Haie und Seekühe, die sich rund um Mannheim im Wasser tummeln? Schwer vorstellbar, aber Tatsache –wenn auch 30 Millionen Jahre her. Oligozän nennt sich dieses Erdzeitalter, das erst 415 Jahre alte Mannheim existiert da noch lange nicht. Wie auch? „Da reichte die Ur-Nordsee bis Basel und die Senkungszone des Oberrheingrabens war ein Meeresgebiet“, sagt Wilfried Rosendahl, Generaldirektor der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen.
Der Experte für Geologie, Paläontologie, Ur- und Frühgeschichte zeigt in den Reiss-Engelhorn-Museen gerade beeindruckende Fotos des Fotokünstlers Robert Häusser vom Rhein – und er erzählt darüber hinaus gerne über die Zeit, als der Odenwald Küstengebiet mit Meeresblick ist und der heute 1233 Kilometer lange Rhein sowie mit ihm der bis zu 40 Kilometer breite Oberrheingraben, derzeit Schauplatz des bislang größten grenzüberschreitenden Kulturprojekts der Region, erst entstehen.
Abfluss zur Donau
Immerhin sei der Oberrheingraben „eine der bedeutendsten geologischen Großstrukturen Europas“, so Rosendahl – ein Bruch in der Erdkruste, der sogar aus dem Weltraum sowie auf Satellitenbildern gut zu erkennen ist. Er entsteht bei gewaltigen Veränderungen im Zuge der Auffaltung der Alpen und des Ausbruchs von Vulkanen, etwa des Kaiserstuhls, was den Bereich heute noch zur Erdbebenzone macht.
Den heutigen Rheinverlauf von den Alpen bis zur Nordsee gibt es – im Vergleich zur ganzen Erdgeschichte „erst“ – seit etwa 2,6 Millionen Jahren. Zu Beginn des jetzigen Eiszeitalters (Quartär) erfolgt der Anschluss des heutigen Alpenrheins an das Flusssystem des sogenannten Ur-Rheins. „Bis dahin war der Alpenabfluss über die Aare zur Donau“, so Rosendahl. Die Quellen des rund 400 Kilometer langen Ur-Rheins liegen einst bei Freiburg, seine Mündung in der Niederrheinischen Bucht, erläutert er.
Das Rheingold
Längst hat der Rhein seine Ursprünge im Schweizer Kanton Graubünden. Im kleinen Tomasee im Gotthardmassiv ist er noch ein Bächlein, als Vorderrhein bekannt. Zusammen mit dem Hinterrhein, der nahe des Rheinwaldhorns entspringt, vereinigen sich die beiden Bäche zum Alpenrhein und fließen in den Bodensee. Bei Schaffhausen, bei dem berühmten Rheinfall, stürzt der Strom 23 Meter in die Tiefe und fließt rasant als Hochrhein Richtung Basel, um dann als Oberrhein die Tiefebene zu durchqueren, schließlich das Rheinische Schiefergebirge zwischen bis zu 300 Meter hohen Talhängen zu durchbrechen, den berühmten Felsen Loreley zu passieren und in breiten Bögen als Niederrhein der Mündung in die Nordsee zuzustreben. Doch zuvor löst sich der große Strom auf – in viele kleine Adern, die im Meer enden.
Auf dem Weg dorthin schleppt der Strom viel mit sich – Sand, Gesteine und auch Gold. Jeder kennt den Mythos vom Rheingold, das der Überlieferung nach bei Worms auf dem Grund des Rheins liegt. Richard Wagner hat daraus eine wunderbare Oper gemacht, den Auftakt für seine Tetralogie „Ring des Nibelungen“. Da bewachen die Rheintöchter Floßhilde, Wellgunde und Woglinde den Schatz, der zu endloser Macht verhilft, wenn sein Besitzer der Liebe abschwört und einen Ring daraus schmiedet. Bekanntlich endet Wagners Geschichte in einem Weltuntergang, der „Götterdämmerung“.
Aber dass es Gold im Rhein gibt, das ist keine Fantasie von Wagner – im Gegenteil. „Rheingold“ gibt es wirklich. „Es hat einen ganz natürlichen Ursprung“, erklärt Rosendahl. Die von Waldshut bis Mainz vorkommenden Goldflitter stammen überwiegend aus den Alpen, gelangen über Aare und Reuss in den Rhein, werden an unterschiedlichen Stellen in feinkörnigen Flusssedimenten mit abgelagert. Auch der Südschwarzwald sei eine Zuliefererregion für Goldflitter in den Rhein. „Die Flitterchen sind mit 0,5 bis drei Millimeter sehr fein“, erklärt er. Während bei Istein auf ein Gramm Gold über 20 000 Goldpartikel kämen, seien es weiter rheinabwärts bei Karlsruhe schon bis zu 200 000 Anteile. Dabei sei das Rheingold ist mit über 97 Prozent Goldgehalt „sehr hochwertig und wertvoll“.
Belegt ist eine Edelmetallgewinnung aus dem Rhein bereits bei den Kelten vor über 2500 Jahren zur Herstellung ihrer Münzen, den Regenbogenschüsselchen. Auch von Römern und Germanen weiß man, dass sie Gold gewaschen haben. „Vom Mittelalter bis in die Neuzeit wurde das Goldwaschen von Fischern, Bauern und Handwerkern im Nebenerwerb während der Winterzeit oder nach größeren Überschwemmungen betrieben“, so Rosendahl. Für eine hauptberufliche Existenz seien die Erträge zu gering und „ein mühsames Unterfangen“.
„Zuerst wurde über einem engen Gitter der Sand vom gröberen Kies getrennt, im nächsten Schritt der Sand auf einer Waschbank mit Wasser gespült und man versuchte, die schwereren Goldflitter mit einem darunter liegenden Sackleinen aufzufangen“, schildert Rosendahl das Vorgehen. Das habe sich mehrfach wiederholt. „Um das Gold von den letzten feinen Sandkörnern zu trennen, wurde Quecksilber hinzugegeben“, erläutert er, denn im Quecksilber löst sich das Gold auf und es entsteht eine Legierung. Wird sie erhitzt, verdampft das giftige Quecksilber und das Gold bleibt übrig – eine freilich sehr schädliche Methode für Menschen wie Umwelt.
Tipps für Besucher
Das Projekt: Zwischen Herbst 2022 und Sommer 2023 beleuchten 38 Ausstellungen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz den Rhein zwischen Schaffhausen und Bingen unter vielfältigen Aspekten. Es ist das bislang größte grenzüberschreitende Kulturprojekt zu diesem Thema am Oberrhein. Schirmherrin ist die trinationale Oberrheinkonferenz, die sich für die grenzüberschreitende Kooperation der drei Länder einsetzt. Die grenzüberschreitenden Ausstellungsreihen des Netzwerks sind die größte Initiative dieser Art in Europa.
Internet: Infos über alle Ausstellungen unter www.netzwerk-museen.eu.
Ausstellungsbuch: „Der Rhein“ mit 27 Texten über den Rhein und kurzen Informationen über alle 38 Ausstellungen, Nünnerich-Asmus Verlag, 176 Seiten, 15 Euro.
Ausstellung Mannheim: „Die Welt am Oberrhein – Fotografien von Robert Häusser aus den 1960er Jahren“, bis 30. Juli 2023, Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, Forum Internationale Photographie, Museum Zeughaus C 5, geöffnet Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr.
Ausstellung Karlsruhe: „Rheingold – Rohstoff aus dem Fluss“, bis 10. September 2023, Auswahl der schönsten Prägungen aus den Beständen des Münzkabinetts, historische Gerätschaften und Bilddokumente zur Prozedur des Goldwaschens, Badisches Landesmuseum, Schloss Karlsruhe, geöffnet Dienstag bis donnerstag 10 bis 17 Uhr, Freitag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr.
Literaturtipp: Hans Jürgen Balmes, „Der Rhein – Biographie eines Flusses“, S. Fischer Verlag, mit farbigem Bildteil, Karten und Zeichnungen, 560 Seiten, 28 Euro. pwr
Auch der schwarze Sand, der beim Goldwaschen übrig blieb, sei zu Geld gemacht worden – zum Binden der noch feuchten Tinte in den Schreibstuben der Rathäuser. Die Blütezeit der Goldwäscherei endet indes 1866, und bereits 1854 wird die letzte Münze aus Rheingold im Großherzogtum Baden geprägt.
„Schwarzes Gold“, wie Erdöl ja genannt wird, wird am Rhein indes viel länger gefördert – dank der Ablagerungen der Meeres-, Fluss- und Seesedimente in bis zu 3000 Metern Tiefe. In den Pechelbronner Schichten, bekannt nach dem elsässischen Ort Pechelbronn, finde man sogar Erdpech – was zur Namensgebung des Ortes führte. „Mit Pechelbronn liegt die älteste Erdölförderung Europas im Oberrheingraben, und eine Förderung bei Landau, Eich oder Stockstadt findet heute noch statt“, verweist Rosendahl auf die als Pferdekopfpumpen bezeichneten Tiefpumpen, die man dort sieht.
Über Jahrhunderte muss man sich den Rhein als einen wilden, breit mäandrierenden Fluss vorstellen, mit bis zu vier Kilometer breitem Flussbett, riesigen Schlingen langsam dahinfließender Rheinarme sowie umsäumt von Auenwäldern. „Einerseits boten diese Gebiete als Fischereigründe, als Quelle für Brenn- und Bauholz oder als Rohstofflieferant für Korbflechter und Küfer gute Lebensgrundlagen, andererseits waren die Auen mit ihren jahreszeitlich wechselnden Rheinwasserständen für die Menschen und ihre Ansiedlungen durchaus bedrohlich“, erklärt Rosendahl.
Dichte Schwärme von Stechmücken prägen die Gebiete, sorgen für Ortsnamen wie Muggensturm oder Mückenloch und gelten als Überträger des Sumpffiebers beziehungsweise der Malaria. Als berühmtestes Opfer gilt Friedrich Schiller, der sich 1783 bei seinem Aufenthalt in Mannheim infiziert hat.
Tullas Eingriff
Das endet mit dem, was Rosendahl den „größten rheinlauf- und landschaftsverändernden Eingriff des Menschen in die Oberrheinwelten“ nennt: der Rheinbegradigung (Rektifikation) nach Plänen und unter anfänglicher Leitung des badischen Ingenieurs und Landvermessers Johann Gottfried Tulla (1770-1828) ab 1817. Er bändigt den wilden, reißenden Strom durch Dämme und Durchstiche, verengt das Flussbett auf 200 bis 250 Meter, begradigt und vertieft es. Er begründet das mit Hochwasserschutz sowie mit Landgewinnung, aber auch mit der Minimierung der Sumpffiebergefahr durch Trockenlegung von sumpfigen Auengebieten.
Das hat Tulla erreicht, doch ebenso den Grundwasserspiegel gesenkt. Die Hochwassergefahr ist seit der Begradigung an einigen Stellen eher gestiegen, und je nach Wasserstand rauscht der Strom nun mit bis zu 3400 Kubikmeter Wasser pro Sekunde am Ufer vorbei – die Wassermenge von acht Hallenbad-Becken!
Mit Abschluss der Arbeiten 1878 hat sich der Rheinlauf am Oberrhein um 81 Kilometer verkürzt – was freilich die Schifffahrt, insbesondere die aufkommende Dampfschifffahrt, wesentlich erleichtert. Den Strom wirklich durchgehend von Basel bis zur Nordsee schiffbar zu machen, schafft schließlich 1904 der Schweizer Ingenieur Rudolf Gelpke, indem er die als unüberwindlich geltende Strecke Straßburg – Basel befährt.
Dabei haben bereits die Römer den Rhein als Verkehrsweg genutzt, so Hiram Kümper, der an seinem Lehrstuhl für Spätmittelalter und frühe Neuzeit an der Universität Mannheim eine Forschungsstelle „Gedächtnis der Rheinschifffahrt“ betreibt. Unter Kaiser Julian, also um die Mitte des vierten Jahrhunderts, sollen 600 römische Kriegsschiffe auf dem Rhein stationiert gewesen sein. Schon in römischer Zeit hätten sich entlang des Stroms Zentren entwickelt, etwa Köln, Mainz und Straßburg. Günstige klimatische Bedingungen seien wie die exponierte Verkehrslage verantwortlich, dass der Rhein „ein frühes Zentrum der Urbanisierung mit einer mittelalterlichen Städtelandschaft von außergewöhnlicher Dichte“ geworden sein.
Zoll und Streit
Freilich bedeutet das: An die 40 Zollstationen finden sich im Mittelalter allein zwischen Basel und Köln. Für die Mündung von Neckar und Rhein ist ab 1247 belegt, dass hier Rheinzoll kassiert wird – an den Zollburgen Rheinhausen und Eichelsheim. Immer wieder führt das zu Konflikten und Händler versuchen, auf (allerdings nicht gerade sichere) Nebenstraßen auszuweichen.
„Stets hat man um den Rhein gestritten – an eigentlich allen Flussabschnitten“, so Kümper. Mal geht es um Zoll und Stapelrechte, bei denen Städte die Schiffer zum Anlegen und Anbieten ihrer Waren zwingen. Mal geht es um bauliche Eingriffe an den Ufern oder das Nutzungsrecht an sich neu bildenden Sandbänken und Inseln. „In einer Zeit, in der der Fluss sich noch unreguliert sein Bett suchte, war das noch ein ganz regelmäßiges Phänomen“, sagt Kümper. Nicht nur zwischen Dörfern, auch zwischen Staaten sei es oft zu Auseinandersetzungen gekommen, und besonders die Kurpfalz tut sich da lange hervor, veranstaltet bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts demonstrative Rheinbefahrungen, um auf ihre Rechte zu pochen.
Schon in einem Dekret der französischen Revolution 1792 wird es jedoch als „Ungerechtigkeit“ bezeichnet, wenn eine Nation ein exklusives Recht an einem Flussbett einfordert. Doch es dauert, ehe sich diese Haltung durchsetzt. Zwar gibt es erste Versuche von Verabredungen 1804 und 1814. Erst die 1868 unterzeichnete „Mannheimer Akte“ garantiert indes wirklich wirksam freien Waren- und Personenverkehr auf dem Rhein, schafft Zölle ab, verpflichtet die Anrainer zur Instandhaltung des Stroms und seiner Ufer, definiert Sicherheits- und Verkehrsvorschriften.
Wichtiger Vertrag
Sie trägt die Siegel der Vertreter der damaligen Uferstaaten Baden, Bayern (für die Pfalz), Frankreich, Hessen, Niederlande und Preußen und ist das älteste heute noch gültige internationale Vertragswerk. Darüber wacht die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, die bis 1920 in Mannheim im Schloss und seither in Straßburg ansässig ist.
Heute gilt der Rhein als verkehrsreichster Strom der Erde, zwischen Rheinfelden und dem Meer 884 Kilometer lang und auch für große Containerschiffe befahrbar. Über 9000 Schiffe umfasst die Rheinflotte. Mannheim hat sich durch den Rhein zu einer der bedeutendsten Binnenhandelsstädte Deutschlands entwickelt. Jährlich steuern über 7047 Schiffe den Mannheimer Hafen an, um Güter zu laden und zu löschen. Er ist der flächenmäßig größte Binnenhafen Deutschlands, wo 1500 Lagerhäuser und 1000 Tanks stehen und über 300 Betriebe rund 13 000 Arbeitsplätze bieten.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/erleben_artikel,-erleben-der-mythos-von-vater-rhein-_arid,2022706.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/worms.html