Wie lautet noch die Erfolgsregel von Immobilienprofis: Lage, Lage, Lage. Schon von daher ist das Rheinhotel Dreesen in Bonn-Bad Godesberg einzigartig. Gelegen direkt am Tor zum malerischen Mittelrhein, mit Blick auf Drachenfels und Petersberg, Herz der deutschen Romantik. Ausgangspunkt von Ausflügen, aber auch Ort von Zeitgeschichte. Und dies seit 130 Jahren.
Dabei sind die Anfänge bescheiden. Ihr Protagonist: Friedrich Dreesen, 35 Jahre jung, Spross einer Familie, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts im örtlichen Gastgewerbe tätig ist. Verheiratet mit Adelheid Herschel, Tochter einer alteingesessenen jüdischen Familie aus Koblenz.
Zunächst führen sie ein Gasthaus im Ort. Um Ausflügler zu versorgen, müssen Brote und Bier jedoch an den Fluss geschleppt werden – auf Dauer nicht praktikabel. 1893/94 errichten die Dreesens ein Hotel direkt am Rheinufer – mit fließend Wasser auf jedem Zimmer und elektrischem Licht dank eines hauseigenen Stromgenerators. Neben modernster Ausstattung bietet das Haus ein Unterhaltungsprogramm, vor allem Konzerte von Militärkapellen. Dirigiert werden sie ab und an von einem jungen Mann, der in Bonn studiert und bei seinen Ausritten entlang des Rheins am Dreesen die Pferde tränkt: Kronprinz Wilhelm, Sohn von Kaiser Wilhelm II.
Auch Seine Majestät selbst ist bei seinen zahlreichen Visiten im Rheinland Gast im Dreesen. Während des Krieges dient ihm dieses Hotel als Ausgangspunkt für Besuche an der Westfront. Mit seinem Säbel bleibt er eines Tages in der (noch heute bestehenden) Drehtür hängen und geht zu Boden. Doch zum Lachen sind die Kriegs- und Nachkriegszeiten gar nicht für das Haus, das seit dem Tode seines Gründers 1912 von dessen Sohn Fritz Dreesen geleitet wird. Als die Alliierten bei Kriegsende das Rheinland besetzen, wird auch das Hotel Quartier der Franzosen.
Chaplin und Hitler zu Gast – Ursprung einer Legende
Nicht erst, nachdem Godesberg 1925 mit dem Titel Bad geadelt wird, kommen jedoch bald wieder Touristen aus ganz Europa sowie Prominente aus Politik und Kultur. Reichspräsident Friedrich Ebert und Außenminister Gustav Stresemann, die noch jungen Filmstars Marlene Dietrich und Hans Albers. Bei seiner Deutschlandreise 1921 macht sogar Charlie Chaplin im Dreesen Station.
Hartnäckig hält sich die Mär, er wohne damals Tür an Tür mit einem Mann, den er später in seinem Film „Der große Diktator“ darstellen wird, ja dem er sogar die Brötchen von der Türklinke klaut: Adolf Hitler. Doch der kommt erst fünf Jahre später, am 28. November 1926. „Staatenloser Schriftsteller“ heißt es in der Anmeldung. Das Zimmer daneben hat sein Kampfgefährte Rudolf Heß. Der ist in seiner Jugend Schüler am nahen Internat. Als Hitler einen Stützpunkt im Rheinland sucht, da kann Heß das Dreesen empfehlen.
Dass Hitler hier unterkommt, ist nicht selbstverständlich. 1926 ist er der Anführer einer obskuren kleinen Krawallpartei, Ex-Häftling auf Bewährung und pleite. Doch er wird unterstützt von Gönnern, Fritz Dreesen gehört dazu. „Hitler wird ihm nie vergessen, dass er ihn beherbergt und unterstützt hat in einer Zeit, in der er politisch noch nichts war“, so die Historikerin Heike Görtemaker. Und dies alles ungeachtet dessen, dass Fritz Dreesen Sohn einer Jüdin ist, nach der verqueren Rassenideologie der Nazis also „Halbjude“.
Dennoch wird das Dreesen Hitlers zentraler Stützpunkt am Rhein. 60 Mal wohnt er hier. Das ganze Jahr über lässt er sich eine Suite frei halten. Rechnung an die Reichskanzlei. Den Balkon nutzt er fürs Sinnieren: Der Blick auf den Drachenfels – das ist immerhin deutscher Mythos pur.
Dreesens Frau Maria wird, so die Historikerin Görtemaker, zur „mütterlichen Freundin“ von Eva Braun. Sie begleitet die heimliche Geliebte des „Führers“ auf Kreuzfahrten und ist auch auf dem Berghof ihr Gast.
Infos und Tipps zum Rheinhotel Dreesen
- Lage: Bonn, Stadtbezirk Bad Godesberg, Ortsteil Rüngsdorf, unterhalb des Ortskerns, direkt am Rheinufer, Adresse Rheinstraße 45-49.
- Gründung: 3. Mai 1894 durch Friedrich Dreesen (1858-1912). Seither in Familienbesitz, heute 5. Generation: Anna-Maria Dreesen El Achcar.
- Ausstattung: Kategorie Vier Sterne, 71 Zimmer, davon 18 mit Rheinblick und Balkon, elf ohne Balkon, 42 mit Blick auf den Garten oder den Hof.
- Gastronomie: Restaurant „Gobelin“, „klassisch rheinische Küche französisch interpretiert“, 70 Plätze, wochentags 12-14.30/18-22 Uhr, sonntags 12-15 Uhr, feiertags 12-15, 18-22 Uhr. Biergarten: 60 Tische/300 Plätze, bei guter Witterung werktags 15-22 Uhr, Wochenende 12-22 Uhr, klassische Biergartengastronomie.
- Tagungen: sieben Räumlichkeiten unterschiedlicher Größe. Konzertsaal 267 qm/270 Personen, Empiresaal 85 qm/80 Personen, ohne Zwischenwand 352 qm/350 Personen.
- Berühmte Gäste: Rudolf Augstein, Paul Bocuse, Rudolf Caracciola, Charlie Chaplin, Francis Durbridge, Friedrich Ebert, Greta Garbo, Bernhard Grzimek, Gustav Gründgens, Sepp Herberger, Herbert von Karajan, Jean Marais, Marcel Marceau, Yehudi Menuhin, Mario del Monaco, Aldo Moro, Gustav Stresemann, Caterina Valente.
- Filmdoku: „Das Weiße Haus am Rhein“, 46 Minuten, WDR, 2022.
- Spielfilm: „Das Weiße Haus am Rhein“, 2021, mit Nicole Heesters.
- Roman: „Das Weiße Haus am Rhein“, Piper-Verlag, 2021, 780 S., 15 Euro, im Hotel und im Buchhandel. -tin
So kommt dem Hotel Dreesen auch mehrmals historische Bedeutung zu. Etwa 1934, ein Jahr nach der Machtergreifung Hitlers. Der will die Parteiarmee, die SA, und ihren Chef Ernst Röhm entmachten. Letzte Vorbereitungen mit Propagandaminister Goebbels und SS-Führer Sepp Dietrich trifft er am 29. Juni im Dreesen. Erst dann fliegt er nach München, um das zu leiten, was als „Niederschlagung des Röhm-Putsches“ in die Geschichte eingeht und bei der 200 Gegner in- und außerhalb der Partei ermordet werden.
Vier Jahre später schreibt das Dreesen sogar Weltgeschichte. Hitler verlangt die Abtretung der von Deutschen bewohnten Gebiete der Tschechoslowakei. Krieg liegt in der Luft. Der englische Premier Chamberlain will das verhindern, reist zu Hitler. Der Brite muss auf dem Petersberg logieren und zu Hitler hinab ins Dreesen kommen. Der droht mit Krieg. Chamberlain gibt nach, um den Frieden zu retten. Genau ein Jahr später ist Krieg in Europa.
Darunter leidet auch das Dreesen. 1939/40 wird es Sitz des Oberkommandos für den Weltfeldzug, 1944 unter dem Kodenamen „Winzerstube“ Außenstelle des KZ Buchenwald, weiträumig abgesperrt mit Stacheldraht und bewacht von 60 SS-Leuten. Bis zu 150 „Ehrengefangene des Führers“ sitzen hier ein, so auch die Schwester von Charles de Gaulle, dem Chef der französischen Exilregierung in London.
Fritz Dreesen stirbt 1944. Hitler, im Führerhauptquartier dem längst verlorenen Endkampf verfallen, nimmt sich trotzdem Zeit, an die Witwe ein zweiseitiges Kondolenzschreiben zu diktieren, in dem er dem „Kampfgefährten“ für dessen Gastfreundschaft dankt. Und er fügt – absolut selten – sogar eine handschriftliche Widmung zu: „Mit dem Ausdruck des herzlichsten Beileids“.
Flüchtlingsunterkunft und französisches Hauptquartier
Im März 1945 besetzen US-Truppen das Hotel, in dem der Oberkommandierende, General Eisenhower, drei Wochen wohnt. Danach wird es Erholungsheim der britischen Royal Air Force. Ab Dezember 1946 sind hier 400 Flüchtlinge untergebracht, darunter 60 im Konzertsaal. Um wenigstens etwas Privatsphäre zu haben, teilen sie ihn mit Pappen und Decken ab – nach zwei Jahren in Auffanglagern so etwas wie Luxus.
1948 werden die Flüchtlinge ausquartiert. Die Franzosen lassen das Hotel komplett umbauen. Nur die Grundmauern bleiben stehen, vieles von den Zierden der Fassade geht verloren. Das Hotel wird für drei Jahre Sitz des Französischen Hochkommissars in Deutschland. Doch ab 1953 ist es wieder Hotel. Im Jahr darauf feiern die „Helden von Bern“ um Sepp Herberger hier ihren Sieg.
Vor allem jedoch ist das Haus beliebt bei ausländischen Diplomaten, die in der kurz zuvor gegründeten Bundesrepublik Dienst tun, als deren Hauptstadt das nahe Bonn fungiert. Kanzler Adenauer kennt das Haus aus seiner Zeit als OB von Köln gut, zieht viele Aktivitäten her, so auch internationale Konferenzen. Bis in die 1980er Jahre kommt Politprominenz aus dem nahen Bonn, vor allem Bundespräsident Karl Carstens und Kanzler Helmut Kohl. Selbst die Führung der neu gegründeten Grünen Partei um Petra Kelly tagt und feiert hier gerne.
So könnte es weitergehen, doch 1991 fällt der Bundestagsbeschluss für den Umzug der Hauptstadt nach Berlin. „Für uns hieß das: keine Gäste mehr“, erinnert sich Fritz Dreesen, Urenkel des Hotelgründers und ab 1972 Chef des Hauses: „Von einem Tag auf den anderen waren sie einfach weg.“ Als wäre das nicht genug, erlebt das Haus 1993 und 1995 zwei schwere Hochwasser. Direkt hintereinander, innerhalb von nur 13 Monaten. Tischhoch steht das Wasser im Erdgeschoss.
Hauptstadtfrage und Hochwasser – inzwischen ist das verkraftet. Seit kurzem ist Anna-Maria Dreesen El Achcar, gelernte Hotelfachfrau mit Auslandserfahrung, in fünfter Generation Inhaberin des Hauses. Dessen Geschichte geht also weiter.
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