Spielplatz mit Geschichte

Rund 200 000 Besucher strömen Jahr für Jahr zum Felsenmeer im Odenwald. Die meisten kommen, um über die großen Steine zu klettern. Weniger Beachtung finden dagegen die Reste eines römischen Steinbruchs

Von 
Klaus Backes
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Lustig, anstrengend und nicht ganz ungefährlich: Schüler klettern im Felsenmeer. © Klaus Backes

Lautertal. Auf dem Parkplatz stimmt ein Lehrer seine Klasse auf das Felsenmeer ein und erzählt die berühmte Sage über dessen Entstehung. Demnach sollen sich zwei zerstrittene Riesen solange mit Felsen beworfen haben, bis einer darunter begraben lag. „Und wenn ihr über etwas stolpert, dann schaut, ob es nicht ein vermoderter Zeh des verschütteten Riesen ist“, scherzt der Pädagoge. Die Klasse wirkt motiviert und macht sich auf den Weg. Rufen und Gelächter zeigen bald an, wo die Jugendlichen gerade über die Felsbrocken klettern. Das will sich der Verfasser nicht antun und sucht nach einem Weg, der möglichst parallel zum Felsenmeer nach oben führt. Dicht daneben kämpfen sich die Schülerinnen und Schüler über die Felsblöcke oder dazwischen hindurch. Unwahrscheinlich, dass ihnen die Bearbeitungsspuren an den Steinen auffallen, die von Sägen oder von Spaltkeilen stammen. Die Gaudi steht im Vordergrund, ein Spielplatz mit Geschichte sozusagen. Trotz Beschilderung findet auch die Siegfriedquelle wenig Beachtung. Hier soll Hagen, ein Gefolgsmann des Burgunderkönigs Gunther, den Drachentöter Siegfried mit einem Speerwurf gemeuchelt haben. So überliefert es das berühmte Nibelungenlied aus der Zeit um 1200, das aber leider nicht den exakten Tatort angibt. Denn Siegfriedquellen gibt es mehrere im Odenwald. Heftige Querelen am Wormser Königshof sollen übrigens der Grund für den Mord gewesen sein. Doch für all das finden sich weder archäologische noch urkundliche Belege.

Die 9,33 Meter lange „Riesensäule” war wohl für den ersten Trierer Dom bestimmt. Einer Legende zufolge soll sie der Teufel höchstpersönlich dorthin getragen haben. © Klaus Backes

Mittlerweile sinkt der Geräuschpegel, denn die Schüler brauchen die Luft zum Klettern. Einige von ihnen verlassen das Felsenmeer und bewegen sich ebenfalls parallel dazu nach oben. „Bleiben Sie auf den Wegen!“, werden die Besucher auf Schildern aufgefordert. Verständlich, denn der Felsberg ist Naturschutzgebiet. Doch leider lässt die Beschilderung zu wünschen übrig, und viele suchen einen Pfad querfeldein. Es fehlt ein eindeutig gekennzeichneter Weg um das Felsenmeer, an den sich sicherlich das Gros der Besucher halten würde. Das Klettern über die Riesensteine unterliegt dagegen keinen Beschränkungen.

Römische Steinbearbeitung

Schließlich endet der von vegetationsfreie Teil der insgesamt einen Kilometer langen und etwa 50 Meter breiten Felswüste. Doch wo sind die berühmten Relikte der römischen Steinbearbeitung, die „Riesensäule“, der „Altarstein“, die „Pyramide“ und andere mehr? Vielleicht doch eher am Fuß des Felsenmeeres? Mühsamer Abstieg. Unten hat mittlerweile das Informationszentrum geöffnet. Hier liegen Flyer, die Wanderwege sowie die Standorte der Sehenswürdigkeiten auflisten. Ganz nah war ich dran, aber knapp daneben ist eben auch vorbei. Nochmals den steilen Anstieg absolvieren? Die freundliche Dame im Informationszentrum rät, einige Kilometer in Richtung Beedenkirchen hochzufahren und vom wenige hundert Meter vor dem Ort gelegenen Wanderparkplatz „Römersteine“ die Überbleibsel der antiken Steinbearbeitung direkt und fast ohne Steigung anzugehen. Ein guter Tipp, wie sich später herausstellt.

Anfahrt zum Felsenmeer

Anfahrt von Mannheim: Auf die A6 Richtung Frankfurt, am Viernheimer Dreieck auf die A67 Richtung Frankfurt. Abfahrt 9 auf die B47 in Fahrtrichtung Bensheim/Heppenheim. Von Bensheim auf die B47 in Richtung Lindenfels. In Reichenbach der Beschilderung folgen, links abbiegen bis zum Parkplatz Felsenmeer.

Entfernung von Mannheim: etwa 40 Kilometer

Infos: www.felsenmeer-informationszentrum.de. kba

Doch vor dem Aufbruch lohnt eine eingehende Besichtigung des Informationszentrums. Hier finden sich ausführliche Informationen über die Entstehung des Felsenmeeres. Im Schnelldurchgang: Das Gestein des 515 Meter hohen Felsbergs, zu dem das Felsenmeer gehört, besteht aus dem granitähnlichen Mela-Quarz-Diorit. Es entstand vor etwa 340 Millionen Jahren bei der Kollision von zwei Kontinenten. Über viele Millionen Jahre brachte die Erosion die Felsen aus etwa zwölf Kilometern Tiefe nach und nach an die Erdoberfläche. Das Informationszentrum erklärt auch den römischen Steinbruchbetrieb zwischen etwa 200 und 400 nach Christus und präsentiert Werkzeuge, die zwischen den Felsen gefunden wurden: Hacken, Spitzeisen für die Herstellung von Keiltaschen zur Spaltung der Steine, Eisenkeile und anderes. Beeindruckend: ein großes Modell zeigt, wie der Steinbruchbetrieb funktioniert hat. Ein mühsames und nicht ungefährliches Geschäft. Zwischen Parkplatz und Informationszentrum steht der Nachbau einer Steinsäge, für unsere Augen primitiv, in der Spätantike dagegen High Tech.

Seit 1972 Naturschutzgebiet

Nun der zweite Versuch, um zur Riesensäule und den anderen bekannten römischen Werkstücken zu gelangen. Und tatsächlich klappt es vom Parkplatz „Römersteine“ problemlos und mit wenig Mühe (Details siehe Infobox). Am Weg erinnert eine Tafel an die Wiederbelebung des Steinabbaus im 19. Jahrhundert. Böhmische Experten wagten 1879 den Neuanfang. Sie benutzten weniger die frei herumliegenden Felsen, sondern setzten auf Steinbruchbetrieb, da dieser Material von gleichbleibender Qualität lieferte. Ein Großteil der im Umfeld wohnenden Bevölkerung verdiente so fast ein Jahrhundert lang den Lebensunterhalt. Doch 1968 schloss der letzte Steinbruch, und seit 1972 zählt der Felsberg zu den Naturschutzgebieten.

Der „Altarstein” weist deutliche Spuren des Einsatzes der Steinsäge auf. © Klaus Backes

Nach etwa 20 Minuten steht oben eine Hütte. Laut Karte auf dem Flyer muss dort die Riesensäule liegen. Tatsächlich. Mit einer Länge von 9,33 Metern und einem Gewicht von rund 27,5 Tonnen gilt sie als das spektakulärste römische Werkstück am Felsberg. Sie wurde im 4. Jahrhundert aus dem Fels gebrochen und sollte vermutlich in einem Monumentalbau in Trier Verwendung finden. Denn Kaiser Konstantin der Große residierte von 306 bis 316 in der Stadt an der Mosel. Ein gigantischer Bauboom setzte ein. Auch unter Kaiser Valerian und dessen Söhnen diente die Stadt zwischen 367 und 390 als kaiserliche Residenz. Vier Dioritsäulen vom Felsberg kamen in einem Teilbereich des ersten Doms zum Einsatz. Eine zerbrochene Säule liegt noch heute vor dem Gotteshaus, der berühmte Domstein.

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Die Bruchstücke wurden 1614 bei Bauarbeiten im Boden entdeckt und an ihren heutigen Standort verbracht. Doch wie kamen diese riesigen Steine zum Dom? Wenn eine schlüssige Erklärung fehlt, muss die Sage weiterhelfen. Demnach grübelte der Architekt des ersten Doms darüber, wie er die benötigten Riesensäulen vom Odenwald nach Trier bringen könnte. Da kam ihm eine Idee: Er erzählte dem Teufel, dass die Säulen zum Bau des größten Wirtshauses benötigt würden, das die Welt je gesehen hätte. Der Höllenfürst kalkulierte, dass dort riesige Mengen Alkohol getrunken und als Folge unzählige Sünden begangen würden. Also willigte er ein und schleppte die Säulen herbei. Als er völlig erschöpft mit der letzten in Trier ankam, weihte der Bischof gerade den Dom ein. Wütend schleuderte der genarrte Teufel die Säule auf die Kirchenmauern, wo sie abprallte und zerbrach. Transportiert wurden die Säulen tatsächlich größtenteils per Schiff, vielleicht auf der Weschnitz, sicher aber über Rhein und Mosel. Heute dienen die Fragmente vor dem Dom als Sitzgelegenheiten und traditionell als Spielort für Kinder. Es soll auch Glück bringen, auf ihnen nach unten zu rutschen.

Große historische Bedeutung

Die am Felsberg befindliche, fast fertiggestellte „Riesensäule“ wies wohl Mängel auf und blieb deshalb zurück. Die hervorragende Infotafel daneben schildert ihr weiteres Schicksal. Demnach soll sie bis etwa 1640 aufrecht gestanden haben. Dann ließ sie der Reichenbacher Pfarrer umwerfen, weil er an einigen mit ihr verbundenen Bräuchen wie der Feier zur Frühlingssonnenwende Anstoß nahm. Vielleicht befürchtete der fromme Mann ein Wiederaufleben heidnischer Rituale. 1776 gab es auf Befehl des Kurfürsten einen Versuch, die Säule nach Mannheim oder Schwetzingen zu bringen, doch das Vorhaben scheiterte. Ärgerlich: Feiernde Jugendliche beschädigten 1980 die Säule, als das von ihnen entzündete Feuer ein Teilstück zum Abplatzen brachte. Etwa 200 Meter oberhalb liegt das wegen seiner Form „Altarstein“ genannte Werkstück. Es gilt als anschauliches Beispiel für den Einsatz der Steinsäge. Deutliche Spuren der Keiltechnik, bei der der Fels mittels eiserner Keile gespalten wurde, weist der „Pyramide“ genannte Monolith auf. In diesem Bereich muss das oder zumindest ein wichtiges Zentrum der römerzeitlichen Aktivitäten gelegen haben. Denn rund 200 Steine tragen Bearbeitungsspuren, am gesamten Berg etwa 300. Sie erwiesen sich als ungeeignet oder blieben nach Ende des Abbaus einfach liegen. Diese antiken Werkplätze gelten als einzigartig in Europa. Es gibt aber auch kuriose Felsgebilde wie die „Riesenschildkröte“, das „Krokodil“ und viele andere, für deren Entstehung die Natur sich verantwortlich zeichnet.

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Veröffentlicht
Von
Friederike Walter
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Die Existenz der römischen Werkplätze im 4. Jahrhundert ist für Althistoriker ein wichtiger Beleg dafür, dass rechtsrheinische Gebiete auch nach dem Fall des Obergermanischen Limes um die Mitte des 3. Jahrhunderts in das römische Wirtschaftssystem eingebunden blieben. Und nur ein stabiler Frieden zwischen dem Restimperium und den Alamannen ermöglichte aufwendige Aktivitäten wie den Steinbruchbetrieb.

Nachbau einer römischen Pendelsäge, die Felsen zerschneiden konnte. © Klaus Backes

Wer nicht nur den Abenteuerspielplatz sucht, sondern auch Neugier auf die von Menschen und Natur geschaffenen Besonderheiten des Felsbergs mitbringt, wird einen kurzweiligen Tag erleben.

Redaktion

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