Von Eva Baumgartner
Es ist eine atemlose Schnitzeljagd, auf die Marilu ihren Bruder Lasse und Freundin Elli schickt. Es geht um Leben und Tod, denn Elli, die vor zwei Jahren mit Marilu in einer Mannheimer Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht war, erhält einen Hilferuf: Marilu will das Leben testen. Und Lasse und Elli müssen das Mädchen finden, bevor es sich was antut.
Zwei gebrochene Seelen
Bei der digitalen Buchpremiere der Stadtbibliothek Mannheim liest Tania Witte nicht nur aus vollem Herzen aus „Marilu“: Die Spoken-Word-Performerin spricht mit dem ganzen Körper: Gesicht, Hände – alles arbeitet mit, bringt den rund 100 Personen und Familien, die sich zugeschaltet haben, die Protagonisten des Buches ein Stück näher.
Der Roman, an dem die „Feuergriffel“-Preisträgerin des Mannheimer Stipendiums für Kinder- und Jugendliteratur im Jahr 2019 gearbeitet hat, ist ein Coming-of-Age-Roadtrip: Marilu leidet an einer bipolaren Störung, Elli an Burnout. Zwei gebrochene Seelen, die zusammen Halt suchen, diesen aber nach ihrem gemeinsamen Aufenthalt in der Klinik „Sonnenblick“ verlieren. Bis Elli den Brief von Marilu bekommt, den Startschuss für einen Wettlauf gegen die Zeit – durch Mannheim, den Odenwald, Frankfurt und Berlin.
Die Autorin blickt auf dieser Reise tief in ihre Charaktere, erfasst die jungen Leute in einer Feinheit, die alle Facetten ihres Inneren offenlegt: Es sind Menschen, die Ängste überwinden, die lernen müssen, das Leben zu lieben – und auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden harte Prüfungen bestehen müssen. Als Journalistin hospitierte Witte für das Buch am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI): „Das hat mich enorm berührt, was ich da gesehen habe“, erzählt sie. „Und Mannheim spielt für mich eine besondere Rolle, hier spielen alle Klinik-Szenen, hier wohnt Elli. Diese wunderschöne Stadt und das ZI haben mich total beeinflusst.“
Tania Witte arbeitet gern mit schwierigen Themen, in ihrem Buch „Die Stille zwischen den Sekunden“ ist es ein Bombenattentat in der U-Bahn. Auch in „Marilu“ ist es keine leichte Kost, die sie ihrem Publikum – jungen Menschen ab 14 und Erwachsenen – serviert. Es geht um Depressionen, Suizid, Selbstverletzung. Themen, die in Pandemie-Zeiten wichtiger werden: Denn immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter psychischen Problemen. Sensible Menschen warnt sie vor der Lektüre, rät ihnen, sich Hilfe zu holen. Doch an keiner Stelle arbeitet sie mit erhobenem Zeigefinger. Ihr Roman ist spannend, hat eine Wucht, die es schwer macht, ihn zur Seite zu legen.
Am Ende lässt Witte ihre Leser mit wichtigen Fragen zurück: Was ist gesund, wann ist jemand psychisch krank? Wie leben Familien mit Menschen, die an manchen Tagen „in einem dauerschwarzen Dauerwinter im Nirgendwo“ leben und an anderen in einem Disneyfilm? Wenn es „nie ein Dazwischen, nie ein Normal“ gibt? Auch für Tania Witte ist derzeit nichts, wie es vor Corona war: „Es gibt keine Buchmessen oder Literaturfestivals. Und es ist mein zweites Buch, das während der Pandemie erscheint, ein schwerer Start.“
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