Ein starker, suggestiver Moment: Die einzelnen Klangstränge beginnen, sich zu verflechten und gleichsam den Raum zu fluten. Blechern tönt eine Arie vom Band, dem Cello entspringen elegische Sentenzen, ein gespenstisches chorisches Raunen brandet auf, und alles verwindet sich zu einer Sound-Tektonik, die an sich halb überlagernde, halb aneinander vorbei driftende Welten gemahnt.
Man muss an eine Art Schöpfungssinfonie denken, an ein vielstimmiges Lied, das aus Schwärze heraus einen neuen Kosmos entstehen lässt. „Option Orpheus“ heißt das improvisierte Musiktheater, ein Hybrid aus Performance Art und experimenteller Klangerzeugung, den das Ensemble _ Form vor Inhalt im Mannheimer Kunsthaus Zeitraumexit aufführt.
Auf den Spuren des Mythos
Unter der künstlerischen Leitung von Regisseur Sebastian Bauer begeben sich Trompeter Paul Hübner, Cellistin Céline Papion, Schauspielerin Nadine Schwitter sowie Schlagwerker und Elektronik-Sound-Künstler Joss Turnbull hier auf die Spuren des Orpheus-Mythos - jenes Sängers und Dichters, dessen Stimme die Götter und Menschen, selbst Tiere, Pflanzen und Steine betörte.
Die Vier wandern 90 Minuten lang klanglich-performativ durch Schatten und Licht, Stille und instrumentales Erwachen, Regungslosigkeit und Impulsivität, versetzen den Bühnenraum durch kleinteilige Spiel- und Bewegungs-Anordnungen, (Rilke-)Deklamationen und Projektionen eindrücklich in verschiedenste Resonanzzustände.
Post von Judith Butler verlinkt
Im Vorfeld der Veranstaltung hatte der israelische, in Essen lebende Künstler Idan Hayosh harsche Kritik an Turnbull und dem Kunsthaus geübt. Der Hintergrund: Turnbull hatte am 17. Oktober einen Facebook-Post („The Compass of mourning“) der US-amerikanischen jüdischen Philosophin Judith Butler verlinkt. In einem Schreiben an Zeitraumexit bezeichnete Hayosh Butler als „erklärte antisemitische Gelehrte“ („a declared antisemitic scholar“), die in besagtem Post den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober rechtfertige.
Infolge dessen hatte er das Haus aufgefordert, Turnbull aus dem Programm zu nehmen. „Auch zeitraumexit lehnt die von Judith Butler hier vertretene Position ab und ist daher vor dem Auftritt mit Joss Turnbull in einen intensiven Dialog gegangen“, teilte das Kunsthaus daraufhin in einem Statement mit. Turnbull habe mitgeteilt „dass es ihm sehr leid tue, dass er sich vor dem Post nicht besser über die Positionen von Judith Butler informiert habe und dass das Posten des Artikels ein Fehler gewesen sei, dass er keinerlei antisemitischen Ressentiments eine Plattform habe geben wollen“, heißt es darin weiter.
Geschäftsführer bezieht Position
Zeitrauexit-Geschäftsführer Frank Degler betont auch im „ Gespräch mit dieser Redaktion noch einmal „dass Zeitraumexit völlig klar jegliche Form von Antisemitismus ablehnt und dass wir absolut uneingeschränkt die Attacken von Hamas auf Israel ablehnen und jeden Relativismus ablehnen.“
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