Untergang in Rauch und Flammen

Vermutlich Alamannen zerstören 352 nach Christus die spätrömische Siedlung Großer Berg. Ein Bürgerkrieg gibt ihnen die Möglichkeit dazu.

Von 
Klaus Backes
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Magnentius? Nur Althistoriker können etwas mit dem Namen anfangen. Und doch bringt dieser Mann um die Mitte des 4. nachchristlichen Jahrhunderts Tod und Verderben in die Gebiete links des Rheins. Am 18. Januar 350 lässt er sich in Burgund von unzufriedenen Offizieren zum römischen Kaiser ernennen. Der rechtmäßige Herrscher Constanz wird erschlagen, und der Usurpator setzt sich im weströmischen Reich durch. Doch Constantinus II., oströmischer Kaiser und Bruder des Getöteten, will das nicht akzeptieren. Bei Mursa (Kroatien) wird Magnentius 351 in einer der blutigsten Schlachten der Antike besiegt und zieht sich nach Gallien zurück, wo er nach einer erneuten Niederlage am 10. August 353 Selbstmord begeht. Er zählt zu den Kurzzeitkaisern, die Unheil über das ohnehin schwächelnde Römische Reich bringen. Und die 54000 gefallenen Soldaten von Mursa fehlen bei dessen Verteidigung.

Der Bürgerkrieg dürfte die Pfalz und andere Regionen westlich des Rheins hart getroffen haben. Doch zur kompletten Katastrophe kommt es, als die Alamannen 351 den Fluss überschreiten. Zunächst handeln sie vermutlich als Verbündete Constantinus II., doch bald gerät die Situation außer Kontrolle, und die Germanen verheeren die Region.

Nicht zum ersten Mal. Bereits um 260, nach dem Fall des rechtsrheinischen Limes, dringen germanische Plünderer in die Region ein. Damals entstehen unter anderem in der Pfalz, den Vogesen, im Hunsrück und der Eifel hunderte von mehr oder weniger stark befestigten Bergsiedlungen, wobei auch keltische Vorgängeranlagen genutzt werden.

Eine dieser Siedlungen, deren antiken Namen niemand kennt, liegt auf dem Großen Berg bei Kindsbach zwischen Kaiserslautern und Landstuhl. Eine von hunderten, aber die Anlage besitzt ein Alleinstellungsmerkmal: Sie ist die einzige zwischen Rhein und Ardennen, die fast komplett ausgegraben wurde – zwischen 1985 und 1989 unter Leitung des Archäologen Helmut Bernhard.

Fast 20 Jahre werden die Reste geplündert

Doch Oberstudienrat Lorenz Eckrich gebührt der Verdienst, die Anlage 1959 entdeckt zu haben. Seine kleinen Grabungsschnitte weisen eine die Gipfelfläche umziehende Ringmauer nach. Sie besteht teilweise aus abgerissenen Grabdenkmälern oder Mauerteilen römischer Gebäude. Auf diesem Fundament stehen vielleicht Holzpalisaden. Die Gefahr eines drohenden Angriffs macht wohl diese rabiate Vorgehensweise nötig, die nicht nur auf den Großen Berg beschränkt bleibt: Die Fundamente der Speyerer Stadtmauer bestehen ebenfalls aus solchen Spolien, wiederverwendeten Steinen, ebenso die Befestigung der Heidelsburg bei Waldfischbach.

Doch Bekanntheit zieht auch unerwünschte Besucher nach sich: Fast 20 Jahre lang plündern Unbekannte die Reste der Siedlung. Dies führt zu dem Entschluss, sie auszugraben. „Es drohte durch Raubgräber ein Totalverlust des historisch bedeutsamen Denkmals“, begründet dies Helmut Bernhard.

Dank der Funde und Befunde kann die Geschichte des Großen Bergs zumindest teilweise rekonstruiert werden. Felswände, zum Teil künstlich versteilt, bildeten ein wirksames Annäherungshindernis. Gräben sicherten leichter zugängliche Bereiche. Die erste Siedlung entsteht gegen Ende des 3. Jahrhunderts, die zweite etwa 50 Jahre später. Von hier aus haben die Bewohner eine großartige Fernsicht. Zudem verlaufen zwei wichtige Straßen in der Nähe. Die Toranlage in der Mitte der Südfront wirkt recht primitiv im Vergleich zu anderen römischen Wehrbauten. Das gilt auch für die kleinen hölzernen Wohnbauten, die wie Notunterkünfte aussehen. Repräsentatives wie Badegebäude, Kultstätten oder Verwaltungsbauten fehlt völlig. Dies alles legt die Vermutung nahe, dass nicht die römische Armee hier gebaut hat, sondern die Bevölkerung der Umgebung. Auch militärische Funde gibt es kaum: eine Lanzenspitze und eventuell einen Armeegürtel. Die anderen Funde wirken ebenfalls wenig spektakulär: Fibeln, Schnallen, Glasperlen, Ringe und Keramikscherben sowie Spuren von Metallverarbeitung belegen aber, dass der Berg nicht nur kurzzeitig besiedelt war. Das zeigt auch der in der Nähe gefundene Friedhof mit 90 Brandgräbern von Männern, Frauen und Kindern.

Doch entscheidend für die Datierung sind die Münzen. Über 1400 davon wurden entdeckt, ein Teil gehört zu drei Schatzfunden. Naturgemäß unbekannt bleibt die Zahl weiterer Münzen, die Raubgräber entwendet haben. Auffällig: Die Münzreihe bricht mit dem Jahr 352 ab. Prägungen des Magnentius, die ab August diesen Jahres in Umlauf sind, setzen den Schlusspunkt. Deshalb liegt eine Zerstörung der Siedlung Ende 352 nahe. Darauf deuten auch ein Vernichtungshorizont und Brandspuren auf einem großen Teil der Funde hin.

Wer hat die Siedlung auf dem 270 Meter langen und maximal 70 Meter breiten Plateau des Großen Bergs ausgelöscht, Alamannen oder in den Bürgerkrieg involvierte Römer? Auch hier bieten die Münzen einen Ansatz zur Lösung. Denn das Gros besteht aus Kupfer. Daran hatten die Germanen kein Interesse, wie Frank Berger in seinen Forschungen zur Varusschlacht schreibt: „Mit Kupfergeld wussten die Germanen nichts anzufangen, allenfalls konnten sie Denare als handliches Stück Rohsilber und somit als Tauschobjekt betrachten.“ Eroberer mit römischem Hintergrund hätten auch Kleingeld nicht verschmäht.

Schätze, Frauen und Kinder wurden verschleppt

Doch nicht nur die Anlage auf dem Großen Berg findet im Spätjahr 352 ein gewaltsames Ende. Auch die Münzreihen der Siedlungen Heidelsburg, Lemberg (bei Pirmasens) und Kreimbach (Nordpfalz) enden mit diesem Jahr. Als weiteres Indiz für eine Katastrophe gelten die vielen Münzschätze, die ihre Eigentümer nicht mehr bergen konnten. Der antike Schriftsteller Libanios beschreibt: „Die Alamannen machten wohlhabende Städte zu ihrer Beute, Landgüter wurden geplündert, Mauern niedergerissen, Schätze, Frauen und Kinder verschleppt.“ Kaiser Julian schreibt 361 von einer riesigen Landfläche, die verheert wurde und von einem „nach der Ausplünderung öde zurückgelassenen Niemandsland“. Manche Historiker sehen denn auch „eine einschneidende Zäsur für die Region“.

Etliche ihrer Kollegen zweifeln allerdings am Ausmaß der Zerstörung. Der Heidelberger Professor Christian Witschel: „Insgesamt ist die Zahl an Befunden, die sich mit Sicherheit Gewaltexzessen des mittleren 4. Jahrhunderts zuweisen lassen, ziemlich gering. Auf der anderen Seite neigt ein relativierender Ansatz eventuell dazu, zu viele aussagekräftige Befunde wegzudiskutieren und dadurch die Auswirkungen der ‘Magnentius-Wirren’ zu unterschätzen.“ Allerdings: Wenn wenig ausgegraben wird, gibt es wenig Befunde. Witschel weist auch darauf hin, dass nicht jeder Ort am Rhein Zerstörungsspuren aufweist. Dies gilt zum Beispiel für das stark befestigte Speyer und die Villa von Wachenheim. Wie dem auch sei: Erst Valentinian I. (Kaiser 364 bis 375) gelingt es, die Rheingrenze zu sichern. Zu spät für die Siedlung auf dem Großen Berg und deren Bewohner. Was geschieht mit den Menschen? Geflüchtet, getötet, versklavt? Niemand weiß es.

Redaktion

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