Thema: Künstliche Intelligenz

"Smarthome" von Kai Dondorf

Für den "MM"-Schreibwettbewerb "Erzähl mir was" zum Thema "Künstliche Intelligenz" hat Kai Dondorf die Geschichte "Smarthome" verfasst. Jetzt lesen

Von 
Kai Dondorf
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Mannheim. Irgendwie schmeckte der Kaffee heute Morgen anders. Etwas stärker als sonst, fast scharf. „Schatz, hast du eine neue Kaffeesorte gekauft?“, fragte ich in den Raum. „Nein, sind die gleichen wie immer. Gourmetbohnen“, kam die Antwort aus dem Bad. Vielleicht braucht die Maschine wieder ihr Update, dachte ich. Aber eigentlich sollte das doch im Smarthome-Paket alles drin sein. Immerhin hatte mir der Vermieter versichert, dass die Updates vollautomatisch laufen und ich mir darum keinerlei Gedanken machen muss und dass alles über unseren Energieversorger gemanagt würde. Vor einigen Monaten war es ja schon mal passiert, eine echte Katastrophe! Ein Komplettausfall meines Smarthome-Systems. Nichts ging mehr. Zum Glück ist der Servicebot schnell gewesen und konnte innerhalb einer Stunde das System wieder zum Laufen bringen. Aber diese Stunde war wirklich nicht angenehm.

Ich trank den Kaffee schnell aus, denn wie immer war ich spät dran, und der Verkehr und die Fahrzeit waren trotz aller Fahrleitsysteme und der automatischen Geschwindigkeitsregulation auf der Autobahn immer noch unsicher zu kalkulieren. Vor allem morgens auf der A5. „Tschüss und bis später, und ich komme heute etwas früher nach Hause und freue mich auf unser Abendessen, okay?“, rief ich noch in die Wohnung. „Ja, okay“, hörte ich noch die Antwort, als die Tür hinter mir schon zufiel.

„Hallo Ben! Du wirst heute voraussichtlich um 8.43 dein Büro erreichen“, begrüßte mich unser Auto, nachdem ich eingestiegen und den Onetouch-Fahrassistent aktiviert hatte. Na toll, dachte ich, schon wieder mehr als zehn Minuten Verzögerung. „Also dann, los geht’s“, sagte ich und übernahm das Steuer, weil das Ausparken einfach immer noch schneller ging, wenn ich es selbst machte und zügig nach Augenmaß zurücksetzen konnte. Nur einmal war es mir passiert, dass der Fahrassistent tatsächlich blockiert und wieder nach vorne gezogen hat, weil die Katze des Nachbarn vor den Hinterreifen gerast war. Selbstverständlich ist nichts passiert, dafür sind ja die ganzen Sensoren und das Kontrollsystem verbaut.

Der Autor Kai Dondorf



Kai Dondorf wurde 1979 in Backnang geboren.
In Heidelberg hat er Politikwissenschaft, Philosophie und Soziologie studiert.
Heute lebt er mit seiner Familie in Ettlingen.

Unser semiautonom fahrendes Elektroauto war schon etwas älter, ein Gebrauchtwagen, der auf den Namen „Susi“ hörte. Der Vorbesitzer hatte den Namen gewählt, und aus reiner Faulheit hatte ich ihn übernommen. Außerdem war der Wagen nicht auf dem neuesten Stand der Technik. Aber das war mir auch nicht so wichtig. Hauptsache, ich komme schnell und sicher von A nach B, und den ganzen sonst üblichen technischen Schnickschnack, der heutzutage Standard in den Neuwagen ist, brauche ich einfach nicht. Mir reichen der Onetouch-Fahrassistent und die autonome Standardnavigation. Und natürlich der Zugriff aufs Netz, um schon mal mit den Kollegen im Büro die Arbeit beginnen zu können.

Der Fahrassistent übernahm, ab jetzt fuhr Susi autonom. Ich machte es mir bequem und wählte meine Kollegen im Büro an. Über das Frontdisplay konnte ich mit ihnen den Tag besprechen, was heute alles ansteht. Einmal in der Woche trafen wir uns vor Ort im Büro, um den direkten Kontakt nicht zu verlernen und uns abseits der Arbeit auch mal über andere Dinge zu unterhalten. Susi fuhr währenddessen schnurstracks auf die A5, leise surrend, und gab hin und wieder einen Kommentar zur Route und zum Securitiy-Status ab. Der Verkehr war dicht, aber flüssig, da alle Fahrzeuge über semiautonome Fahrsysteme verfügten, die vorschriftsmäßig auf der Autobahn automatisch die Fahrabstände und die Geschwindigkeit regelten. Staus oder sogar Unfälle waren dadurch sehr selten geworden. Früher gab es täglich lange Staus auf Autobahnen und mehrere tausend Verkehrstote. Diese Zeiten waren zum Glück vorbei. Jedes Jahr schrumpfte die Zahl der Verkehrstoten weiter. Und Staus kamen nur noch gelegentlich vor.

Der Verkehr wurde dichter, die Abstände zwischen den Fahrzeugen verkürzten sich etwas und ich spürte, wie sich die Geschwindigkeit meines Wagens verringerte. „Securitiy-Meldung: Unfall auf der A5 in 6,4 Kilometer. Ich muss leider die Geschwindigkeit anpassen und auf die weiteren Saftey-Meldungen des Highway-Assists warten“, meldete sich Susi. Na toll, dachte ich. Wie konnte denn das überhaupt sein, dass hier noch Unfälle passieren? Die Autobahnen durften nur vollautonom befahren werden, nach der Auffahrt wurden alle Fahrzeuge vom Highway-Assist übernommen, der immer für einen optimalen Verkehrsfluss und für maximale Sicherheit sorgte. Das Auto wurde langsamer. „Achtung, Überflug von Rettungsdrohnen!“, tönte Susi. Im nächsten Moment sausten zwei Rettungsdrohnen über mich hinweg. Sie flogen schnell und zielgerichtet, so konnten die Unfallopfer schnellstmöglich versorgt und falls nötig in ein Krankenhaus gebracht werden. In den Drohnen waren noch Menschen, Rettungssanitäter, die vor Ort am besten helfen konnten.

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Mir war es schleierhaft, wie hier ein Unfall passieren konnte. Ich hatte schon oft davon gehört, dass es einigen besonders technisch „begeisterten“ Menschen immer wieder gelang, die vielen Firewalls und sonstigen Absicherungen des autonomen Fahrsystems und des Highway-Assists zu umgehen und eigene Software zu installieren. Dadurch konnten sie dann während der Fahrt die automatische Tempo- und Abstandskontrolle umgehen und die Geschwindigkeit selbst regeln. Eine gruselige Vorstellung! Inzwischen wusste doch jeder, dass dadurch schlimme Unfälle verursacht werden können! Aber diese Spinner machten das trotzdem.

Inzwischen hatte Susi angehalten, nichts ging mehr. „Wir werden unser Ziel voraussichtlich 25 Minuten später erreichen. Vor uns kam es zu einem Unfall. Die Räumung der Unfallstelle läuft. Es gibt zwei Verletzte. Die Sanitäter sind vor Ort und helfen“, sagte Susi mit ruhigem Ton. Ich schaltete mein Frontdisplay an und ließ mich ins Meeting mit den Kollegen einwählen. „Ihr glaubt mir mal wieder nicht, was hier passiert ist: ein Unfall!“, platzte ich in die Runde. Ungläubige Stille. „Das gibt´s ja nicht. Diese elenden IT-Poser und ihre Tricks, die Saftey-Systeme zu umgehen“, kommentierte einer meiner Kollegen. „Hey Ben, leider wird sich unsere Weiterfahrt nochmals um mindestens 55 Minuten verzögern, da die Unfallstelle noch vollständig geräumt werden muss“, teilte mir Susi mit. Unter diesen Umständen ergab es keinen Sinn mehr, noch ins Büro zu fahren. Der Verkehr rollte langsam wieder an. Ich teilte meinen Kollegen mit, dass ich nicht mehr ins Büro kommen würde und wir einfach online weitermachen könnten. „Susi, bitte die schnellstmögliche Route direkt nach Hause, sobald sich hier wieder etwas bewegt!“, befahl ich meinem Auto. 36 Minuten später war ich wieder zuhause.

An der Eingangstür stimmte was nicht. Die Controller-Lampe blinkte. Ich musste die Tür manuell mit meinem Ersatzschlüssel öffnen, da der Augenscanner nicht funktionierte. Oh nein, dachte ich, ist etwa schon wieder das System abgestürzt? Das konnte doch nicht sein, nachdem das erst vor ein paar Monaten passiert war. „Schatz? Bist du da?“, rief ich in die Wohnung. Stille. Mir wurde heiß und kalt. „Schatz?“ – keine Antwort. Ich rannte ins Wohnzimmer, das Licht ging nicht, die Fenster waren alle geschlossen. Schnell, ich muss an die Controller-Box, sofort den Service-Bot aktivieren, damit das System wieder schnellstmöglich hochgefahren wird. Die Service-Box war im Schlafzimmer und blinkte rot. Ich wusste genau, was zu tun war. Meinen Saftey-Code eingeben und meinen Zeigefinger auf den Scanner legen. Nach wenigen Augenblicken fuhr das System wieder hoch. Zum Glück war es nur ein harmloser Upload-Hänger, der zum Ausfall geführt hatte. „Hallo Ben! Schön, dass du schon zuhause bist!“, sagte meine Frau zu mir, nachdem der Hologramm-Beamer wieder funktionierte. Dafür hätte ich sie küssen können, aber das Systemupgrade mit haptischer Reizstimulation funktionierte noch nicht.

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