Weinheim. Mehr als viereinhalb Jahrhunderte haben diese Zahlen überdauert. 1537, als Paracelsus sein Hauptwerk vollendet hat und der Buchdruck in Europa noch keine 100 Jahre alt ist, steht in roten Sandstein gemeißelt über einem Kellereingang von Schloss Weinheim. Es ist das älteste bauliche Zeugnis, ziert einen Sandsteinbogen über einem halbrunden Holztor. Gleich daneben ist „Eingang C“ vom Weinheimer Rathaus, wo Hausmeister, Hausdruckerei und Kulturbüro sitzen. Heute nutzt nämlich die Stadtverwaltung das Schloss, wobei „d a s Schloss“ eine unzulässige Verkürzung darstellt. „Es besteht aus mehreren Teilen in verschiedenen Baustilen und aus verschiedenen Epochen“, sagt Andrea Rößler, Leiterin des Stadtarchivs Weinheim. Die Geschichte des Bauwerks nennt sie „komplex“.
Aber sie ist spannend und reicht viel weiter zurück als 1537. Bereits um 1250 gründet Pfalzgraf Ludwig II. neben der lange zum Kloster Lorsch und dem Bistum Mainz zählenden Siedlung eine neue Stadt und befestigt sie. Das heute noch bestehende Obertor, einst mit Zugbrücke und Falltor ausgestattet, geht darauf zurück. Umgeben ist das Tor lange von Adelshöfen des Ministerialengeschlechts Swende.
Den nördlichen Adelshof erwirbt Pfalzgraf Ludwig III. 1423. „Dadurch nehmen beide Teile eine völlig unterschiedliche Entwicklung“, so die Stadtarchivarin. In der Kurpfalz herrschen die Pfalzgrafen vom Stamme der Wittelsbacher seit 1214. Den Swendehof nutzen sie rund 100 Jahre. 1537 entscheidet Pfalzgraf Ludwig V., ihn abzureißen und ein neues Schloss in Weinheim zu errichten. Übereinstimmende Steinmetzzeichen belegen, dass hier die gleichen Handwerker tätig sind wie am zu jener Zeit ausgebauten Heidelberger Schloss.
Genutzt für die Jagd und für Geliebte
In Weinheim sei, so Rößler, „ein schönes kleines Schloss“ entstanden. „Die Pfalzgrafen haben es immer mal wieder für kleinere Aufenthalte genutzt, etwa zur Jagd, oder haben abgelegte Geliebte hier untergebracht“, sagt die Archivarin, etwa Margarethe von Leyen, „Die schöne Frau von Köln“ genannt und Geliebte von Ludwig V.. Ottheinrich von Pfalz-Neuburg lebt – auf der Flucht vor der Pest – zwischen 1547 und 1552 in Weinheim, bringt seine wertvollen Sammlungen mit und baut exotische Früchte an. Als Kurfürst sorgt er später von Heidelberg aus für die Einführung der Reformation in der Kurpfalz.
Regiert wird hier tatsächlich auch mal – aus traurigem Anlass. Der Pfälzische Erbfolgekrieg hat nämlich weite Landstriche und das Heidelberger Schloss verwüstet. Weinheim indes ist verschont geblieben. Kurfürst Johann Wilhelm und seine Gattin, Kurfürstin Anna Maria Luisa de’ Medici herrschen und verreisen daher 1698 bis 1700 von Weinheim aus, wenngleich sie die meiste Zeit in Düsseldorf leben. „Aber sie haben in Weinheim ihre Minister versammelt, Beamte hier untergebracht, auch die Heidelberger Universität“, so Rößler, die damals indes nur fünf Professoren zählt. „Richtigen Lehrbetrieb gab es wohl nicht“, entnimmt die Archivarin den historischen Unterlagen.
Schloss Weinheim
- Anschrift: Stadt Weinheim, Obertorstraße 9 69469 Weinheim.
- Auskünfte: Stadt Weinheim, Tourist Information, Marktplatz 1, 69469 Weinheim, Tel.: 06201/82610.
- Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag 10 bis 15 Uhr.
- Themenführungen: 9.11., 14 Uhr, „Elisabeth Auguste - Ein kurfürstliches Leben zwischen Lust und Leid“, 9.11., 15 Uhr, „Ottheinrich“, 17.11., 14 Uhr „Carl Theodor zum 300. Geburtstag“, 24.11., 14 Uhr, „ Kurpfalz - Glanz und Untergang einer Ära“, 30.11., 15 Uhr, „Ottheinrich“, 1.12., 14 Uhr, „Carl Theodor zum 300. Geburtstag“, 7.12., 14 Uhr, „Rund ums Schloss“, 21.12., 14 Uhr, „Rund ums Schloss“, 26.12., 14 Uhr, „Kurpfalz - Glanz und Untergang einer Ära“, Anmeldung bei der Tourist Information erforderlich.
- Anfahrt: Mit Bahn bis Bahnhof Weinheim/Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) , mit RNV Linie 5 bis Alter OEG-Bahnhof Weinheim.
- Parken: Nach Parkleitsystem D1 Parkplatz Schlosspark, D2 Parkplatz Rathaus/Schloss, D3 Parkplatz
Aber hier laufen die Verhandlungen des katholischen Regenten mit den protestantischen Reichsständen (die gegen die Wegnahme ihrer Kirchen protestieren). Die Kurpfälzische Münze prägt in jenen Jahren in Weinheim das Zahlungsmittel, und die Unidruckerei fertigt das „Kurpfälzische Landrecht“ , das bis 1803 Geltung behält, an. Und nicht nur das erinnert an diese wenigen, prägenden Jahre. An der Schlossmauer prangt noch immer das Allianzwappen des Pfalzgrafen und seiner Gattin aus der berühmten, reichen italienischen Familie. Doch ein großer, von ihm geplanter An- und Umbau geschieht „nur ansatzweise“, sagt Rößler, denn die Weinheimer reagieren eher abweisend auf die Anwesenheit der Regenten.
Aber ein paar prachtvolle Spuren, etwa Stuckaturen nach Entwürfen von Nicolas de Pigage, dem berühmten Mannheimer und Schwetzinger Schlossarchitekten, finden sich bis heute – inmitten von einem bunten Stilmix aus Renaissance, Barock, Neogotik und Jugendstil. „Hier ist alles drin“, erklärt die Stadtarchivarin.
Mit dem Ende der Kurpfalz 1803 geht der nördliche Teil des Schlosses an das Großherzogtum Baden über. 30 Jahre weiß es nicht so recht, was es damit anfangen soll, bis es sich zum Verkauf entschließt. Erwerber sind Albert Ludwig Grimm, Rektor der reformierten Lateinschule, Professor und Hofrat sowie Oberbürgermeister von Weinheim und Schriftsteller, zusammen mit dem Engländer William Booth. Sie richten die ersten Fremdenzimmer ein und legen damit den Grundstein für den Weinheimer Tourismus, aber verkaufen 1853 an Christian Freiherr von Berckheim. Bereits 1846 hatte er den südlichen Teil erworben.
Der ist bereits seit dem 16. Jahrhundert im Besitz der südhessischen Adelsfamilie Ulner von Dieburg, die ihn mehrfach an-, aus- und umbaut und ab 1725 das neue Schloss auf den Fundamenten des Vorgängerbaus errichtet. In der Ära von Kurfürst Carl Theodor, der 1742 bis 1778 in Mannheim regiert, fungiert Johann Wilhelm Franz Ulner von Dieburg als Obristküchenmeister, dann als Obristhofmarschall. Eine seiner drei Töchter, die er nach Carl Theodors Ehefrau auch Elisabeth Augusta nennt, verheiratet er mit Wolfgang Heribert von Dalberg, Intendant des Mannheimer Nationaltheaters. Diese Familie beherbergt in Weinheim dann kurze Zeit sehr prominenten Besuch: die Kurfürstin persönlich.
Elisabeth Augusta lebt zu dieser Zeit längst getrennt von ihrem Mann, der seit 1778 in München regiert. Meist hält sie sich in Mannheim oder Oggersheim auf. Zum Jahreswechsel 1793/94 flieht sie während der napoleonischen Kriege vor vorrückenden französischen Truppen aus Mannheim mit einem kleinen Hofstaat von 24 Angestellten und ein paar Soldaten des Leibregiments. Es sind die letzten Monate ihres Lebens. Noch am 3. August feiert sie ihren Namenstag, bekommt dann Durchfall, erleidet schließlich einen Schlaganfall. Einige Stunden nach ihrer letzten Ölung, am 17. August 1794, stirbt sie – sanft und betend, wie es damals heißt.
Trauerzug für die Kurfürstin nach Heidelberg
„Sie wollte noch ihr Testament ändern, aber Carl Theodor hat den Rechtsgelehrten zu spät losgeschickt“, weiß Andreas Rößler – wohl um zu verhindern, dass die ihm längst entfremdete Gattin irgendwelche Liebhaber mit Schmuck oder Erinnerungsstücken bedenkt. Was sie nach Weinheim mitgenommen und damit hinterlassen hat, wird von kurpfälzischen Beamten genau notiert: Porzellan, Juwelen, Rosenkränze, ein Mikroskop, Ölgemälde, Bücher, Spielkarten, eine große Menge Bargeld, ihre Tabaksdosen- und Schaumünzensammlung. Nur wo sie im Schloss gestorben ist, bleibt offen. Es gibt Berichte, es handele sich um das heutige Amtszimmer des Oberbürgermeisters, „aber genau weiß man es nicht“, so Rößler.
Überliefert ist indes detailliert, dass die Kurfürstin sich eine Einbalsamierung ihrer Leiche ebenso verbeten hat wie die – bei Wittelsbachern übliche – getrennte Bestattung von Herz und Körper. Bereits am 19. August wird ihr Leichnam ab null Uhr auf einem mit sechs Pferden bespannten Leichenwagen in einem Trauerzug im Fackelschein nach Heidelberg überführt, und auf dem Weg beleuchtet Graf von Wiser bei Leutershausen die Straße mit brennenden Pechkränzen. Außer Dragonern geben auch Weinheimer Bürger der Kurfürstin das letzte Geleit in die Karmeliterkirche. Ab 1805 ruht sie wegen der Auflösung dieses Heidelberger Klosters in der Münchner Jesuitenkirche St. Michael.
Ihre Wertsachen werden erst nach Mannheim, dann nach München gebracht. Bei allem Stolz, mal wieder eine Kurfürstin in ihrer Stadt zu haben, machen die Weinheimer nun auch Kosten geltend – etwa für die Unterbringung des Hofstaats. Für ihre Beherbergung werden dem Schlossbesitzer von Kurpfälzischen Hof 800 Gulden erstattet.
Bald nach Elisabeth Augustas Tod endet ein geheimnisvolles Kuriosum. Wenige Monate nach ihr, am 23. Februar 1795, stirbt im Weinheimer Karmeliterkloster neben dem Schloss Freiherr Karl Christian von Eberstein. Seit 1764 lebt er hier, strengstens isoliert, gefangen und darf nur in Gegenwart der Ehefrau und des Priors besucht werden. Offiziell gilt er als geisteskrank und ist untergebracht auf direkten Befehl des Kurfürsten, über drei Jahrzehnte ohne jedes Gerichtsurteil. Er soll, so heißt es, ein Verehrer von Elisabeth Augusta gewesen und gar mit einer Pistole in ihr Schlafzimmer eingedrungen sein. Was wirklich geschehen ist, weiß man nicht genau.
Skandale gibt es auch ein paar Jahrzehnte später. Besitzerin des Schlosses sind zu jener Zeit immer noch die Nachfahren der Familie Ulner von Dieburg. 1832 erbt Karl Theodor Freiherr von Venningen. Er lebt hier mit seiner Frau Jane Digby, Tochter von Admiral Digby, einem der Helden von Trafalgar. Bereits zuvor geschieden, ist die Britin ihrem Freiherren nicht treu, sondern beginnt ein Verhältnis mit einem griechischen Grafen. Später sagt man ihr noch eine Affäre mit König Otto I. von Griechenland nach, ehe sie einen Scheich in Syrien ehelicht. Der französische Schriftsteller Honoré de Balzac soll ebenso sehr verliebt in Lady Digby gewesen sein und daher Weinheim 1835 besucht haben.
Aber danach wird es ruhiger im Schloss. 1837 erwirbt Auguste Gräfin Waldner von Freundstein, verwitwete Freifrau von Berckheim, den Südflügel vom Ulner-Erben Karl von Venningen. Sie lebt 41 Jahre im Schloss, macht es zum Mittelpunkt gesellschaftlichen Lebens und hilft zugleich den Armen der Stadt. 1846 folgt ihr Sohn und Erbe Christian, der 1856 bis 1865 Räume an Carl Johann Freudenberg, Gründer der heutigen Unternehmensgruppe Freudenberg, vermietet und 1853 den Teil auf der Nordseite des Obertors dazukauft. „Damit hat das ganze Schloss wieder einen einheitlichen Eigner“, hebt Rößler hervor.
Geld genug ist da: Christian Freiherr von Berckheim steht als Staatsminister und Großhofmeister im Dienste des Großherzogtums Baden. Er erreicht in Verhandlungen mit der Schweiz, dass die badische Rheintalbahn über Basel fahren kann. Seine Familie zählt zu bekannten Industriellen, etwa als Inhaber der Dillinger Hütte, sowie Bankiers, denen das Handels- bzw. Bankhauses Schmalz in O 4,4 in Mannheim gehört. Das sieht man überall.
Ab den 1860er Jahren erweitert der Freiherr den Schlossgarten nach Osten, lässt ab 1872 weltweit Baumsetzlinge kommen und schafft so den bis heute berühmten Weinheimer Exotenwald. Aber auch in das Gebäude selbst investiert er gewaltig. Der 39 Meter Schlossturm und der Zwischenbau werden 1868 errichtet, nachdem der Freiherr den aus dem 18. Jahrhundert stammenden Kellereiflügel abreißen lässt. 1893 folgt eine weitere Umgestaltung, wobei das Turmzimmer und das heutige Trauzimmer entstehen.
Trauzimmer mit prunkvollem Gewölbe
„Hier gibt es 400 Trauungen jährlich, nur die Hälfte von Weinheimer paaren“, sagt Andrea Rößler, zähle das frühere Jagdzimmer der Grafenfamilie doch zu den fünf schönsten Trausälen Deutschlands. Überspannt von einem prachtvollen Gewölbe mit von Hand gemalten Verzierungen verfügt es über Wandmalereien und ein großes Gemälde mit den sinnbildlichen Titel „Erziehung des Amor“, der darauf seine Liebespfeile verschießt.
Im einstigen Festsaal und heutigen Sitzungssaal des Gemeinderats stoßen – unmerklich – die beiden Schloss-Bauteile von 1537 und 1868 zusammen. Prachtvolle Treppenhäuser, holzvertäfelte Räume, filigraner Stuck – trotz Stilmix weist der Bau eine repräsentative Pracht auf. Der Erste Bürgermeister sitzt in einem von üppigen Stuckaturen versehenen Raum im einstigen Torturm, in dem Kurfürstin Anna Maria Luisa de’ Medici geschlafen hat, die Abteilung Ratsdienste im kurfürstlichen Schlafzimmer. Noch feiner residiert der Oberbürgermeister, umgeben von Räumen mit grünen Seidentapeten bespannt und mit einem gusseisernen Kamin in einer Ecke. Er hat auch einen Balkon mit Aussicht in den Schlosspark.
Seit 1925 nutzt die Stadt Teile des Rathauses, zunächst als Mieter der Familie von Berckheim. 1938 entschließt sie sich zum Kauf des gesamten Schlosses, um „für alle Zeit“, wie Rößler aus dem Archiv zitiert, genügend Platz für die Verwaltung zu haben. Das hat nicht ganz geklappt. . . Aber immerhin ermöglicht der Kauf, dass der weitläufige Schlosspark seither für die Bevölkerung geöffnet ist. Der letzte Schlossherr, Philipp Freiherr von Berckheim, ruht im Mausoleum der Familie am Eingang vom Exotenwald. Als 1984 auch sein Sohn stirbt, stirbt zugleich das Adelsgeschlecht aus.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/erleben_artikel,-erleben-weinheimer-schloss-die-kurzzeit-residenz-_arid,2258864.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html