleinen Engel gemacht hat, den sie aus der Schublade ihres Werktisches holt. Die Auszubildende ist im dritten Lehrjahr, demnächst muss sie Vorschläge für ihr Gesellenstück machen, das sie dann - wie die anderen Auszubildenden in ihren Abschlussarbeiten auch - aus Mammut-Elfenbein herstellen wird. Da das fossile Material kostbar ist, üben die Lehrlinge zuvor mit allerlei Ersatzmaterialien. Derzeit arbeitet Christina Gura an einer Ballerina, die sie aus einem hellen, elfenbeinähnlichen Kunststoff schnitzt und die sich dann als Spieluhr auf eine Dose drehen soll. Die 27-Jährige ist Quereinsteigerin. Sie hat zuerst Fahrzeuglackiererin gelernt, wurde am Beruflichen Schulzentrum dann aber auf die Elfenbeinschnitzer aufmerksam. "Ich bin gerne kreativ", erklärt sie. "Außerdem liegt mir die feinmotorische Arbeit."Traditionell gehören Schüler mit Hauptschulabschluss zu den Auszubildenden, aber im Vergleich mit ähnlichen Handwerksberufen lockt die Ausbildung auch mehr junge Menschen mit höheren Abschlüssen an. Die Schule macht an rund 150 Realschulen und Gymnasien Werbung und ist stolz auf ihr exotisches Angebot. Nicht nur, weil es zur Wirtschaft der Region passt. "Wir sorgen auch dafür, dass junge Menschen aus dem ganzen Land hierher kommen", sagt Schulleiter Wilfried Schulz. Die Ausbildung sei in Deutschland, wahrscheinlich inzwischen sogar in Europa einzigartig.Die Berufsfachschule Holz und Elfenbein ist eine Vollzeitschule: Die Ausbildung findet nicht im Betrieb, sondern nur an der Schule statt. Die Lehrlinge schließen sie nach drei Jahren mit dem Gesellenbrief ab, besonders gute Absolventen werden auch zum Meister weitergebildet.

Sportplakette aus Knochen

Eher wenige Schüler machen sich danach als Elfenbeinschnitzer selbstständig. Viele nutzen die Ausbildung als Weiterbildung oder hängen ein Studium an. Die Schule will das Angebot stärker akademisch ausrichten. Seit kurzem kann man die Ausbildung zum Elfenbeinschnitzer mit einem Dualen Studium an der Berufsakademie in Hanau verbinden: Wer ein halbes Jahr mehr investiert, hat am Ende auch ein Bachelor-Studium absolviert.Von einem aussterbenden Beruf will hier deshalb auch keiner sprechen. Schließlich halten die Städte die Erinnerung an die Zeit des weißen Goldes hoch. Seit Anfang März hat das Elfenbeinmuseum im Schloss Erbach wieder nach der Winterpause geöffnet. Und in der Berufsfachschule wird auch die Sportplakette des Odenwaldkreises hergestellt. Zwar nicht mehr aus Elfenbein, aber aus Knochen. Helmut Jäger zeigt ein Exemplar: eine Medaille in der typischen cremeweißen Farbe. Vorzeigesportler des Kreises wie Tischtennis-Star Timo Boll haben davon eine im Schrank stehen.

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