Bienenwachs statt Plastik

Um umweltschädliche Verpackungen zu vermeiden, greifen immer mehr Menschen zu traditionellen Wachstüchern. Diese halten lange, lassen sich gut formen und wirken antibakteriell. Den Nachfrageboom bedienen kleine Firmen, die gerade sehr schnell wachsen.

Von 
Klaus Sieg
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Paol Gross gehört zum Gaia-Team, das zu einer plastikfreien Welt beitragen will – in kurzer Zeit ist das Unternehmen enorm gewachsen. © Martin Egbert

Am Horizont strahlen die schneebedeckten Alpengipfel, davor funkelt der Bodensee im Licht der Sonne. Rund um die Bienenkästen, die hier über die Wiese verteilt stehen, summt und brummt es wie auf einer Formel 1-Strecke. „Früher hatten wir 25 Bienenvölker, jetzt sind es noch 15.“ Rosemarie Jürgens blickt über die Wiese und nickt. Sie und ihre Tochter Angelika brauchen inzwischen viel Zeit für ihr junges Unternehmen Little Bee Fresh, mit dem sie Bienenwachstücher für die umweltverträgliche Aufbewahrung von Lebensmitteln herstellen. So oft wie früher kommen sie deshalb nicht mehr an diesen schönen Ort.

Dabei wäre ohne die Imkerei ihre Geschäftsidee wohl nicht entstanden. „Wir haben die Tücher anfangs mit dem ausgedienten Bienenwachs beschichtet, das wir in der Imkerei nicht wiederverwendet haben“, erklärt Angelika Jürgens.

Die Anregung dafür gab ein Tagebucheintrag von der Oma, in dem Wachstücher zum Einwickeln von Brot und anderen Lebensmitteln erwähnt wurden, sowie eine aufwühlende Dokumentation über Mikroplastik im Bodensee – dem Idyll vor der Haustür. „Wir dachten: Daran muss sich doch etwas ändern lassen!“

Einen Nerv getroffen

Also begannen Mutter und Tochter an einer Alternative zu Frischhalte- und Alufolien, Plastikdosen, Käseverpackungen, Brottüten und all den vielen anderen Wegwerfprodukten aus Plastik und Verbundstoffen zu tüfteln.

Es dauerte eine Weile, bis sie die richtige Mischung und Methode gefunden hatten. „Was ist schon dabei, haben wir erst gedacht.“ Angelika Jürgens lacht. „Was wirklich dabei ist, stellen dann die fest, die es probieren.“

Zunächst produzierten sie nur zu zweit unter dem Dach ihres Einfamilienhauses. Wenig später meldeten sie ein Gewerbe an und mieteten Produktions- und Lagerräume. „Es ging sehr schnell sehr steil bergauf“, sagt die gelernte Grafikerin.

Heute bearbeiten die beiden Frauen mit acht Angestellten um die 1000 Bestellungen pro Monat, von Endverbrauchern, die nur ein Set ordern, bis hin zu Firmen und Händlern mit großen Bestellungen. „Das sind im Schnitt monatlich 5000 bis 6000 Tücher, das Weihnachtsgeschäft nicht eingerechnet.“

Anscheinend haben Mutter und Tochter einen Nerv getroffen, in einer Zeit, in der sich auch viele andere Menschen über die Folgen von Plastik nicht nur in den Weltmeeren sorgen und nach Alternativen suchen. Der Erfolg ist aber ebenso dem einfachen und guten Produkt geschuldet.

Reparatur im Backofen

Die Wachstücher zum Einpacken von Lebensmitteln lassen sich formen und anpassen. Drückt man eines über den Rand einer Schüssel oder Box, um ein Stück Käse oder Obst und hält es eine Weile fest, wird das Wachs durch den Druck und die Wärme der Hände geschmeidig und passt sich der Form an. Und durch die Bienenwachs-Harz-Öl-Mischung haftet es. Etwas anderes zum Fixieren ist dann gar nicht notwendig.

Zu benutzen sind die Wachstücher viele Monate, wenn nicht sogar Jahre. Vorausgesetzt sie werden richtig behandelt, was vor allem heißt, sie nicht zu heiß und nur mit mildem Spülmittel zu waschen. Bei Beschädigungen kann man die Tücher im eigenen Backofen bei niedriger Temperatur ausbessern, weil sich dabei die Beschichtung neu verteilt. Und falls mal eines wirklich nicht mehr zu gebrauchen ist, lässt es sich vollständig kompostieren.

Die Tücher bestehen ausschließlich aus Baumwolle, Bienenwachs, Jojoba-Öl und Harz in Bioqualität. „Alle Zutaten sind zertifiziert“, erklärt Angelika Jürgens und öffnet die Tür zu der kleinen Produktionshalle. Es duftet wie in einer Kerzenwerkstatt. Zwei Mitarbeiterinnen stehen an einem Tisch und verpacken Wachstuchsets mit unterschiedlichen bunten Mustern. Neben einem Behälter zum Einschmelzen der Beschichtung stehen die Zutaten für die Produktion. Alle haben verschiedene Funktionen, die sich einander ergänzen: Das Bienenwachs hält die Feuchtigkeit in dem eingepackten Produkt, klebt nicht und wirkt dank seiner Inhaltsstoffe antibakteriell.

Trotz seines Duftes riechen die Lebensmittel nicht nach dem Wachs. Das Harz macht die Beschichtung haltbar und sorgt für die Haftung an den Lebensmitteln und an den Behältnissen. Und für die Verbindung der beiden Stoffe sorgt das sehr haltbare und geruchsneutrale Jojobaöl.

Längst können die beiden Unternehmerinnen ihren Bedarf an Bienenwachs nicht mehr aus der eigenen Imkerei abdecken. Sie kaufen es bei anderen, zertifizierten Imkern sowie bei Bienenwachs-Verarbeitern.

Geprüftes Bio-Bienenwachs ist ein begehrtes Produkt. „Wir beziehen unseres aus einem sozialen Projekt in Äthiopien.“

Auch das Unternehmen von Lucas Grunhold ist in nur wenigen Monaten enorm gewachsen. „Im letzten Jahr mussten wir drei Mal umziehen.“ In den neuen, 80 Quadratmeter großen Geschäftsräumen der Firma Gaia, die Grunhold zusammen mit seinen Freunden und Partnern Karla Janssen und Paol Gross betreibt, stehen Kartons mit 200 Kilogramm Bienenwachs, die gerade geliefert wurden. Es duftet nach Honig. Das passt zur guten Laune der Jung-Unternehmer. Auch Lucas Grunhold, der an der Leuphana Universität in Lüneburg Nachhaltigkeit studiert hat, begann zunächst in den eigenen vier Wänden mit der Produktion der Bienenwachstücher. „Zusammen mit meinem Bruder, in der WG-Küche auf einer Herdplatte“, erinnert er sich schmunzelnd.

Vom Hobby zum Unternehmen

2018 wurde aus dem Hobby eine Firma. Für den Start streckte der Vater etwas Kapital vor. Einen Businessplan gab es nie. Wichtiger ist den Unternehmern eine eigene Lieferkette, die ihren Ansprüchen genügt. Die Fairtrade Biobaumwolle stammt aus Kirgisien. Das Wachs lieferte zunächst eine Demeter zertifizierte Imkerin, bis deren Kapazitäten von dem Nachfrageboom bei Gaia überfordert waren. Zunächst bezog man die größeren Mengen von einem Händler in Österreich, der aber nicht alle weltweiten Herkünfte lückenlos nachweisen konnte. „Das hat uns nicht gereicht“, sagt Lucas Grunhold.

So suchte und fand man das Projekt in Äthiopien, bei dem 900 Jugendliche von der Straße in der Imkerei ausgebildet werden. Und nun steht eine Lieferung für 5000 Euro in der Ecke auf dem Bambusparkett ihrer neuen Räume in einem Gewerbegebiet im Hamburger Westen. „Das ist viel Geld für uns.“ Trotz des Booms zahlen die drei sich nur bescheidene Gehälter aus. Es gibt keinen Bankkredit im Hintergrund, dafür sehr viel Engagement. Zum Beispiel in Form von Workshops an Schulen. „Das Herstellen von Wachstüchern wirkt wie ein Türöffner, um mit den Schülern über Naturschutz und Nachhaltigkeit zu sprechen.“

Auch gibt es auf der Website des Unternehmens eine Anleitung, mit der sich jeder sein Wachstuch selber herstellen kann. Machen sie sich dadurch nicht unnötig Konkurrenz? „Uns ist es vor allem wichtig, dass weniger Plastik die Umwelt belastet.“ Paol Gross lächelt. „Wir vertrauen einfach darauf, dass die Nachfrage nach unseren Wachstüchern trotzdem anhält.“

Die Zahlen geben ihm recht: Gaia beliefert bis zu 2000 Endkunden pro Monat. Hinzu kommen Geschäftskunden und Organisationen, wie zum Beispiel eine Umweltstiftung, die 500 Sets für eine Betriebsfeier orderte.

Auf allen Ebenen gestalten

Nun ist man sogar in Verhandlung mit sehr großen Handelsunternehmen. „Wir wollen mit dem Produkt aus der Nische heraus“, erklärt Paol Gross. Auch dafür entwickelte das Team gemeinsam mit einem befreundeten Industriedesigner eine Maschine, die viele Meter Tuch in kurzer Zeit beschichten kann. So brauchen die Tücher nicht mehr per Hand bestrichen werden. Auch andere Hersteller von Wachtüchern haben so etwas, wollen aber nicht darüber sprechen, um das nachhaltige Image ihres Produktes nicht zu gefährden. Gaia setzt stattdessen auf Transparenz.

„Die Alternative wäre die Produktion der wachsenden Nachfrage im Ausland gewesen, das aber wollen wir nicht.“ Lieber probieren die drei Partner mit ihren Angestellten alternative Arbeitsformen aus, bei denen zum Beispiel jeder seine Arbeitszeit individuell gestalten kann.

Sie wollen etwas anders gestalten, auf allen Ebenen, und nicht nur ein nachhaltiges Image vor sich hertragen. „Heute kann doch jeder im Onlinehandel Bambuszahnbürsten mit seinem Firmenlogo bestellen – wir wollten von Anfang an mehr“, sagt Lucas Grunhold.

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