Essay

Ein Meer aus Plastik

Irgendwo zwischen Japan und den USA befindet sich ein Meer aus Plastik. Charles Moore hat es 1997 durchsegelt und ein Buch darüber geschrieben.

Von 
Stefan Kern
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Kunststoff wurde gerade einmal vor etwas mehr als 150 Jahren erfunden. Noch 1950 wurden weltweit nur rund 1,5 Millionen Tonnen Plastik hergestellt. Im vergangenen Jahr waren es 288 Millionen Tonnen und laut Branchenverband scheint das noch lange nicht das Ende der Fahnenstange zu sein. © Khaled Daoud

Rhein-Neckar-Kreis/Welt. Weiter weg geht nicht. Mitten im Nordpazifik, rundum Wasser, irgendwo im Nirgendwo zwischen Japan und den USA und doch mitten in der Zivilisation, genauer ihren Hinterlassenschaften. Charles Moore segelte 1997 in diesem Gebiet und was er sah, ließ ihn im ersten Moment an eine Sinnestäuschung glauben. In seinem Buch „Plastic Ocean“ schreibt er von Plastikbehältern und Plastiksplittern im Wasser, so weit das Auge reicht.

Eine ganze Woche lang segelte Moore durch ein Meer aus Plastik. „Solche Müllmengen habe ich bisher nur lokal begrenzt in Küstennähe oder in Flüssen gesehen, aber nicht Tausende Kilometer weg von jedem Land.“

Vom Pazifik zurück nach Heidelberg, genauer zum Philosophenweg.

Ostermontag 2014, der Heidelberger Coach und Mediator Peter Traub-Martin geht spazieren. Auf einmal fällt ihm ein braun-orangener Fleck im Laub auf. Eine Plastiktüte. Nichts Besonderes und wenn Traub-Martin kein Tütensammler wäre, wäre es das auch gewesen. Doch er sah genauer hin und zog eine Tengelmann Olympia Tüte aus dem Jahr 1972 ans Licht. Hier überraschte weniger die Menge als das Alter. 42 Jahre alt, sichtlich mitgenommen, aber durchaus noch intakt. Es sind zwei Geschichten, die in Sachen Kunststoff den Rahmen setzen. Es ist viel, es wird immer mehr und das Zeug bleibt sehr lange in der Umwelt.

Kunststoff wurde gerade einmal vor etwas mehr als 150 Jahren erfunden. Noch 1950 wurden weltweit nur rund 1,5 Millionen Tonnen Plastik hergestellt. Im vergangenen Jahr waren es 288 Millionen Tonnen und laut Branchenverband scheint das noch lange nicht das Ende der Fahnenstange zu sein. Allein in Europa wächst die Branche laut EU-Kommission jährlich mit rund fünf Prozent. Stellt sich die Frage, wo der Müll bleibt. Viel wird verbrannt oder auf Müllhalden deponiert. Aber leider, so der frühere EU-Umweltkommissar Janez Potocnik, lande der Kunststoffabfall zu einem durchaus erheblichen Anteil auch im Meer. Und im Meer gilt die Regel des amerikanischen Chemikers Tony Andrady am „Research Triangle Institute“: „Jedes kleine Stück Kunststoff, das in den letzten 50 Jahren hergestellt wurde und ins Meer gelangte, ist dort immer noch irgendwo.“ Nur viel kleiner, denn Sonne und Salzwasser zerbröseln den Kunststoff sozusagen.

Plastik im Meer – Mikroplastik produzieren wir alle

Bei einer Plastiktüte dauert das gut zehn Jahre. Bei einem Styroporbecher sind es rund 50 Jahre, eine Wegwerfwindel oder eine Plastikflasche brauchen gar 450 Jahre und Rekordhalter sind Angelschnüre aus Kunststoff mit rund 600 Jahren. Völlig unverständlich sei darüber hinaus, dass kleinste Plastikpartikel auch zunehmend direkt ins Wasser geraten. Denn immer häufiger werden diese in Haar- und Duschgels mit Peelingeffekt oder auch Zahnpasten eingesetzt. Auch Fleece-Pullis und-Jacken verschlimmern die Lage. Gehen doch pro Waschgang bis zu 2000 winzige Kunstfasern verloren, die annähernd ungehindert durch unsere Flüsse bis ins Meer gelangen. Kein Wunder, dass Moore kaum noch Flecken entdeckte, wo sich kein Plastikmüll finden ließ.

Egal, wohin sich der Segler Moore seit damals wandte, der Plastikmüll war schon da. Neben dem 1997 von ihm entdeckten „Great Pacific garbage patch“, einem Strudel aus Kunststoffmüll so groß wie Europa, wurden in den Weltmeeren vier weitere gewaltige Wirbelsysteme gefunden, in denen sich der Müll ansammelt. Wissenschaftler des UN Umweltprogramms UNEP schätzen, dass in den Meeren pro Quadratkilometer 18 000 Plastikteile schwimmen. In dem Strudel, vor allem dem pazifischen, kann diese Zahl auch auf rund eine Million Teile pro Quadratkilometer steigen.

Plastik im Meer – Verhältnis Kunststoff zu Plankton wäre dann zehn zu eins

Das Verhältnis Kunststoff zu Plankton wäre dann hier rund zehn zu eins. Aber auch im Mittelmeer, wo es keine solchen Meeresströmungen gibt, die sich wie Strudel verhalten, wurden vereinzelt bis zu 300 000 Plastikteilchen pro Quadratkilometer gefunden. Eine Studie des „Spanish National Research Council“ (CSIC) führte zu dem Ergebnis, dass fast 90 Prozent der weltweiten Meeresoberflächen mit Mikroplastik verschmutzt sind. Und rund 80 Prozent des Kunststoffmülls im Mittelmeer, so belegt es eine Studie der Universität Cadiz, stammt von To-go-Verpackungen.

Auch das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven erklärte jüngst, „nahezu überall lässt sich Plastik finden“. Allein am Grund der Arktis habe sich der Plastikmüll in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Und das könnte eine weitere ökologische Zeitbombe sein. Denn rund 70 Prozent des Plastikmülls sinken auf den Meeresgrund und laut der Expertengruppe der Vereinten Nationen für Meeresschutz (GESAMP) weiß niemand, was das für Auswirkungen haben könnte.

Plastik im Meer – mittlerweile mindestens 150 Millionen Tonnen

Insgesamt, so verschiedene Expertenschätzungen, treiben im Meer mittlerweile mindestens 150 Millionen Tonnen Kunststoffmüll. Unvorstellbare Zahlen und in den Augen Moores eine der größten und zugleich verstecktesten Umweltkatastrophen überhaupt. Wobei sich das mit dem Versteckt langsam zu ändern scheint. Werden die Einschläge doch sozusagen größer und kommen dem Menschen nun auch näher. Noch vor wenigen Jahren ging die Wissenschaft davon aus, dass hauptsächlich Vögel und kleinere Fische von dem Plastik im Meer bedroht sind, weil sie die bunten kleinen Plastikteile mit Nahrung verwechseln. Und das, so eine weit verbreitete Annahme, in einem durchaus überschaubaren Ausmaß. Die Gefahr schien weit weg und für den Menschen eher abstrakt.

Doch das Stranden eines toten Pottwals im Frühjahr 2012 an der andalusischen Küste machte diese Vorstellung obsolet. 30 Quadratmeter Abdeckplane, über vier Meter Schläuche, neun Meter Kunststoffseile und gut 2,5 Kilogramm kleinerer Plastikmüll bescherten dem Wal einen qualvollen Tod durch Darmdurchbruch.

Plastik im Meer – gesamtes Ökosystem betroffen

Nun sind also nicht mehr nur kleinere Tiere betroffen, sondern offenbar das gesamte Ökosystem. Und die Sache scheint sich weiter zu verschärfen. Es sind ältere Zahlen, sie sind sehr wahrscheinlich untertrieben und dennoch dramatisch genug. Jedes Jahr, so die UN, gelangen aufs Neue rund sechs Millionen Tonnen Plastik ins Meer. Das Ganze läuft völlig aus dem Ruder und bedroht alles Leben in den Weltmeeren.

In einer Studie der Universität Oldenburg wurden beispielsweise in allen untersuchten Kotproben von Seehunden und Kegelrobben im niedersächsischen Wattenmeer Mikroplastik gefunden. Und die Trefferquote für Mikroplastik bei einer Untersuchung des Forschungs- und Technologiezentrums Westküste der Universität Kiel in Sachen Eisvögel, die zwischen 2007 und 2011 an der deutschen Nordseeküste gestorben sind, liegt bei 96 Prozent.

Plastik im Meer – Plastikproblem kommt zurück zum Menschen

Die Gefahr scheint aber weit darüber hinauszugehen. Denn das von Meerwasser, Sonnenlicht und Reibung zu kleinsten Plastikpartikeln verarbeitete Plastikproblem kommt über die Tiere wieder zurück zum Menschen. Dabei sind die Kunststoffpartikel allein gar nicht das größte Problem. Weit risikovoller sei, so Professor Thomas Knepper vom Fachbereich Chemie der Hochschule Fresenius und sein früherer Doktorand Sascha Klein, dass diese treibenden Plastikteilchen auf Schadstoffe fast magnetische Wirkung zu haben scheinen. „Insektenschutzmittel wie DDT und zahlreiche andere Giftstoffe reichern sich an den Teilchen stark an.“

Forscher vom Alfred-Wegner-Institut fanden auf Meeresplastik gar Cholerabakterien. Wobei hier noch niemand weiß, ob diese Bakterien nicht auch auf anderes Treibgut gelangen konnten. Sicher ist aber, dass durch die zunehmende Vermüllung der Meere eine auch für den Menschen verhängnisvolle Kettenreaktion in Gang gesetzt wurde. Industriemüll landet im Meer und wird in kleinste Partikel aufgelöst. Hier reichern sich Giftstoffe an, das Ganze wird von Fischen gefressen, die am Ende mit den Giften wieder bei uns auf dem Teller landen.

Der Exekutivdirektor der UNEP, Achim Steiner, sprach hier kürzlich von einem breiten Problem“, für das der marine Müll nur ein weiteres Symptom sei. „Eine fatale Abfolge, der verschwenderische Verbrauch, das anhaltend schlechte Management natürlicher Ressourcen und damit die zunehmende Zerstörung unserer Lebensgrundlage.“ Statt immer neuen Müll zu produzieren, sollten Plastiktüten, Flaschen und anderer Müll durch Recycling, Müllvermeidung und Abfallmanagement drastisch reduziert werden. Kein Aufwand sei zu viel. „Bei manchem Abfall wie Frischhaltefolie und Einweg-Plastiktüten, die das marine Leben ersticken, sollte die Herstellung verboten werden. Es gibt einfach keinerlei Rechtfertigung mehr, sie irgendwo noch zu produzieren." Ein Gedanke, den auch Traub-Martin teilt. „Wir müssen runter von unserem enormen Verbrauch und verantwortlich dafür ist auch jeder Einzelne von uns.“

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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