Zeitreise

Nofretete - schön seit drei Jahrtausenden

Vor 110 Jahren wird im Sand am Nil die Büste der ägyptischen Königin Nofretete entdeckt. Zunächst steht die antike Skulptur im Haus ihres Besitzers James Simon in Berlin – bis dieser sie dem Ägyptischen Museum schenkt. Bis heute zieht sie die Besuchermassen an.

Von 
Konstantin Groß
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Darstellung von zeitloser, ja moderner Ästhetitik: Büste der ägyptischen Königin Nofretete, seit 2009 im Neuen Museum von Berlin zu bewundern. © Staatliche Museen Berlin

Es ist der 6. Dezember 1912 im ägyptischen Amarna. Am Mittag entsteht große Aufregung. Seit drei Jahren gräbt der Archäologe Ludwig Borchardt im Sand am Nil. Doch nun taucht die bunte Büste einer Frau auf: Nofretete, vor mehr als 3000 Jahren Gemahlin des Pharaos Echnaton, Vorgänger des legendären Tutanchamun. Neben dessen goldener Totenmaske ist die Nofretete-Büste aus Kalkstein und Gips das berühmteste archäologische Fundstück – wegen ihres ausgezeichneten Zustands und der uns geradezu modern erscheinenden Ästhetik. Und weil die Geschichte dieser Büste eine sehr spannende ist.

Denn im Jahr nach ihrer Entdeckung kommt die Büste 1913 nach Berlin – zu James Simon, dem Finanzier der Grabung und damit ihrem Besitzer. Simon ist Inhaber einer Baumwoll-Großhandlung, des führenden Textil-Unternehmens auf dem europäischen Kontinent, 200 Mitarbeiter in Berlin, 30 000 Kunden, 50 Millionen Mark Umsatz, sechs Millionen Mark Gewinn. Einer der wohlhabendsten Bürger des Kaiserreiches mit einer Villa am Tiergarten. Besucher, auch aus der eigenen Familie, tragen – wie noch heute die Queen – Handschuhe.

Nofretete (hinten Mitte) als Schmuckstück im Haus von James Simon. © Archiv

Angesehene Familie

Simon ist Teil der höchsten Kreise des Kaiserreiches. Wilhelm II. und er lernen sich 1901 bei der Kieler Woche kennen, treffen sich auf der kaiserlichen Yacht „Hohenzollern“. In Berlin wird Simon von Seiner Majestät zu dessen Herrenabenden im Stadtschloss eingeladen. Mit Bankier Mendelssohn gehört er damit zu den „Kaiserjuden“, wie Kritiker dieser Nähe verächtlich beschreiben.

Doch Simon ist nicht naiv, sondern sich der antisemitischen Stimmung bewusst. 1890 gründet er den Verein gegen Antisemitismus, 1901 den Hilfsverein der deutschen Juden, der 25 000 Mitglieder zählt. Mit mehren Millionen Mark unterstützt er die Auswanderung von Juden aus Gebieten, die besonders unter gewalttätigem Antisemitismus leiden (Russland, Galizien, Rumänien), nach Amerika oder Palästina.

Simons Vater, in Pommern geboren, kommt noch als armer Schneider nach Berlin und arbeitet sich hoch. Das sieht der Sohn als Verpflichtung zu sozialem Engagement. Juden sollen zehn Prozent ihres Einkommens für wohltätige Zwecke aufwenden (Zedaka), bei Simon sind es mindestens 25 Prozent. Er fördert 60 Vereine, vor allem im sozialen und Bildungsbereich, viele von ihm selbst ins Leben gerufen. 1889 gründet er das erste Volksbad, 1906 baut er in Zehlendorf ein Haus für misshandelte Kinder („Haus Kinderschutz“). Kinder liegen ihm besonders am Herzen, nachdem seine Tochter in jungen Jahren verstirbt.

Freigiebiger Mäzen

Doch auch die Kunst wird von ihm gefördert. Als 1904 an der Spitze der Museumsinsel das Kaiser-Friedrich-Museum (heute Bode) eröffnet wird, stiftet Simon die Werke der Renaissance, die in einem eigenen Raum ausgestellt werden: Bellini & Co. – der Kaiser selbst sucht sie zuvor bei Simon zu Hause aus. Zur Eröffnung kann Simon jedoch gar nicht kommen, weil seine Frau schwer erkrankt und bald danach stirbt. 14 Jahre später stiftet Simon weitere 400 Kunstwerke, damals bereits zwei Millionen Mark wert und noch heute Glanzstücke der Museumsinsel.

Menschenfreund und Kunstmäzen: James Simon. © Archiv

Doch Simons Hauptinteresse gehört der Archäologe. Als junger Mann will er Altertumswissenschaften studieren, aber der Vater lässt das nicht zu. Der Sohn soll Kaufmann werden, um die Firma zu übernehmen. Das tut er, doch seine Passion bleibt. Er initiiert 1898 die Gründung der Deutschen Orientgesellschaft, bald die größte Grabungsorganisation der Welt. Simon finanziert die Ausgrabungen in Babylon, bei denen die 4000 Jahre alte Stadt der Wüste abgerungen wird, danach zwei Grabungen des Archäologen Ludwig Borchardt im ägyptischen Amarna, der früheren Hauptstadt Echnatons.

Hier wird am 6. Dezember 1912 die Büste Nofretetes im Sand entdeckt. Gemäß geltendem Recht müssen die Grabungsfunde mit dem ägyptischen Staat geteilt werden. Simon, auf dessen Namen die Grabungslizenz läuft, erhält die Nofretete. In einem Koffer wird sie nach Berlin gebracht. Zunächst steht sie auf dem Sims in Simons Villa. Bei einem Besuch dort zeigt sich der Kaiser begeistert von dieser Büste. Simon lässt zwei Kopien anfertigen – eine für sich und eine für den Kaiser; der lässt das fehlende Auge ergänzen und nimmt die Kopie 1918 mit in sein Exil ins holländische Doorn. Die zweite Kopie befindet sich heute im Besitz der Erben von Simon.

Das Original schenkt Simon 1920 dem Ägyptischen Museum in Berlin, das seinen Wert zunächst verkennt. Jahrelang lagert es in einer Kiste im Büro des Museumsleiters Heinrich Schäfer. Erst 1924 wird es ausgestellt und zur internationalen Sensation, Berlin neben Kairo zum führenden Ägyptischen Museum in der Welt.

Die Schenkung dieses einmaligen Kunstwerkes nimmt Simon vor, obgleich es ihm selbst wirtschaftlich nicht mehr gut geht. Mit Ende des Ersten Weltkrieges wird Baumwolle weniger gebraucht, stattdessen Viskose und Kunstseide verwendet. 1921 muss er seine Villa verkaufen, in der er fortan nur noch Mieter ist. 1927 zieht er in eine Wohnung in der Kaiserallee (heutige Bundesallee).

Zudem gibt es Streit über Nofretete. Ägypten verlangt die Skulptur zurück. Simon befürwortet diese Restitution ebenso wie Museumsdirektor Heinrich Schäfer und sogar das Kulturministerium. Doch dagegen erhebt sich in der Öffentlichkeit ein Sturm der Entrüstung, das Ministerium zieht sein Ja zurück. Aus Protest dagegen gibt Simon seine Ehrenkarten für die Einweihung des Pergamon-Museums zurück – obwohl das hiesige Ischtar-Tor und die Prozessionsstraße aus von ihm mitfinanzierten Grabungen stammen.

In Vergessenheit geraten

Das alles ist zu viel für ihn. 1929 erleidet er einen Schlaganfall und stirbt am 23. Mai 1932. Er wird auf dem Jüdischen Friedhof beigesetzt, Ex-Kaiser Wilhelm II., seit 1918 im Exil in Holland, lässt einen Kranz niederlegen. Dass jüdische Mäzene wie er verächtlich gemacht, verfolgt, in die Emigration getrieben oder gar ermordet werden, das bleibt ihm selbst erspart, obgleich er den Aufstieg der Nazis noch miterlebt.

Infos für Besucher

Nofretete sehen: seit 2009 auf der Berliner Museumsinsel im Neuen Museum, zweites Obergeschoss, Nordkuppelsaal. Eintritt 12 Euro (ermäßigt 6 Euro). Weitere Infos unter www.smb.museum.

Fotografieren der Büste und Selfies mit ihr sind nicht gestattet. Grund: Anfangs war dies erlaubt unter der Prämisse, keinen Blitz zu benutzen, weil dieser den Farben schadet. Doch zu viele Besucher hielten sich nicht daran. Trost: Aus den benachbarten Räumen ist Fotografieren möglich – mit Teleobjektiv gelingt das super.

Sonderausstellung: An diesem Samstag beginnt die Schau „Klangbilder – Musik im Alten Ägypten“; sie läuft bis 3. Juli und zeigt antike Musikinstrumente, die großteils noch niemals zu sehen waren.

James-Simon-Galerie: Das Empfangsgebäude für das Museums-Ensemble ist nach dem Mäzen benannt. Seit einer Woche wird hier die Sonderausstellung über Heinrich Schliemann und seine Entdeckung von Troja gezeigt (bis 6. November).

Haus von James Simon: Seine Villa befand sich in der Tiergartenstraße 5 (heute Nr. 15), wurde aber im Zweiten Weltkrieg zerstört und danach abgebrochen. Heute befindet sich auf diesem Grundstück die Landesvertretung von Baden-Württemberg in Berlin, also die „Botschaft“ des Bundeslandes bei der Bundesregierung.

Übernachten: Diese Landesvertretung ist eine der wenigen, in der Bürger logieren können. Zur Verfügung stehen 14 Einzel- (75 Euro) und elf Doppelzimmer (110-120 Euro) sowie zwei Appartements (170 Euro), Frühstück 15 Euro. Infos unter www.lvbw-angebote.de. -tin

1933 übernehmen sie die Macht, beseitigen die zu seinem 80. Geburtstag angebrachte Inschrift im Museum ebenso wie alle anderen Hinweise auf sein Mäzenatentum. Hitlers Paladin Hermann Göring plädiert für die Rückgabe der Büste, um eine Allianz mit Ägypten anzubahnen. Doch Hitler, begeistert von der Statue, lehnt dies ab, plant für die Zeit nach dem Endsieg ein neues Ägyptisches Museum, lässt für sich eine Kopie der Büste anfertigen.

Streit um Eigentumsrechte

Das Original übersteht den Bombenkrieg im Berliner Zoo-Bunker und im Salzbergwerk Merkers, wo es von den Amerikanern entdeckt wird. Deren Kulturoffizier Walter I. Farmer verhindert den Abtransport in die USA. Nofretete bleibt in Berlin, in Charlottenburg, also im Westen, auch wenn die Sowjets, in deren Sektor die Museumsinsel liegt, die Rückgabe verlangen. Auch Ägypten erhebt regelmäßig diesen Anspruch, den die Bundesregierung ablehnt.

Und Simon? Er gerät zunächst in Vergessenheit. Seine Villa brennt im Krieg aus, das Grundstück wird Brache. Bis im Jahre 2000 hier die Landesvertretung Baden-Württembergs beim Bund entsteht. Eine Gedenktafel, die 2006 in Anwesenheit von Simons Nachkommen enthüllt wird, erinnert an die Historie des Ortes.

2007 wird die neugestaltete Grünanlage an der Burgstraße zum James-Simon-Park, im Juli 2019 das von David Chipperfield gestaltete Eingangsgebäude und Besucherzentrum zur Museumsinsel durch Bundeskanzlerin Angela Merkel in James-Simon-Galerie benannt.

Doch am nachhaltigsten erinnert an Simon: Nofretete, seit 2009 wieder im Neuen Museum im wunderschönen Nordkuppelsaal. Ihr gegenüber, von den meisten unbeachtet, der kleine Bronzekopf eines älteren Herrn mit Schnurrbart und leicht traurigen Lächeln: James Simon. Der Mann, der Nofretete verschenkt hat.

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