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Laden in Heidelberg bietet Einkaufen für „Drinnies“ an

Aufdringliche Verkäuferinnen und laute Musik: Einkaufen ist für introvertierte Menschen oft ein Spießrutenlauf. Der Laden Fremdformat will ihnen das Shoppen angenehm machen. Wie drinnie-freundliches Einkaufen aussieht

Von 
Esther Lehnardt
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Drinnies willkommen: An der Tür des Ladens Fremdformat in Heidelberg klebt das "Siegel" des "Dedriga Bundesverbandes" © Fremdformat

Heidelberg. Den Aufkleber auf der Tür des Ladens Fremdformat in der Bergheimer Straße in Heidelberg erkennen eingefleischte Fans des Podcasts „Drinnies“ sofort. Sofa, Faultier und Pantoffeln prangen dort neben dem Schriftzug „Dedriga Bundesverband“. Das Logo soll zeigen: Hier können Drinnies - also introvertierte Menschen - ohne Stress einkaufen. Der Hinweis ist mehr als nur ein netter (Dr)Insider für Podcast-Fans, sondern trägt zu mehr Inklusion beim Einkaufen bei.

Inhaberinnen von Fremdformat sind Fans des Podcasts "Drinnies"

„Über introvertierte Menschen wird in der Gesellschaft oft nicht gesprochen“, sagt Julia Gerner. Die Schmuckdesignerin hat 2019 gemeinsam mit ihrer Frau Steffi den Laden mit kleiner Werkstatt in der Bergheimer Straße eröffnet. Schon davor verkauften sie ihren Schmuck online. Beide sind große Fans des Podcasts "Drinnies" von Guilia Becker und Chris Sommer

Steffi (r.) und Julia Gerner sind selbst Drinnies und wissen, dass für Introvertierte das Einkaufen manchmal schwer sein kann. © Fremdformat

Darin erzählen die Hosts jeden Dienstag aus ihrem Leben als „Drinnies“ und geben humorvolle Tipps, wie man als introvertierter Mensch den Alltag meistert. „Ich glaube jeder, der den Podcast hört, denkt sich: Ich bin ja doch irgendwie normal“, sagt Steffi Gerner. Man fühle sich sehr verstanden beim Hören. 

Introvertierte Menschen sollen sich bei Fremdformat in Heidelberg wohlfühlen

Dieses Gefühl wollen die beiden auch den Menschen, die bei ihnen einkaufen, vermitteln. Schon bevor es im Fanshop des Podcasts den Aufkleber gab, hatten sie das Logo des Podcasts an ihrer Tür angebracht. Als der Podcast augenzwinkernd das „offizielle Siegel“ herausgebracht hat, tauschten sie es aus. 

„Wir dachten, das kapiert keiner“, sagt Julia Gerner. Manche der Menschen, die bei Fremdformat einkaufen, sprachen sie aber darauf an. Doch was ist eigentlich drinnie-freundliches Einkaufen? Im Online-Shop des Podcasts findet sich eine Liste mit Kriterien für Geschäfte: 

  • Online Terminvergabe
  • Beratung nur auf Nachfrage
  • Smalltalkfreies Einkaufen
  • Selfscankasse/Bestell-Terminal, alternativ: Moderat schnelles Scannen an der Kasse
  • Kontaktloses Zahlen
  • Online Vorbestellung möglich

Darunter steht der - vermutlich nur halb ernstgemeinte - Hinweis: „Der Deutsche Drinnie Gastfreundschaft Verband behält sich vor, jederzeit stichprobenartig die Erfüllung der Kriterien zu überprüfen. Verstöße gegen die DEDRIGA-Ordnung können mit dem Propeller bestraft werden.“ Guilia Becker und Chris Sommer kamen noch nicht vorbei. 

Wie drinnie-freundliches Einkaufen bei Fremdformat aussieht

Fremdformat erfüllt die Kriterien trotzdem. Konkret heißt das: Wenn Menschen den kleinen Laden mit dem alten Holzboden betreten, können sie die von Julia Gerner handgefertigten Schmuckstücke in Ruhe anschauen. Wer nicht reden will, muss das nicht. 

Ich fühle mich selbst super unwohl, wenn sich eine Verkäuferin gleich neben mich stellt
Julia Gerner Schmuckdesignerin

„Ich fühle mich selbst super unwohl, wenn sich eine Verkäuferin gleich neben mich stellt“, sagt die Schmuckdesignerin. Wer sich für den Schmuck interessiert, sich aber bei einem Besuch in Läden unwohl fühlt, kann auch online die Ketten und Ringe vorbestellen und vor Ort abholen. 

Für Drinnies, die gar keinen Kontakt möchten, bietet Fremdformat einen Onlineshop an, in dem man sich die Schmuckstücke nach Hause schicken lassen kann. „Das ist das drinnie-freundlichste überhaupt“, sagt Julia Gerner und lacht.

Hemmschwelle für Introvertierte möglichst klein halten

Sie weiß, wovon sie redet. „Wir sind selbst Drinnies“, sagt die Schmuckdesignerin. Auch deshalb ist ihnen wichtig, Kundschaft nicht sofort zu überfallen. „Wir wollen uns auch selbst beim Verkaufen wohlfühlen“, sagt Steffi Gerner. 

Das Paar möchte die Schwelle, ihren Laden zu betreten, für alle Menschen möglichst niedrig halten. „Bei kleinen Läden habe ich auch selbst eine Hemmschwelle reinzugehen“, sagt Steffi Gerner. Der Aufkleber soll Menschen wie den beiden zeigen: Hier könnt ihr euch sicher fühlen. 

Fremdformat richtet sich auch an queere Menschen

Auch deswegen hängt neben dem Drinnie-Aufkleber eine Regenbogenflagge. Der Schmuck von Fremdformat ist bewusst für alle Geschlechter. Für queere Paare, die bei anderen Geschäften mit Irritation oder Unverständnis begrüßt werden, fertigt Julia Gerner Eheringe. 

Diese Art Inklusivität gefällt nicht allen. Im Sommer kratzen Unbekannte die Flagge von der Tür, während das Paar im Urlaub ist. „Es wurde schon gegen die Scheibe gespuckt, wir hatten auch eine Bibel im Briefkasten“, sagt Steffi Gerner. 

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Unterkriegen lassen sich die beiden davon nicht. Sie bieten weiter Schmuck für alle Menschen an, die Freude an schönen Accessoires haben - ob extrovertiert oder introvertiert. Letzteren hilft der Aufkleber mit dem Hinweis auf den Podcast, in den Laden zu finden.

Redaktion Online-Redakteurin und Leiterin des Leben-Bereichs des Mannheimer Morgens

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