Mannheim

Ein Haus für die Geliebten des Kurfürsten

Direkt gegenüber vom Mannheimer Schloss hat Kurfürst Carl Theodor für seine Mätresse und die vier unehelichen Kinder ein prächtiges Gebäude, das Palais Bretzenheim, gebaut. Sogar von einem unterirdischen Geheimgang ist oft die Rede.

Von 
Peter W. Ragge
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Zunächst sagt man ja seiner Frau Elisabeth Augusta am Hof nach, dass sie „schöne Männer und starke Schenkel des Militärs“ schätze. Die Ehe mit dem rund vier Jahre jüngeren Kurfürsten ist schließlich von ihrem Opa Carl Philipp arrangiert worden und bleibt fast 19 Jahre kinderlos. Als Elisabeth Augusta dann doch schwanger wird, stirbt der Säugling gleich nach der Geburt in der Nacht vom 28. auf 29. Juni 1761. Danach geht die Ehe des Kurfürstenpaares endgültig in die Brüche. Es lebt getrennt.

Die Kurfürstin habe wegen der Folgen der Geburt „dem ehelichen Umgang entsagen“ müssen, sagen alte Quellen aus der Barockzeit. Da könne man doch von Carl Theodor, gerade mal 37 Jahre jung, nicht verlangen, enthaltsam zu leben.

Doch ob sich der Regent wirklich erst dann außerehelich orientiert hat, nachdem seiner Frau die Geburt eines Thronfolgers misslang, ist eher unwahrscheinlich. Mätressen sind schließlich üblich und auch sehr angesehen an barocken Fürstenhöfen – die Marquise de Pompadour wird von Frankreichs König Ludwig XV. gar als erste Bürgerliche in den Rang der „maîtresse en titre“ (offiziellen Mätresse) erhoben.

Eine Bäckerstochter

Allerdings weiß man über Carl Theodors Liebesleben nicht so viel wie über die Leidenschaften am Hof von Versailles. Offiziell überliefert ist zu den Nebenfrauen kaum etwas. Eine gute Quelle gibt es dennoch. Andreas von Riaucour, Reichsgraf und Diplomat im Dienste des Kurfürsten von Sachsen am Kurpfälzischen Hof in Mannheim mit Sitz in einem Palais N 2, 4, hat viele Geschichten und Geschichtchen an seinen Herren nach Dresden berichtet. Die sind weitgehend erhalten.

Danach gilt als erste Mätresse Carl Theodors eine Eleonore (oder auch Franziska) Huber. Die Tochter eines Bäckers zählt ab 1758 als Primaballerina zum Hofballett. Sie soll eine Tochter zur Welt gebracht und nach Frankreich verschwunden sein – aber genau weiß man da nichts, ihre Spur verliert sich.

Danach soll sich der Kurfürst der Schauspielerin Francoise Despres-Verneuil zugewandt haben, die ihm 1762 die Tochter Karoline Franziska Dorothea und 1764 einen – früh verstorbenen – Sohn schenkt. Der Regent erhebt sie als Gräfin von Parckstein in den Adelsstand, aber sie erkrankt an Schwindsucht (Tuberkulose) und stirbt 1765 in Frankreich.

Zur Gräfin ernannt

Später werden dem Kurfürsten noch Liebeleien mal mit der erst 16-jährigen Tochter Augusta der Sängerin Dorothea Wendling, mal mit einem Freifräulein Josepha von Leutrum aus dem Hofstaat seiner Frau nachgesagt. Diese Josepha soll sogar, als seine Ehefrau protestiert und der Kurfürst sie loswerden will, mit Gewalt von Hofbediensteten aus dem Schloss gebracht worden sein und später Carl Theodor doch eine Pension abgerungen haben.

Aber wer lange die ganz große Liebe des Regenten ist, das steht fest – denn ihr schenkt er ein Gebäude: Die 1748 geborene Maria Josepha Seyffert ist eindeutig seine Favoritin. Die Tochter eines Sekretärs und Kanzlisten der Finanzverwaltung fällt dem Kurfürsten als 17-jährige Figurantin, also Statistin, am Ballett des Hoftheaters auf. Ab 1765 gilt sie als seine Mätresse. Er rühmt ihre Klugheit, Anmut, Sanftmut und Schönheit, aber auch die Bereitschaft der Geliebten, sich dem höfischen Protokoll und der Diskretion zu unterwerfen.

Fast sieben Jahre währt die Liaison, ja heute würde man sagen feste Beziehung. Schon 1767 verleiht Carl Theodor seiner Mätresse das persönliche Adelsprädikat, macht sie zur Freifrau von Heydeck – angelehnt an die Stadt Heideck im Fürstentum Pfalz-Neuburg. Nach der Geburt von Carolina Josepha Philippina im Januar 1768, die Carl Theodor unverzüglich als seine leibliche Tochter anerkennt, erhöht er den Rang und erhebt sie 1769 zur Gräfin von Heydeck, was nun ein erblicher Titel auch für deren Kinder ist.

Sie liegt Carl Theodor derart am Herzen, dass er in Sichtweite des Schlosses für sie sorgt: direkt gegenüber, im Quadrat A 2. Zur Stadtgründung 1607 haben sich hier Teile der Zitadelle (Festung) befunden, nach deren Zerstörung und der Aufwertung Mannheims als Residenz ab 1720 stehen da nun Bürgerhäuser, oft von Hofbediensteten. Tatsächlich weist die – erhalten gebliebene! – offizielle Liste der Hauseigentümer für das Jahr 1765, also bald nach Beginn der Liaison, für das Haus mit der Nummer 5 „Madamme Seifert, Maitreße“ als Eigentümerin aus zwischen dem dort wohnenden Hofkammerrat und dem Hofschreiner. Den Akten zufolge hat der Kurfürst der Tänzerin zunächst das alte Haus Nr 5 „gegenüber dem Gasthof zum Schiff“, also im A 1 zugewandten Teil von A 2, als Wohnung überlassen.

Mozart als Klavierlehrer

Das reicht aber bald nicht mehr. Schließlich folgen noch drei weitere Nachkommen: Carl August Friedrich Joseph (1769) sowie die Zwillinge Eleonore Caroline Josephine und Friederike Caroline Josephine, nach deren Geburt 1771 die Geliebte des Kurfürsten aber bereits mit 23 Jahren drei Wochen nach der Geburt am 27. Dezember 1771 dem Kindbettfieber erliegt. Beigesetzt wird sie zunächst in der Kapelle des Karmeliterklosters im Quadrat L 3.

Da hat Carl Theodor schon über Strohmänner – vorgeschickt werden der Hoforganist sowie ein Jagd- und Forstamtssekretär – die zwei Nachbarhäuser von Nummer 5 gekauft und lässt sie zu einer „dreystöckigen Eckbehausung“ für seine Familie umbauen, deren Fertigstellung Josepha aber nicht mehr erlebt.

Der Kurfürst indes sorgt rührend für seine unehelichen Kinder. Er bestellt den – von Schloss Neckarhausen bekannten – Minister Franz Albert von Oberndorff und den Hofgerichtsrat Joseph von Finck zu Vormündern. Zudem kauft er 1772 die aus zunächst zwei Dörfern und etwas Land bestehende Grafschaft Bretzenheim bei Kreuznach an der Nahe. Das ist die Voraussetzung, dass Kaiser Joseph II. den vier Geschwistern den Titel der Reichsgrafen von Bretzenheim zuerkennt.

Gleichzeitig macht Carl Theodor seine Nachkommen offiziell zu Eigentümern der Grundstücke in A 2, wo er sie oft besucht und ihnen eine hervorragende Erziehung angedeihen lässt. Hier gibt Wolfgang Amadeus Mozart den, wie er seinem Vater nach Salzburg schreibt, „naturlichen Kindern des Churfürsten“ 1777 Klavierunterricht – und zwar zeitweise in Anwesenheit Carl Theodors. Diese mehrfach auftauchende Formulierung belegt, dass es im barocken Mannheim keinesfalls ein Geheimnis darstellt, dass der Regent außerehelichen Nachwuchs hat.

Sehr unwahrscheinlich ist daher das immer wieder auftauchende Gerücht, zwischen dem Palais Bretzenheim und dem Schloss habe es einen unterirdischen Gang gegeben, damit der Kurfürst unbeobachtet zu seiner Geliebten gehen kann. Einmal hat er das Verhältnis gar nicht geheim gehalten. Zudem wird das Palais erst gebaut, als die Tänzerin tot ist – und Carl Theodor längst in München residiert, da er das bayerische Erbe der Wittelsbacher antreten muss.

Größte Baustelle

Von dort beauftragt Carl Theodor den Hofbildhauer und Architekten Peter Anton von Verschaffelt, bekannt durch viele Skulpturen im Schwetzinger Schlossgarten sowie das Mannheimer Zeughaus, mit dem Bau eines Palais, das die gesamte Front des Quadrats A 2 zum Schloss hin einnehmen soll. Mehrere Nachbargrundstücke werden dazu zugekauft. 1772 bis 1788 dauert der Bau des dreigeschossigen klassizistischen Villenbaus mit schmiedeeisernem Balkongitter, großem Wappen mit Brezel und zwei kurpfälzischen Löwen auf einem Segmentgiebel sowie durch Lisenen und Konsolen verzierten Fenstern.

Über 219 000 Gulden kostet der Bau – nach heutiger Währung mehrere Millionen Euro. Er gilt als größte Baustelle Mannheims jener Jahre. Zur Einweihung reist Carl Theodor 1788 eigens aus München an.

Lange leben die vier Kinder des Kurfürsten hier aber nicht. Friederike Caroline Josephine zieht bereits als Mädchen in das Damenstift Lindau und wird dort gar Fürstäbtissin, scheidet aber wieder aus, weil sie Graf Maximilian Friedrich von und zu Westerholt-Gysenberg heiratet. Auch die anderen Gräfinnen heiraten, weshalb Carl August Graf von Heydeck, ab 1789 mit dem Titel Fürst von und zu Bretzenheim versehen, bald alleine, dann mit seiner Frau und seinen Kindern in A 2 residiert.

Viele der 60 künstlerisch wertvoll ausgestatteten Räume dienen aber dem Kanzleidirektor sowie Kanzleiangestellten zur Verwaltung der Güter der Grafschaft Bretzenheim oder Kammerherren und weiteren Dienern, dazu kommen Zimmer für Weißzeug, Porzellan und Silber.

Immerhin hat Kaiser Josef II. dem Fürsten Carl August das Münzrecht zuerkannt. Carl Theodor bestellt seinen unehelichen Sohn zum Großprior des Malteserordens und überträgt ihm das Brennholzmonopol. Aber er gilt nicht als der Fleißigste, überlässt alles den Verwaltern, geht lieber auf die Jagd oder feiert.

Umzug nach Wien

Als ab 1790 französische Revolutionstruppen auf den Rhein zumarschieren, verlässt er Mannheim, zieht nach München und erwirbt ein Palais in Schwabing. Nachdem 1799 sein Vater Carl Theodor stirbt und nicht mehr die schützende Hand über ihn halten kann, gilt der am Hof ohnehin keineswegs angesehene uneheliche Sohn in München gar nichts mehr. Erst zieht er nach Wien, dann verkauft oder tauscht er alle deutschen Besitzungen in ungarische Güter, auf denen er lebt.

In Palais Bretzenheim wohnt er nie mehr. Nach seinem Tod 1823 steht das Gebäude weitgehend leer und bald zum Verkauf. 1842 erwirbt es Conrad Rutsch, durch Pelzhandel zu Wohlstand gekommen. Zu seiner Verwandtschaft zählt Friedrich Hecker, 1848 einer der Anführer der badischen Revolution, der auch ausgerechnet in dieser absolutistischen Villa revolutionäre Reden geschwungen haben soll. Nach dem Tod von Rutsch leben noch seine Töchter mit ihren Familien in A 2, ehe 1899 die Rheinische Hypothekenbank das Anwesen übernimmt.

Die Bank baut um

Sie baut kräftig an und um – wobei man auch wieder auf einen unterirdischen Gang stößt. Er wird aber entweder als Teil einer Brunnenanlage aus der Festungszeit oder als Brunnenschacht aus dem 18. Jahrhundert identifiziert, keineswegs als kurfürstlicher Geheimgang.

Im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, wird das Palais unter Leitung des Architekturbüros Lange/Mitzlaff wieder aufgebaut, an einigen Stellen auch historische Bausubstanz wie im Treppenhaus, bei Stuckelementen und Supraporten bewahrt. Bis in die 1980er Jahre arbeiten hier mehr als 100 Bankangestellte. Als die Rheinische Hypothekenbank aber 2002 im Zuge einer Fusion ihren Sitz nach Frankfurt verlegt, kauft das Land Baden-Württemberg für fünf Millionen Euro das, wie es damals heiß, „architektonische Kleinod“, und steckt noch mal zwei Millionen Euro in die Sanierung, um darin Abteilungen des Amtsgerichts unter zubringen.

Im Foyer erinnert weiter eine Tafel daran, dass hier Wolfgang Amadeus Mozart gewirkt hat. In der Kapelle von Schloss Zwingenberg am Neckar würdigt ein Marmorepitaph die „vortrefflichste Mutter“ der Grafen von Heydeck. Nachdem Carl August Graf von Heydeck 1778 von seinem Vater die Herrschaft über Zwingenberg übertragen bekommt, lässt er die sterblichen Überreste von Josepha Seyffert von Mannheim hierherbringen und beisetzen. Viel mehr Erinnerungen an die Nachkommen den Kurfürsten gibt es indes nicht mehr – denn schon 1863 stirbt das Geschlecht aus, da Carl Augusts Söhne kinderlos bleiben.

Redaktion Chefreporter

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