Stadt.Wand.Kunst

Neues Mural in Mannheim: Harte Kontraste zwischen Luxus und Natur

Von 
Markus Mertens
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"Leben" nennt sich das komplett in Acryl gemalte Wandkunstwerk des französischen Artisten Zoer, der mit seinem Gemälde die Fassade des Mannheimer Drogenvereins verschönert. © Markus Mertens

Mannheim. Bis vor wenigen Tagen schaute Philip Gerber auf eine Hauswand der grauen Tristesse. Denn auch, wenn der Geschäftsführer des Mannheimer Drogenvereins seit Jahren dafür Sorge trägt, dass Suchtkranke und deren Angehörige hier kundige Hilfe erhalten: Besonders einladend wirkte die karge Fassade des Gebäudes keineswegs.
Und so darf man an diesem Vormittag in den Mannheimer Quadraten spüren: Auch als Retter so mancher verkannter Ecke kann das Freiluftformat Stadt.Wand.Kunst immer wieder Impulse in der und für die Stadt setzen. Immerhin war die vielbefahrene Ecke in K3 bislang nicht gerade als Blickfand bekannt – was sich fortan rasch ändern dürfte.
Denn es ist der französische Künstler Zoer, der sich hier mit seinem Mural „Leben“ verwirklicht hat – und dabei gleich im doppelten Sinne für Abwechslung sorgt. Einerseits, weil er unter den großen Namen, die die Alte Feuerwache bereits auf Wänden vereinte, als erster konsequent mit Acryl arbeitet und sich damit konsequent vom „lauten, gewaltigen und aggressiven Werkzeug“ der Graffiti-Dose emanzipiert. Andererseits, weil das Gemälde des Mannes aus Cannes in einem ganz eigenen Stil grelle Kontraste setzt, die polarisieren, gleichzeitig aber auch zu imponieren verstehen.

Kunstprojekt

Stadt.Wand.Kunst - ein einzigartiges Freiluft-Kunstformat

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Zugrunde liegt dem Motiv eine Philosophie, wie man sie aus vielen Zoer-Arbeiten ablesen kann: die Verbindung aus Form und Funktion, Automobil und Landschaft, Natur und Technik. Wobei man den Aspekt der (malerischen) Technik hier getrost wörtlich verstehen darf. Denn die Farblichkeit changiert bei Zoer zwischen einem warmen Mandarinenorange und einem zarten Veilchen-Violett, einem wuchtigen Moosgrün und einem harten Blutrot, die in ihrer Komposition so ungewöhnlich und knallig gleichermaßen daherkommen, dass die gezeigte Szenerie inmitten des gefärbten Meers fast schon zur Kür wird. Eine Setzung, die auch Zoer selbst so beschreibt: „Eine Zeichnung kann von ihrer Komposition her hervorragend angefertigt sein, es sind die Farben, die ihr die Emotion verleihen. Wenn es eine Erwartung gibt, die ich mit jeder meiner Arbeiten erfüllen will, dann ist es, diesen Ausdruck zu erlauben, der über jede reine Logik hinausgeht.“
Dabei entnimmt man freilich auch dem Gezeigten schon allerlei spannende Verschränkungen. Wie etwa den Reiz eines edlen Hotels in der Provence, auf dessen Außenterasse parliert und genossen, geträumt und gespeist wird, während Berge und See scheinbar ruhig im Hintergrund liegen. Und doch bahnen sich die Gewalten der Landschaft an, als wir Zoer nach dem Verhältnis der Kräfte zwischen Luxus und Natur befragen: „Einerseits ist die Welt voller Schönheit, die wir als Menschen erkennen können und genießen sollten. Andererseits ist es genau diese Gesellschaft, die alles dafür unternimmt, dass die Erde leidet, indem sie durch die Hand der Menschen zerstört wird. Ein schwieriger Punkt, über den man länger diskutieren müsste.“
Vielleicht ist es am Ende genau dieser Beitrag, den Zoer mit seinem „Leben“ leistet. Dass er keinen gefühlten Gewaltakt vollzieht, sondern sich in tagelanger, pausenloser Arbeit mit Rolle und Pinsel eine dreigeteilte Wand vornimmt, die er in impressionistischer Manier unkonkret genug lässt, um Imagination zu erlauben, aber auch so formt, dass sie halt vermittelt. Dass sein gewähltes Thema jedoch auch gedanklich so wenig festgelegt bleibt, dass man allzu gerne vor den Emblemen verharrt, über die es nachzudenken und zu sinnen gilt, um sich über ihre tatsächliche Bedeutung im Klaren zu werden.

Stadt.Wand.Kunst und das neue Mural:

  • Das Freiluft-Museumsformat Stadt.Wand.Kunst wird von der Alten Feuerwache verantwortet und initiiert mit regionalen sowie internationalen Künstlern Wandgemälde im öffentlichen Raum
  • Seit 2013 sind mehr als 30 Arbeiten im Zentrum sowie in einzelnen Stadtteilen von Mannheim entstanden
  • Über die Arbeiten von 2013 bis 2020 hat die Feuerwache nun auch ein fachgerecht kommentiertes 224-seitiges Hardcover-Buch herausgegeben, das es für 40 Euro exklusiv bei Bücher Bender zu erwerben gibt
  • Das jüngste Mural stammt vom französischen Künstler Zoer und ist am Gebäude des Mannheimer Drogenvereins in K3 zu sehen und war durch Förderung der Dr. Hans Riegel-Stiftung möglich
  • Die Arbeit „Leben“, die komplett mit Acrylfarbe gemalt wurde, verschränkt das Verhältnis von Luxus und Natur, Mensch und Architektur mer

So oder so: Einen Mehrwert bedeutet Zoers Wandkunststück allemal. Und das nicht allein, weil es geradezu mustergültig zum Projekt „Walls Of Vision“ der Hans Riegel-Stiftung passt, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, im Wortsinn eigenwillige Wandkunst zu fördern. Sondern, weil sie einen wichtigen Punkt stärkt, der sonst allzu gerne als Ort der Schwäche verhandelt wurde – oder wie Philip Gerber das sagen würde: „Das geschaffene Kunstwerk bedeutet uns viel. Es wird die Hemmschwelle für viele Hilfesuchenden senken, schafft Identität für unsere langjährigen Klienten und zeigt unser Engagement für den Stadtteil und die Stadtgesellschaft.“ Treffender kann man das kaum zusammenfassen.

Freier Autor

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