Wettbewerb

"Mein neuer Freund" von PML Müller

Für den "MM"-Schreibwettbewerb "Erzähl mir was" zum Thema "Künstliche Intelligenz" hat PML Müller die Geschichte "Mein neuer Freund" verfasst. Jetzt lesen

Von 
PML Müller
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Mannheim. Ein Einkauf ist immer eine sehr persönliche Sache, die man mehr oder weniger als Pflichtübung in einer über einen langen Zeitraum gelernten Routine erledigt. Eigentlich ist meine Frau dafür zuständig, aber sie ist heute krank. Clara sagte mit einer etwas krächzenden Stimme: „Herbert, heute kannst du einmal ausprobieren, wie sich das Einkaufen verändert hat. Du musst aber zum MoSa Club gehen, denn dort sind wir Mitglied, das heißt, wir bekommen auf jeden Einkauf fünf Prozent Rabatt und erhalten eine besonders qualifizierte Beratung, die auf unsere persönlichen Bedürfnisse optimal abgestimmt wird.“

„Mm, gern. Die Hauptsache ist, dass es dir bald besser geht. Muss ich irgendetwas beachten?“

Clara nickte und hustete erst einmal: „MoSa, bedeutet Money Saver und ist ein Händler, der beim Wettbewerb „Der vitale Kunde“ mit macht. Das heißt, er fühlt sich für uns Kunden verantwortlich und belohnt Treue und vor allem gesundes Leben. Sie nennen es TCC, also „Total Customer Care“. Wichtig: Behandle den Supermarkt einfach wie einen sehr guten Freund. Hier die Einkaufsliste. Bitte nehme auch Eva mit, der Kindergarten hat heute geschlossen.“

PML Müller

  • P.M.L. Müller wurde 1957 in Görlitz geboren.
  • Er ist in Augsburg aufgewachsen und hat dort Betriebswirtschaft studiert.
  • Seit mehr als 35 Jahren lebt er in der Metropolregion.
  • Seit er im Ruhestand ist, widmet sich seinem Hobby: Dem Schreiben von Geschichten und Büchern.

Also gingen meine fünfjährige Tochter und ich durch die Tür des Supermarktes. Sofort setzte sich eine Art Tonne mit einem aufgesetzten Bildschirm in Bewegung. Diese hielt vor uns an und der Bildschirm fuhr automatisch auf meine Augenhöhe. Auf dem Bildschirm war mein Bild, Name, Adresse und Geburtsdatum zu sehen. Dann erschien ein stilisiertes lächelndes Gesicht, das die Lippen bewegte, als die Maschine zu sprechen begann. „Ich bin TCC 23. Herbert, schön dass du hier bist. Meine Aufgabe ist es, dir zu helfen. Allerdings habe ich vor deinem Einkauf noch Klärungsbedarf. Bist du einverstanden?“

Ich hatte meine persönlichen Daten auf dem Schirm gesehen und war natürlich zunächst baff: „Wie haben Sie mich identifiziert? Warum wissen Sie, wer ich bin?“

„Bitte, sage doch du. Bei MoSa sind wir alle Freunde und wollen dann doch gleich bei einem vertraulichen Ton bleiben. Deine Frau hat bei uns natürlich, wie es die Regeln wollen, die ganze Familie registriert und uns Zugang zu allen Familiendaten gewährt. Eine Gesichtserkennung ist ja nichts Besonderes mehr. Der Bildschirm drehte sich in Richtung Eva und schaute zu ihr nach unten. Sorry, auch ein Hallo für dich Eva. Schön, dass du deinen Vater beim Einkauf begleitest.“

Eva streckte TCC 23 die Zunge heraus.

 Der Bildschirm richtete seinen Blick zurück zu mir: „Das war jetzt aber nicht nett. Aber zurück zum Thema. TCC heißt, wir kümmern uns umfassend, „Total“, um unsere Kunden, „Customer Care“. Dafür haben wir eure intra-familiären Daten analysiert. Gesundheit, Gewicht, Kalorienbedarf, Beruf, Einkommen, psychische Verfassung, Handy-Daten, E-Mails, also nur das Übliche.“

„Aber davon weiß ich ja gar nichts. Wie kommen Sie an unsere Daten? Stichwort Datenschutz?“

„Lieber Herbert, Datenschutz versus Gesundheitsschutz. Na, da muss man nicht unbedingt intelligent sein, um die Prioritäten richtig zu setzen. Deine Frau hat das sofort begriffen und hat alle notwendigen Freigaben erteilt. Damit hat das auch alles seine Richtigkeit, auch in rechtlicher Hinsicht. Es ist alles ausgesprochen ausführlich und leicht verständlich in den 196 seitigen AGBs erklärt. Du bist nur als konsumierendes Familienmitglied registriert, aber nicht als verantwortlicher Einkäufer freigegeben.“

„Dann registriere mich und lass mich endlich einkaufen. Ich habe nicht ewig Zeit.“

„Herbert, bitte sei nicht ungehalten, aber ich brauche die Freigabe deiner Frau und ihre Bestätigung, dass du die Rolle als Einkäufer im Rahmen unserer Vereinbarungen übernehmen darfst. Sie ist bisher als die verantwortliche Familienmanagerin mit Einkaufsberechtigung registriert.  Ich habe ihr bereits eine Nachricht an das Smartphone gesendet und erwarte sekündlich die Freigabe.“ Das Gesicht schloss kurz die Augen und sagte dann: „Bing. Kleiner Scherz, ich höre natürlich kein Bing. Freigabe erteilt. du kannst jetzt den Laden betreten. Ich wünsche dir einen guten Einkauf.“

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Ich hatte mich bereits umgedreht als TCC sagte: „Halt. Ich habe noch schnell deine Vitaldaten und Mimik über meine Sensoren kontrolliert. Du bist mittlerweile in einem Zustand, in dem der steigende Adrenalinpegel die Atmung beschleunigt, den Blutdruck erhöht und die Gefahr besteht, dass du in ein mehr archaisches Verhaltensmuster übergehst. Ich empfehle einen Moment der Tiefenentspannung.“ Dann mit langsamen Worten: „Einatmen. Ausatmen.“

Ich sagte mit Nachdruck in der Stimme: „Ich bin vollkommen ruhig.“ Dann zerknüllte ich die Einkaufsliste von meiner Frau, drehte mich um und begann einzukaufen. Statt Magermilch die Vollmilch, 65-prozentigen Camembert und eine Packung Burrata. Dann wollte Eva einen Schokopudding. Ich nickte leicht grimmig und sagte: „Natürlich Eva, wenn du den Pudding willst, dann sollst du ihn auch bekommen.“ Als ich danach griff, rollte die TCC Maschine an und stellte sich vor mich, mit etwas weniger Abstand, als zuvor.

„Entschuldigen Sie, aber ihr Einkauf weicht vom üblichen Schema und Ihrem Gesundheitsplan für die gesamte Familie ab.“

Herbert sagte mit erhobener Stimme: „Überwachen Sie uns?“

TCC 23 simulierte mit dem sich hin und her bewegenden Bildschirm ein Nein: „Überwachen ist ein negativ besetztes Wort. Wir machen ein Customer-Tracking mit über 250 Kameras und erfassen alles, was Sie aus den Regalen nehmen. Deshalb gibt es auch keine Kassen. Sie verlassen einfach das Geschäft. Den Beleg und die Abbuchung erhalten Sie auf das Handy.“

„Warum hast du zum Sie gewechselt? Ich dachte, wir sind Freunde und haben mit dem du einen vertraulicheren Ton.“

TCC 23 simulierte wieder mit der Bildschirmbewegung ein Nein und fuhr diesen dann noch etwas höher, sodass Herbert das Gefühl hatte, zu TCC 23 aufzuschauen.

„Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass wir die Kommunikationsebene gewechselt haben? Ihre Gesundheitsakte vom Arzt zeigt hohen Blutdruck, kritische Blutwerte und Übergewicht. Die Handydaten Bewegungsmangel. Damit ergibt sich beim Extrapolieren der Daten eine negative gesundheitliche Prognose.“ TCC 23 ergänzte in einem barschen Ton: „Also entfernen Sie jetzt die fetten Lebensmittel und vor allem den Schokopudding aus dem Einkaufswagen. Sie müssen die Einkaufsentscheidungen treffen und nicht das Kind.“

Eva reagierte sofort und schrie so laut sie konnte: „Ich will meinen Schokopudding.“ Sie bekräftigte diese Aussage mit einem markerschütternden Schrei und heftigen Auftreten mit dem rechten Fuß.

TCC 23 drehte den Bildschirm in Richtung Eva: „Liebe Eva, dein Vater möchte, dass du gesund lebst und schlank bleibst. Du bist doch ein vernünftiges Kind.“

Dann drehte TCC 23 den Schirm zurück zu mir und schaute direkt in meine Augen: „Herbert, deine Frau und du solltet über ein Anti-Aggressionstraining für Eva nachdenken.“

Ich merkte wie mir das Blut in den Kopf schoss: „Unsere Kindererziehung geht dich überhaupt nichts an.“

„Ein Sie wäre jetzt eigentlich mehr angebracht gewesen. Es ist ein ernstes Gespräch und ich merke jetzt auch ein noch weiter steigendes Aggressionspotenzial in Ihrer Stimme und Mimik. Ich muss Sie an diesem kritischen Punkt unserer Unterhaltung warnen. Wenn Sie darüber nachdenken, Gewalt gegen mich auszuüben, dann würden Sie das Risiko eingehen, aus dem MoSa Club ausgeschlossen zu werden.“

„Na und? Dann kaufen wir woanders ein.“

„Herbert, vielleicht sollte ich wieder als Freund zu dir reden. So leicht ist das nicht, denn abhängig vom Ausgang unserer Diskussion, könnten andere Händler sich weigern, eine so potenziell ungesund lebende und offensichtlich aggressive Familie aufzunehmen. Sie könnten die Gesundheitsstatistik der jeweiligen registrierten Kundengruppen negativ beeinflussen.“

Ich schloss die Augen und wurde plötzlich ruhiger, nachdem ich die Zusammenhänge langsam verstand: „Sie meinen, das Risiko einer versauten Gesundheitsstatistik wird höher eingeschätzt als das Umsatzpotenzial?“

„Im internationalen Vergleich sterben die Deutschen früher als in anderen Ländern. Die Regierung möchte diese Statistik verbessern und übt deshalb Druck auf den Handel aus, die Kunden mit einer positiven und intelligenten Argumentation zu beeinflussen. Ziel ist die Ernährung der Kunden so zu verbessern, dass statistisch ein längeres und gesünderes Leben erreicht wird.“

„Ich verstehe, ich spreche gerade mit einer Künstlichen Intelligenz, zu der alle Händler Zugang haben.“

„Im Vertrauen, dazu muss man nicht sooo intelligent sein. Der Mensch ist ja sooo vorhersehbar. Aber um einem Freund einen guten Rat zu geben, braucht man schon ein selbstlernendes  KI-System.“

Ich sagte barsch: „Und was ist das für ein Rat?“

„Mein Freund, kaufe Schnaps, Wein, Schokolade, Chips, Zigaretten und all den anderen Junk an der Tanke gegen Bargeld. Zumindest so lange, wie es noch Bargeld gibt.“

Ich lächelte, denn meine Frau hatte gesagt, dass ich den Supermarkt als Freund betrachten solle. Sie hatte wieder einmal Recht. Diesen Rat mit der Tanke, konnte nur ein echter Freund geben, auch wenn er TCC 23 heißt.

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