Weinheim. Eine Ente? Eine Ente als Wappentier für eine ruhmreiche Familie? Man muss zweimal hinschauen, aber tatsächlich prangt da am Weinheimer Schloss als Krönung eines Familienwappens nicht etwa ein starkes Tier wie sonst, also etwa Löwen oder Adler, sondern ein solcher kleiner Wasservogel. Er ist wichtiger Bestandteil im Wappen vom Schlossherrn zu Weinheim und dem Schöpfer des Exotenwalds, von Freiherr Christian Friedrich Gustav von Berckheim.
„Ihm haben wir das alles zu verdanken“, sagt Dietmar Spicker, erfahrener Weinheimer Stadtführer, im Hinblick auf den Exotenwald, und er erzählt die Geschichte von zwei verfeindeten Brüdern des aus dem Elsass stammenden Adelsgeschlechts derer zu Berckheim. Der eine Bruder wollte nachts einen Überraschungsangriff auf den anderen starten, aber die Enten werden wach, schnattern und alarmieren die Wachen, die so den Angriff zurückschlagen können. Und aus Denkbarkeit werden die Enten von nun an im Wappen verewigt.
Die älteste Zeder
Zwar ist das Weinheimer Schloss bekannt dafür, dass hier zeitweise die Kurfürsten wie Ottheinrich oder Johann Wilhelm sowie Carl Theodors Frau Elisabeth Auguste leben. Aber zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Kurpfalz aufgelöst wird und das rechtsrheinische Gebiet an Baden fällt, erwerben elsässische Adelige – Vorfahren hatten ein Bankhaus in Mannheim wie auch die „Dillinger Hütte“ mitgegründet – das Weinheimer Anwesen. „Man war eben wohlhabend und suchte sich ein schönes Schlösschen“, so Spicker.
Gleich hinter diesem Schloss steht ein besonders seltener, besonders alter Baum – auch wenn der eigentliche Exotenwald hier noch gar nicht beginnt: eine 28 Meter hohe Libanonzeder. Sie soll hier Wurzeln geschlagen haben, als der Schlossgärtner nach dem Weinfest in Lützelsachsen so betrunken ist, dass seine Frau ihn nicht ins Haus lässt, worauf er seinen Rausch im Schlosspark ausschlafen muss – und sich ein Schächtelchen mit Baumsamen öffnet, erzählt Spicker lächelnd.
Besucher-Tipps
Öffnungszeiten: Der Exotenwald ist stets ohne Eintritt geöffnet.
Anfahrt: RNV-Haltestelle „Rosenbrunnen“ (10 Minuten Fußweg) oder Bushaltestelle Schloss (fünf Minuten), Parken am Schlosspark oder auf den Parkplätzen der Innenstadt (sonntags kostenlos) oder Parken am Fachmarktzentrum OBI an der B 3.
Wanderwege: Schwarzkiefern-Rundweg (2,4 km), Exotenwald-Rundweg (3,1 km), Großer Rundweg (4,4 km) sowie der Romantische Weg als schmaler Pfad mitten durch die Bestände.
Führungen: Am 10.7., 11.9., 9.10. und 13.11. jeweils um 15 Uhr, Treffpunkt: Brunnen im kleinen Schlosshof. Einzelpreis sechs Euro. Anmeldung bei der Tourist Information, Tel.: 06201 / 82 - 610.
Jubiläum: Wald-Erlebnistag am Sonntag, 17. Juli, 10 Uhr bis 17 Uhr, an den zentralen Wegen des Waldes und im Schlosspark mit Info- und Aktionsständen von Vereinen und Organisationen. Kinder dürfen an den Mammutbäumen klettern, ein Motorsägenschnitzer gibt Einblicke in seine Arbeit und es ist für Essen und Trinken vom Eis bis zur Wildbratwurst gesorgt. An diesem Tag Pendelbusverkehr vom Parkplatz am Baumarkt OBI.
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Lange hat er den Baum bei seinen Führungen als älteste und größte Zeder Deutschlands bezeichnet, laut einem Schild 1720 gepflanzt – also zu der Zeit, als Kurfürst Carl Philipp gerade seine Residenz von Heidelberg nach Mannheim verlegt hat. Doch als 2020 der 300. Geburtstag des Baums gefeiert werden soll, stellt sich heraus, dass er erst um das Jahr 1835 gepflanzt worden ist und Bad Homburg über die älteste Zeder verfügt. Und Hannover macht Weinheim den Titel der größten Zeder streitig – wegen ein paar Metern.
Mehr als Statussymbol
„Aber eine der größten, eine der ältesten ist sie“, sagt Spicker schmunzelnd. Ohnehin kann er mit so vielen Superlativen aufwarten, dass es darauf nicht ankommt. „Einzigartig“ – dieses Wort gebraucht er mehrfach beim Spaziergang durch den herrlich dichten, aber für Spaziergänger sehr gut erschlossenen und etwa 60 Hektar großen Wald aus rund 170 verschiedenen Baum- und Straucharten von vier verschiedenen Kontinenten – Europa, Nordafrika, Nordamerika und Ostasien.
Nun schafft sich mancher Regent im 18. und 19. Jahrhundert ein Arboretum an (von lat. arbor für Baum), also eine Sammlung verschiedener Bäume – Kurfürst Carl Theodor etwa im Schwetzinger Schlossgarten. „Das war damals Mode, ein Statussymbol, wenn man sonst alles hatte“, erklärt Spicker. Für Christian Freiherr von Berckheim indes sei der Exotenwald „mehr als ein Statussymbol gewesen, denn er beschaffte nicht nur ein, zwei oder drei Bäume pro Sorte, sondern gleich einen ganzen Bestand und am Ende einen ganzen Wald“, so Spicker, und der sei „in dieser Größe einzigartig“.
Die Voraussetzungen dazu sind an der Bergstraße hervorragend: Sonnenreiche Sommer, milde Winter, meist ausreichend Niederschlag und eine durchschnittlichen Jahrestemperatur von zehn Grad sorgen für mediterranes Klima und damit passende Wuchsvoraussetzungen. Schon Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz (1502–1559), bekannt durch den Heidelberger Ottheinrichbau und für die Einführung der Reformation in der Kurpfalz, soll, als er zeitweise in Weinheim lebt, hier mediterrane Pflanzen gezogen haben.
Christian Freiherr von Berckheim, geboren am 15. Oktober 1817 in Colmar, indes macht sich das zur Lebensaufgabe. Als Staatsminister und Großhofmeister steht er im Dienste des Großherzogtums Baden und erreicht in Verhandlungen mit der Schweiz, dass die badische Rheintalbahn über Basel fahren kann. Für den Raum Freiburg und das Bodenseegebiet ist das ein großer Gewinn – privat indes residiert der Freiherr im Weinheimer Schloss, das seit den 1840er Jahren in Familienbesitz ist. Er baut es aus, ergänzt den hohen Turm.
Zudem erweitert der Freiherr ab den 1860er Jahren den Schlossgarten nach Osten, auf der Stadtseite des Geierbergs. „Er kauft von den Bauern nach und nach viele Äcker und Wiesen“, so Dietmar Spicker, „darunter beste Weinlagen“, wie er hervorhebt: „Anderswo sind Wälder für den Weinbau abgeholzt worden – hier war es umgekehrt, das gibt es nur hier“, betont der Stadtführer.
Der Freiherr dagegen lässt ab Frühjahr 1872 weltweit Baumsetzlinge kommen und sie in den angekauften Grundstücken anpflanzen. Bis etwa 1878/79, in der ersten Phase des Ausbaus, sorgt er auch dafür, dass Wege für Pferdekutschen ausgebaut und Weiher angelegt werden sowie eine Wasserleitung für die Bewässerung entsteht. Dabei geht er bis ins Detail: Sein Gartenbüchlein mit den handschriftlichen Pflanzplanungen und Listen der verschiedensten Sorten und Raritäten ist bis heute erhalten.
Ein Millionen-Aufwand
Und der Freiherr scheut keine Kosten. 1146 Mammutbäume, so entnimmt Stadtführer Spicker alten Unterlagen, habe Berckheim beschafft – für 43 Goldmark pro Schößling, wie man die etwa dreijährigen, 15 Zentimeter hohen Minibäume nennt. „43 Goldmark – dafür musste ein Handwerksmeister ein ganzes Leben lang arbeiten“, nacht Spicker , die Dimension deutlich.
„Wir haben noch die Rechnungen“, betont Spicker und kommt daher auf eine Summe von 50 000 Goldmark allein für die Mammutbäume. Derzeit wären das laut Spicker umgerechnet etwa 65 Millionen Euro – nur für die Erstausstattung an Mammutbäumen, die er alle per Schiff aus Übersee holen lässt. „Allein diese Überfahrt war wahnsinnig teuer“, so der Stadtführer, „der Panamakanal war ja noch nicht gebaut, daher mussten alle Schiffe um Kap Hoorn herumfahren“.
Rechne man alle Baumsorten, die der Freiherr – etwa auch aus der englischen Bauschule Exeter – anschaffen lässt, kommt Spicker bei der Umrechnung der damaligen Preise auf heute auf etwa 80 bis 100 Millionen Euro. „Unfassbar“, unterstreicht er, zumal der Adelige anfangs Rückschläge erlebt und nicht alle importierten Sorten wirklich in Weinheim gedeihen. Bis 1883 pflanzt der Freiherr insgesamt rund 12 500 Bäume. Von den 400 Baum- und Straucharten, deren Anpflanzung bis heute erprobt worden ist, sind 170 übrig.
Damit ist die Sortenvielfalt weiter beeindruckend – was auch dazu führt, dass er zu allen Jahreszeiten ein tolles Naturschauspiel bietet, egal ob von März bis Mai die Bäume austreiben, im Sommer die Sonnenstrahlen durch sattes Grün blinzeln oder von September bis November die unterschiedlichsten Arten für verfärbtes Laub und einen Indian Summer mit berauschenden Farbenspielen sorgen. Und der Japanische Kuchenbaum duftet im Herbst wunderbar nach Marmorkuchen. . .
Feuerfeste Rinde
Japanische Magnolie, Japanische Sicheltanne, chilenische Andentannen, japanische und nordamerikanische Magnolienbäume sowie kalifornische Flusszedern und Atlaszedern sind einige der Sorten, Douglasien und Robinien, Schwarzkiefern, Taschentuchbaum („Mit Blüten weiß und groß wie zerknitterte Taschentücher“) und Rotahorn finden sich ebenso wie die Peka-Nuss, Ginkgos oder die Himalaya-Zedern.
Besonders bekannt ist der Exotenwald jedoch durch die immer noch bis zu 50 Riesen-, Urwelt- oder Küstenmammutbäume, die bis zu 60 Meter in die Höhe ragen. „Erst in 240 Jahren haben sie ihre volle Höhe von bis zu 90 Metern erreicht“, informiert Spicker und streichelt liebevoll die Rinde von einem, wie er es nennt, „Baby“, einem erst 60 Jahre alten Bergmammutbaum.
Die sehr weiche, flauschig-samtige Rinde schützt den Baum in den Wäldern Kaliforniens vor den dort oft tobenden Feuern, erläutert er: „Diese Rinde ist 70 Zentimeter dick – der Mammutbaum freut sich, wenn es brennt, denn ihm kann das Feuer nichts anhaben, und die anderen Bäume als seine Konkurrenz brennen weg“, erläutert er. Sobald die Hitze des Feuers abkühlt, lassen die Mammutzapfen einen Samenregen auf den durch den Brand nun sehr aufnahmefähigen, nährstoffreichen Waldboden fallen.
Weinheim verfügt über den „größten Mammutbaumbestand der ganzen Welt außerhalb von Amerika“, beton Spicker eine weitere Einzigartigkeit des Exotenwaldes. Christian Freiherr von Berckheim indes erlebt diese mächtigen, den heutigen Besucher so beeindruckenden Riesen gar nicht – zu seiner Zeit sind sie ja noch klein. „Aber er hat das nicht für sich und nicht als Statussymbol, sondern er hat das für die Ewigkeit gemacht“, erklärt der Stadtführer das Motiv des Adeligen.
Ans Land verkauft
Der fährt oft per Kutsche durch seinen Wald, lässt Sitzgruppen aufstellen und richtet nach dem Tod seiner Frau Ida Wilhelmine Freiin Waldner von Freundstein mit der „Ida-Bank“ eine Stelle ein, die an sie erinnert. Ein aus Buntsandstein gehauener Brunnen, täuschend echt wie der Stamm einer Eßkastanie aussehend, verwirrt aber viele Gäste.
1899 stirbt der Gründer des Exotenwaldes. Noch bis 1883 hat er sein Pflanzbuch fortgeführt, immer wieder Nachpflanzungen vorgenommen. Aber dann tut sich lange nichts. Der Wald ist freilich weiter in Privatbesitz der Nachkommen des Freiherren, die im Jahre 1900 in den erblichen Grafenstand erhoben werden. Erst für die Jahre 1920 bis 1941 ist wieder von einer zweiten Anbauphase die Rede. Dazu gelingt es offenbar dem seinerzeitigen Weinheimer Revierförster Heinrich Wendt, Mitglied der Dendrochronologischen Gesellschaft und am Anbau exotischer Bäume sehr interessiert, das Interesse, ja die Begeisterung der Familie zu wecken.
Leere Grablege
„Er hat den Wald, der in Vergessenheit geraten war, wieder vorangebracht und auch Werbung dafür gemacht, die wie eine Bombe eingeschlagen hat“, erklärt Spicker: „Seitdem ist der Wald sehr gut besucht“, und seit 1970 erinnert eine Schutzhütte mit den Namen „Wendt-Hütte“ an die Verdienste des Försters.
Seit 1955 befindet sich der Exotenwald im Eigentum des Landes Baden-Württemberg – das Schloss hat die Familie bereits 1938 an die Stadt Weinheim veräußert. Der Wald wird durch die Beschäftigten von ForstBW bewirtschaftet. Sie halten die Wege frei, kümmern sich um den Erhalt, Erforschung und die Pflege der seltenen Baumarten. „Es kommen auch immer wieder Fachleute aus der Forstwissenschaft hierher“, berichte Spicker. Und die Förster würden alles tun, dass der Exotenwald weiter lebt. „Sie machen jedes Jahr Versuche mit zwei bis drei neuen Arten“, erklärt er.
Dagegen ist die Familie von Berckheim ausgestorben. Mit Constantin Christian Graf von Berckheim, der zuletzt in Hechingen als Geschäftsmann lebt, stirbt 2018 das letzte Mitglied der Familie im Alter von nur 60 Jahren. „Zu Weinheim hatte er kaum einen Bezug“, so der Stadtführer. Er sei ein Kind aus der zweiten Ehe von Philipp Constantin von Berckheim und Prinzessin Sophie Antoinette von Fürstenberg gewesen. Philipp Constantin von Berckheim, einst erfolgreicher Porsche-Rennfahrer in den 1950er Jahren und dann wegen eines Unfalls gelähmt, ist das letzte Mitglied der Adelsfamilie, das in Weinheim gelebt hat – „vereinsamt, mit Diener in einer Zwei-Zimmer-Wohnung“, wie Spicker voller Mitleid erzählt.
Er ruht in der 1908 bis 1913 vom Mainzer Dombaumeister Ludwig Beck im Schlosspark am Rande des Exotenwalds im byzantinischen Stil mit Säulenportikus errichteten Mausoleum. 39 Sargkammern umfasst die noch in Familienbesitz befindliche Grablege, aber nur acht sind belegt, „und es wird kein Berckheim mehr dazukommen“, bedauert Dietmar Spicker.
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