Hundegebell schallt durch den Wald, vermischt sich mit dem Klang der Jagdhörner, dazu das Donnern der Hufe galoppierender Pferde auf dem weichen Waldboden. Bei dieser riesigen, ausdauernden Meute, bei diesem enormen Tempo hat der Hirsch keine Chance. Ist er auf einer Lichtung in die Enge getrieben und erschöpft, bekommt er den Hirschfänger ins Herz gestoßen und es ertönt der Ruf „Halali“. Die Jagd ist aus.
Kurfürst Carl Theodor hat sie geliebt, die Jagd, und das heute bei Wanderern so beliebte sternförmig vom Karlstern ausstrahlende Wegenetz im Käfertaler Wald stammt genau aus jener Zeit der Parforcejagd.
Im Absolutismus ist die Jagd „in erster Linie fürstliches Vergnügen“, wie Ralf Wagner sagt, Konservator der Staatlichen Schlösser und Gärten. Sie dient „der Befriedigung eines großen Repräsentationsbedürfnisses“ und letztlich der Machtdemonstration. Der absolutistische Regent ist Herrscher über alles - nicht nur über das Volk. Mit der Jagd macht er sich die Tierwelt ebenso untertan wie mit der Gestaltung von Gärten und Palästen die Natur und die Architektur. Schließlich habe die Jagd „einen ganz praktischen Grund“ gehabt, so Wagner: „Fleisch war Grundnahrungsmittel am Hof.“ Jedem Höfling stand ein Pfund pro Tag zu, und der Hof- und Staatskalender vermerkt immerhin über 620 Angestellte des kurfürstlichen Hofs.
Kloster-Grundbesitz
Unter dem bis 1742 regierenden Kurfürsten Carl Philipp dominieren die Eingestellten Jagden. Da ist es üblich, dass die Tiere eingefangen und durch einen mit an Leinen hängenden Stofflappen begrenzten Weg getrieben werden - direkt vor einen „Jagdschirm“ genannten Unterstand und damit vor die Flinten des Kurfürsten und seiner hochgestellten Gäste. Sie müssen nur noch schießen. Sind Hirsche oder Wildschweine seitlich entwischt, waren sie „durch die Lappen gegangen“ - daher kommt das Sprichwort.
Gejagt wird im Käfertaler Wald freilich sehr viel länger schon. Das Domstift Worms, das Kloster Lorsch und das Kloster Schönau bei Heidelberg verfügen mehrere Jahrhunderte über den meisten Grundbesitz, den Gemeinden Sandhofen und Käfertal kommt das Weiderecht zu - sprich die Sauen der Bewohner dürfen gemästet werden, indem sie die Eicheln auf dem Boden fressen.
Immer mal wieder ändern sich die Besitzverhältnisse, weisen alte Grenzsteine doch neben dem berühmten Wormser Schlüssel und den „Wittelsbacher Wecken“ der Pfalzgrafen, heute als bayerische Rauten bekannt, auch das sechsspeichige Rad auf - das Emblem von Mainz. Kurmainz verpfändet seine Besitzungen vom aufgelösten Kloster Lorsch 1461 an die Kurpfalz.
Im 15. und 16. Jahrhundert gehen die in Heidelberg regierenden Kurfürsten vom heutigen Lampertheim aus auf die Jagd - von der Friedrichsburg, später Schloss Neuschloss genannt. 1521 ist Kaiser Karl V. während des Wormser Reichstags dort zu Gast. 1705 fällt das heute hessische Gebiet von der Kurpfalz wieder an den Bischof von Worms, während die Wälder nördlich des Dorfes Käfertal bei der Kurpfalz verbleiben.
Gefahrvolles Vergnügen
Deren Regent ist ab 1742 Kurfürst Carl Theodor, dessen Besitzungen aber ebenso die niederrheinischen Herzogtümer Jülich und Berg umfassen. Dort weilt er 1746/47 bei seinem Verwandten Clemens August, Erzbischof und Kurfürst von Köln. In dessen Jagdschloss Clemenswerth lernt Carl Theodor die Parforcejagd kennen und findet gleich Gefallen an dem „neuen, gefahrvollen Vergnügen“, wie er die heftige Hatz auf die fliehenden Hirsche nennt.
Noch von dort aus gibt Carl Theodor Order, in der Kurpfalz auch Vorbereitungen für Parforcejagden zu treffen. Im Käfertaler Wald wird daher begonnen, eine Fläche einzugrenzen. Deren Größe lässt sich aus den erhaltenen, von der Historikerin Susan Richter für die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg ausgewerteten Akten über die „Einrichtung einer Parforce Jagd bey Kefferthal“ (Der Ortsname ist vom „Tal der Kiefer“ abgeleitet) nicht entnehmen - wohl aber, dass Bretter, Pfosten und Stämme von allen umliegenden Dörfer zu liefern sind. Teilweise kommen sie von weit her, etwa als Floß gebunden über den Rhein bis Sandhofen und dann weiter mit Fuhrwerken in den Wald. Von 10 000 Pfosten und 6000 Palisaden ist die Rede. Bauern werden zu Frondiensten abgeordnet.
Als die Umzäunung fertig ist, müssen Treiber Wild an der Bergstraße, bei Amorbach im Odenwald, von der Pfälzer Haardt, gar im Murgtal aufstöbern, Richtung Mannheim treiben oder lebend einfangen und in hölzernen Verschlägen („Hirschkasten“ genannt) in den Käfertaler Wald karren. Das alte Käfertaler Heimatbuch schildert den Fall, dass dabei auf dem Rhein bei Sandhofen ein Kahn umkippt, Fährmann und das eingesperrte Wild ertrinken.
Auch um die Schneisen in den Wald zu schlagen, befehlen die kurfürstlichen Beamten Handfröner - also Männer, die ohne Lohn für den Herrscher zupacken müssen - sogar aus der Gegend um Mosbach in den Käfertaler Wald. So entstehen die einst acht Achsen im Wald, von denen heute noch sechs - bekannt etwa als „Lange Allee“, „Ahornallee“ oder „Kastanienallee“ sowie die Neue Poststraße - erhalten sind. Schließlich brauchen die den Hunden hinterhereilenden Reiter ebenes, offenes Gelände mit Schneisen. Im Zentrum der Alleen des neuen Parforceparks entsteht ein Stern, der nach Carl Theodor benannte „Carlsstern“, heute Karlstern.
„Unklar bleibt, ob zur Hege des Wildes der gesamte Park genutzt wurde oder ob zusätzlich innerhalb der Gesamteinfriedung noch ein Wildgatter abgetrennt worden war, von dem aus Tore zu den Alleen führten“, so Susan Richter. Der Kurfürst habe die Jagd sportlich gesehen, dem gehetzten Tier „eine ehrliche Chance“ eingeräumt und „eine eigene Niederlage“ nicht ausgeschlossen.
Vom Schloss zur Schule
In der Nähe des damaligen „Carlssterns“ muss es ein Jagdhaus gegeben haben. „Der Standort konnte bis jetzt nicht eindeutig festgestellt werden“, so Richter. Es müsse aber „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ in der Nähe des Schnittpunkts der Alleen gewesen sein. Als Beleg dafür dient eine Karte von 1801, die dort eine Ruine verzeichnet. Details seien den Unterlagen des Obristjägermeisteramtes - eine Behörde mit, je nach Jahr, 22 bis 33 Bediensteten - nicht zu entnehmen. Mangels irgendwelcher Rechnungen von Hofkünstlern oder (oft neidischer) Schilderungen von Gesandten anderer Herrscher geht man von einem schmucklosen Zweckbau aus.
Ein richtiges Jagdschloss hat es aber auch gegeben. Alte Pläne weisen ein hundert Meter langes zweigeschossiges Gebäude mit Walmdach und Gauben entlang der heutigen Wormser Straße aus, dazu Ställe und Hundezwinger. Einige Jahre lebt hier, auf Einladung des Kurfürsten, der Landwirtschaftsreformer Johann Baptist Lemaitre, der den Rhabarberanbau in der Kurpfalz etabliert. Der Schauspieler August Wilhelm Iffland - 1782 als Franz Moor in der Uraufführung von Friedrich Schillers „Die Räuber“ am Nationaltheater zu sehen - schildert in einem Brief 1786, dass er mit seinen Kollegen Johann Michael Boeck (Karl Moor) und Johann David Beil (Schweizer) da wohnt. Er beschreibt „eine recht angenehme Sommerwohnung auf einem ehemaligen churfürstlichen Jagdhause zu Käfferthal unweit Mannheim“. Ob die Schauspieler Miete zahlen oder Gast des Regenten sind, bleibt unklar.
Zumindest für Susan Richter ist „die Intensität der tatsächlichen jagdlichen Nutzung des Käfertaler Waldes durch den kurfürstlichen Hof weitgehend im Dunkeln“. Schließlich seien nur zwei Beschreibungen als Quellen vorhanden. Andererseits schreibt der französische Gesandte Tilly in einer seiner Depeschen, der Kurfürst gehe „fast täglich auf die Jagd“. Genau feststellen kann man es nicht mehr, „denn das Tagebuch des Hofkammerfouriers ist im Zweiten Weltkrieg verlorengegangen“, wie Wagner bedauert.
Vom Pferd gefallen
Für ihn steht aber fest: „Carl Theodor ging gerne auf die Jagd, doch sie nahm nie so eine beherrschende Stellung ein wie Literatur oder Musik.“ Seine Frau Elisabeth Augusta dagegen schreibt selbst im hohen Alter noch an einen Freund, dass sie in der Westpfalz ein „masacre“ an Hasen angerichtet habe. Und neben dem Käfertaler Wald sind die Wälder rund um die Sommerresidenz Schwetzingen Schauplatz großer, auch repräsentativer Wildschwein- und Hirschjagden.
Carl Theodor habe die aufwendige Parforcejagd wegen hoher Kosten in den 1770er Jahren eingestellt und sich auch deshalb zurückgehalten, weil er wegen Gleichgewichtsproblemen nicht mehr selbst reiten konnte. „Er ist auch mal vom Pferd gefallen“, weiß Wagner. An der fürstlichen Tafel kann man die Liebe zum Waidwerk aber weiter ablesen, wird sie doch oft mit feinsten Figuren aus Frankenthaler Porzellan geschmückt, welche Jagdszenen zeigen. Seinen Abschied von der geliebten Kurpfalz zelebriert Carl Theodor mit einer riesigen Hirschjagd im August 1778 bei Schwetzingen.
Großer Tierpark
Nach dem Wegzug des kurfürstlichen Hofs aus Mannheim Richtung München, wo er sein bayerisches Erbe antritt, endet die große jagdliche Nutzung des Waldes in jedem Fall. Die kurfürstliche Hofkammer erteilt 1789 Jean Baptist von Villiez die Erlaubnis, im leerstehenden Jagdschloss eine Mühle einzurichten. Als die Franzosen 1795 Mannheim in den Koalitionskriegen besetzen, fällt denen das Jagdhaus am Karlstern zum Opfer. Das Jagdrecht ist seit jener Zeit nur noch in privaten Händen. Alte Akten weisen reiche Mannheimer Bürger oder Offiziere als Pächter aus, die dann im - seinerzeit noch selbstständigen - Dorf Käfertal in den Gaststätten ihr Jägerlatein zum Besten geben.
Im Zuge der Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts wird der Käfertaler Wald zunehmend als Naherholungsgebiet genutzt. Das erkennt der Gastwirt Philipp Sommer. 1912 will er den fast vergessenen Karlstern wieder zum Leben erwecken. Er baut dort eine Gaststätte „mit großem Saal und Kegelbahn und jeden Sonntag Tanz“, wie er wirbt, daneben ein Wildgehege. Das übergibt er 1936 dem Betreiber eines kleinen Wanderzirkus: Paul Bolich. Der zeigt hier Löwen, Pumas, Affen, ja selbst Schakale und Bären und bietet zudem mit Karussell, Schiffsschaukel und Rutschbahn ein äußerst beliebtes Ausflugziel jener Zeit. Trotz heftiger Zerstörungen bei den Luftangriffen in der Nacht vom 18./19. November 1943 baut Bolich den Tierpark nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf, muss aber 1956 endgültig schließen.
Käfertaler Wald
Anschrift: Karlstern, Karlsternstraße, 68305 Mannheim
Anfahrt: Vom Hauptbahnhof Mannheim mit Stadtbahn Linie 4 bis Haltestelle Käfertaler Wald, dann noch gut zehn Minuten zu Fuß durch die Lampertheimer Straße zum Karlstern.
Wege: Im etwa 1200 Hektar umfassenden Käfertaler Wald gibt es 100 Kilometer Fuß-, Reit- und Fahrwege.
Freizeitangebot: Karlsternpavillon für Picknick, großer Waldspielplatz und Spielwiese, Gaststätte „La Locanda”, Rodelhügel, Weiher mit Aussichtsplattform, Grillhütte (keine Reservierung möglich/bei Waldbrandgefahr gesperrt), Boule-Bahnen, Trimm-dich-Pfad, Kneipp-Anlage, Minigolf-Anlage, ferner zehn Schutz- und Rasthütten im Wald.
Wildgehege: Bisongehege mit nordamerikanischen Bisons, Damwild (kleinere in Europa beheimatete Hirschart), Mufflongehege (die kleinste europäische Wildschafart), Schwarzwild (Wildsauen) sowie, 500 Meter weit im Wald in Richtung Wasserwerk, das Rotwild. Alle sind ohne Eintritt frei zugänglich.
Vogelpark: Knapp 100 Tiere von heimischen Vogelarten wie Käuzen und Hühnervögeln, Uhus, Bussarden, Falken, Raben- und Kleinvögel in mehreren Kleinvolieren und drei Großvolieren, ehrenamtlich unterhalten vom Kleintierzucht- und Vogelschutzverein Gartenstadt-Neueichwald 1948. Geöffnet zur Sommerzeit 8 bis 19 Uhr, im Winter bis 17 Uhr, aber bis maximal eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit. Eintritt frei.
„Panzerwald“: Bis 1994 war im nördlichen Bereich des Käfertaler Walds sowie überwiegend auf hessischer Gemarkung ein ausgedehntes Übungsgelände der US-Armee. Erst 2012 wurde das Areal endgültig geräumt. Noch heute kann man dort auf viele Reste, etwa Munitionsbunker und Schießstände, stoßen. pwr
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