Zeitreise

Burgruine Neukastel: Die Beinahe-Residenz in der Pfalz

Abgesehen vom grandiosen Ausblick bietet die Burgruine Neukastel über dem südpfälzischen Leinsweiler wenig Spektakuläres. Doch sie hat eine spannende Geschichte

Von 
Klaus Backes
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Vom Standort des verschwundenen Wohnturms auf dem Felsen genießen Besucher der Burgruine Neukastel grandiose Ausblicke. © Klaus Backes

Mannheim. „Die Anlage sieht auf den ersten Blick nach wenig aus, aber auf den zweiten kann man sehr viel entdecken.“ Frank Wittkowski muss es wissen, denn der 73-Jährige mit dem unverkennbaren sächsischen Akzent hat sich intensiv mit der Burgruine Neukastel über Leinsweiler beschäftigt: Er durfte mit Genehmigung der Denkmalpflege die Ruine zehn Jahre lang untersuchen.

Also ein zweiter Blick. „Wir laufen hier durch die Vorburg“, erläutert Wittkowski. Aha! Bei genauerem Hinsehen entdeckt man links einen Wall, der auch aus vormittelalterlichen Zeiten stammen könnte. Durch den acht Meter breiten Graben geht es in die Unterburg, wo die Wirtschaftsgebäude standen. „Hier war das Amtshaus“, erklärt Wittkowski. Zu sehen ist nur Gestrüpp.

Frank Wittkowski mit einem Plan der Burg. © Klaus Backes (3)

Aber wer den Ausführungen des Burgenforschers lauscht, lernt eine andere Art des Sehens und erfährt zum Beispiel, dass die Balkenlöcher im Felsen von daran angelehnten Gebäuden der ersten Bauphase stammen. Ihre Nachfolger standen dagegen an der Ringmauer. Hügel und Gruben zeugen von weiteren Gebäuden und einem Brunnen.

Eine Überraschung bietet sich: Halterungen im Fels dienten dazu, Pferde festzubinden. Wer es weiß, findet auch auf anderen Pfälzer Burgen solche primitiven, aber praktischen Vorrichtungen. Im Vergleich spektakulär wirkt die Treppe, die einst zur Oberburg führte. Wittkowski hat sie Zentimeter für Zentimeter untersucht und kommt zu dem Schluss, dass die Treppe durch eine Mauer geschützt und eventuell überdacht war.

Informationen für Besucher

  • Anfahrt von Mannheim: Über die Rheinbrücke zwischen Mannheim und Ludwigshafen, weiter auf die A650. Nach 4,5 Kilometern Abfahrt 7 auf die die B9 Richtung Speyer/Mutterstadt nehmen. Nach drei Kilometern Auffahrt auf die A65 Richtung Neustadt/Mutterstadt-Nord. Weiter auf der A65 bis Abfahrt Landau-Nord, dort auf die B10 Richtung Pirmasens/Annweiler. Nach etwa sieben Kilometern die Ausfahrt in Richtung Leinsweiler/Siebeldingen nehmen. Weiter bis Leinsweiler. Im Ort weist ein Schild auf der rechten Seite den Weg zum Slevogthof (enge, steile Straße). Am Slevogthof parken. Von dort führt ein 500 Meter langer, steiler Weg zur Ruine.
  • Fahrstrecke von Mannheim: 60 Kilometer, Fahrzeit etwa 40 Minuten.
  • Öffnungszeiten: Die Ruine ist jederzeit frei zugänglich.
  • Literatur: Ortsgemeinde Leinsweiler: Leinsweiler...wo die Pfalz am schönsten ist. Erscheinungsjahr 2006. Jürgen Keddigkeit / Ulrich Burkhart / Rolf Übel: Pfälzisches Burgenlexikon Band III, Kaiserslautern 2005. kba

In einer späteren Bauphase wurde an ihrem Beginn eine runde Wendeltreppe platziert, deren Reste deutlich sichtbar sind. Nicht zu übersehen: der unvollendete Felsenkeller mit seinem spitzbogigen Eingang. Reste der Ringmauern komplettieren die erhaltenen Spuren. Dass trotzdem viel über das ehemalige Aussehen der Unterburg bekannt ist, verdankt sich einem Plan von 1624. Die Bestandsaufnahme sollte als Basis für den Umbau von Neukastel zu einer fürstlichen Residenz dienen. Doch davon später.

Grandioses Panorama über die Südpfalz

Der heutige Zugang zur Oberburg erfolgt über eine eiserne Treppe auf der Nordseite, dort wo einst der mächtige Wohnturm stand. Dessen Existenz hat Frank Wittkowski entdeckt. Zuvor ging die Forschung von einem Bergfried aus, einem wesentlich kleineren Gebäude.

Von dem mächtigen Wohnturm mit einer Wandstärke von 2,50 Metern blieb nichts – scheinbar. Denn unter dem Bauschutt am Fuß des Felsens fand Wittkowski den Rest des Fundaments aus schönen Buckelquadern. Mit etwa neun mal 13 Meter hatte der Turm stattliche Dimensionen.

GA_MZE_Burgruine Neukastel © Grafik MM

Dahinter duckte sich der Palas, das Wohngebäude. Dessen Untergeschoss barg eine Filterzisterne, von der noch Reste zu sehen sind. Das Regenwasser lief durch eine Filterschicht aus Kies und Sand – daher der Name. Doch auf solche Details achtet der Besucher eher weniger, denn vor ihm tut sich bei passendem Wetter ein grandioses Panorama über die Südpfalz bis zu den Bergen von Schwarzwald und Odenwald auf.

Kunsthistorisch bleibt Neukastel wegen der fast vollständigen Zerstörung weit hinter bekannten Anlagen zurück. Trotzdem fehlt die Ruine in fast keiner Publikation über Pfälzer Burgen. Denn am 25. Mai 1123 bezeugt ein Henricus de Nichastel in Speyer eine Urkunde des Salierkaisers Heinrich V. Damit zählt die Burg zu den ältesten der Pfalz. Oft finden sich die Herren von Neukastel auch im Umfeld der staufischen Kaiser, gehören zu den Reichsministerialen. Das bedeutet: Neukastel war eine Reichsburg.

Ein Beispiel: 1156 bezeugt Otto von Neukastel eine Urkunde Kaiser Friedrichs I. „Barbarossa“ für das Kloster Maulbronn. Neben seinem stehen die Namen einiger Nachbarn: Konrad von Trifels sowie Ritter von Scharfenberg. In einer Kaiserurkunde von 1165 tauchen Mitglieder der Familie von Schüpf auf, die sich später nach Neukastel nennen. Möglicherweise sind ihre Vorgänger ausgestorben. Auch die Schüpf zählen zu den Dienstmännern des Reiches und sitzen auf der Burg. Während andere pfälzische Reichsministeriale im Dienst ihrer kaiserlichen Herren weit in der Welt herumkommen, bleiben die Schüpf/Neukastel meist ihrer Heimat treu.

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1246 übergibt Isengard, die Gemahlin des Reichsministerialen Philipp von Falkenstein, die Reichskleinodien sowie unter anderem die Burg Neukastel an König Konrad IV., den Sohn Kaiser Friedrichs II. In der Urkunde werden auch Gegenstände von der Burg erwähnt, die auf dem Trifels lagern: Kelch, Messbücher und ein Messgewand, der einzige Hinweis, dass es auf Neukastel eine Kapelle gab. Die Ritter von Neukastel tauchen auch weiterhin in Urkunden auf. Doch gegen Ende des 13. Jahrhunderts scheint die Familie ausgestorben zu sein.

Die Rekonstruktion der Burg von Walter Hartung © Stadtarchiv Landau, NL Hartung, Nr. 540

1330 dann ein radikaler Bruch: Kaiser Ludwig der Bayer braucht Geld und verpfändet Besitzungen des Reiches in der Südpfalz, darunter die Burgen Trifels und Neukastel, an die Pfalzgrafen. Seit 1410 gehört Neukastel zum Herzogtum Pfalz-Zweibrücken und ist Sitz des gleichnamigen Amtes, das die Dörfer Leinsweiler und Ilbesheim verwaltet. Trotz gelegentlicher Verpfändungen an betuchte Adlige bleibt die Herrschaft fast 400 Jahre lang bei Pfalz-Zweibrücken.

Burg wächst zu und dient als Steinbruch

Doch darunter gab es unruhige Zeiten. 1488 ein Zerwürfnis im Haus Pfalz-Zweibrücken: Caspar, der älteste Sohn von Herzog Ludwig dem Schwarzen, will einen Teil der Güter, die er einmal erben soll, an die Kurpfalz übergeben. Beide Häuser sind sich aber spinnefeind. Ludwig der Schwarze verhindert die Transaktion, lässt seinen Sohn verhaften und enterben. Im 16. Jahrhundert vergrößert sich der Amtsbezirk um etliche Dörfer.

Den Bauernkrieg scheint die Burg gut überstanden zu haben. Peter Harer, der Sekretär des Kurfürsten von der Pfalz und wichtigste Chronist des pfälzischen Aufstands, schreibt über die Vorgänge um Neukastel und Trifels: „Da wurden sie (die Bauern) mit einer Anzal in dieselben gelassen, teten aber kein Schaden mit plundern oder anderm darin“.

Der Rest des Wohnturm-Fundaments aus sorgfältig behauenen Buckelquadern. © Klaus Backes

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts verlegen die Herzöge den Amtssitz nach Bergzabern. Die Burg beherbergt lediglich noch eine Kellerei, von der aus Güter in der Nachbarschaft verwaltet und Steuern eingezogen werden. Dann scheint es für kurze Zeit, als hätte Neukastel eine große Zukunft. Denn Johann Casimir, der Sohn Herzog Johanns I., der sich als Diplomat betätigt, lernt in Schweden Katharina Wasa kennen, die Halbschwester des Königs Gustav Adolf, und heiratet sie 1615.

1681 wird die Burg schwedisch

Seine veraltete und durch einen Sturm beschädigte Burg Neukastel kommt als Residenz für das Paar nicht in Frage. Deshalb lässt Johann Casimir 1618 das Schloss Katharinenburg im elsässischen Birlenbach erbauen. Es gibt aber auch Pläne, Neukastel zum „Zweitwohnsitz“ auszubauen.

Vor etwa einem Vierteljahrhundert wurden sie in einem Archiv der schwedischen Hauptstadt Stockholm entdeckt. Demnach sollte ein stattlicher Wohnbau mit vielen Fenstern auf dem Oberburgfelsen thronen. Doch die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges verschonen auch Südpfalz und Elsass nicht. 1622 flieht Johann Casimir ins sichere Schweden; seine Heimat sieht er niemals wieder. Mehr als ein Trost: 1654 besteigt sein Sohn als Karl X. den schwedischen Thron.

1681 wird die Burg schwedisch. Doch viel ist von ihr nicht mehr übrig, da französische Truppen sie ein Jahr zuvor „auf den Grund geschleift“ hatten. Mit dem Tod von Karl XIII. endet 1718 das schwedische Intermezzo. Neukastel dient als Steinbruch, und der Herzog von Zweibrücken prozessiert gegen die dafür verantwortlichen Bauern. Die Burg wächst zu, gerät mehr und mehr in Vergessenheit.

Zu den seltenen Besuchern zählt der Lehrer und Schriftsteller Peter Gärtner: „Die einzigen lebenden Wesen, welche ich bei meinem Besuche der Ruine am 24. September 1846 auf dieser Höhe antraf, waren einige Raben, die den Felsen umschwärmten.“

Mehr Anziehungskraft besitzt der einst zur Burg gehörende Hof unterhalb des Felsens. Zwar findet sich keine mittelalterliche Bausubstanz mehr, doch ein Besitzer macht ihn berühmt: der impressionistische Maler Max Slevogt. Er erwirbt 1914 den Herrenhof und lässt ihn zur Sommerresidenz umgestalten. Nach seinem Tod 1932 wird er auf dem nahe gelegenen Familienfriedhof beigesetzt. Seine Nachfahren richten in dem Gebäude Museum und Gaststätte ein, die aber schon lange geschlossen sind. Heute gehört der Slevogthof einem Architekten, der ihn sanieren und wieder für Besucher öffnen will. Vielleicht war eine wichtige Straße Ursache für die Gründung von Neukastel. Heute locken populäre Wanderwege viele Besucher zur Burg. Die Chancen stehen gut, dass Peter Gärtner dort nicht nur Raben begegnen würde.

Redaktion

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