Mannheim. Meine kleine Werkstatt liegt tiefer als mein Laden. Die Fenster sind fast auf dem Niveau des Gehwegs. Ich bin Geigenbauer und wenn ich je und je von meiner Arbeit aufschaue, liebe ich es, durch die Fenster hinauszusehen und das Vorbeiflanieren der vielen Füße zu betrachten.
Eines Tages stellte ich fest, dass ein paar Füße mit einer Regelmäßigkeit an meinen Fenstern vorbeigingen, die ich nicht ignorieren konnte. Sie kamen morgens um halb acht von rechts nach links und abends um halb sieben, von links nach rechts. Eines Morgens lief ich hinauf in meinen Verkaufsraum, um den ganzen Menschen zu sehen. Ich war schon beim ersten Anblick wie verzaubert.
Eine junge Frau, vermutlich Ende zwanzig, dunkelbraunes Haar, das ihr über die Schultern fiel, nicht größer als höchstens 1,70 Meter. Bald wurde es zur lieben Gewohnheit, morgens um halb acht, wenn kaum Kunden zu erwarten waren, einmal hoch in den Laden zu hasten und ihr beim Vorübergehen zuzusehen. Ich sah sie in knielangen Kleidern, dann und wann in Jeans, nie mit allzu kurzen Röcken. Im Sommer trägt sie oft einen hellen Hut, einen gelben, einen weißen, seltener einen roten. Auf ihrem Rücken hängt ein kleiner Rucksack.
Der Autor Horst-Dieter Radke
- Horst-Dieter Radke, Jahrgang 1953, geboren in Hamm/Westfalen, Studium der Betriebspädagogik an der Universität Koblenz-Landau.
- Er lebt seit 1982 mit seiner Familie im Taubertal, hat bereits mehrere Sagen- und Legendenbücher herausgegeben, schreibt auch Kriminalromane, Novellen und Kurzgeschichten.
- 2016 Stipendiat des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg.
In mein Geschäft schaute sie bislang nie hinein. Seit kurzem stelle ich Blumen in die Auslage zwischen meine Instrumente und tatsächlich, sie blieb stehen und sah sie sich an, blickte auf, wich meinem Blick nicht aus und in diesem Moment erkannte ich, dass ich mich verliebt hatte.
Sie ging weiter und ließ mich mit dem Problem zurück, wie ich mich ihr erklären könnte. Einfach die Tür aufzumachen und sie anzusprechen, dazu fühlte ich mich nicht in der Lage. Ich würde ihr einem Brief schreiben. Doch wie fängt man das an? Nach unzähligen Ansätzen, die zerknüllt in meinem Papierkorb landeten, beschloss ich, mir Hilfe zu holen. Ich ging zu meinem Computer und loggte mich bei der KI ein.
„Guten Abend, liebe KI, ich will einen Liebesbrief schreiben. Kannst du mir dabei helfen?“
„Ja, dabei kann ich dir helfen. Dazu brauche ich wichtige Informationen, wie zum Beispiel den Namen und ein paar Details zur Person, an die der Brief gerichtet werden soll. Je mehr Informationen du bereitstellst, desto besser kann ich dir helfen.“
Da hatten wir den Salat, ich wusste ja nicht einmal, wie sie heißt. Aber für die KI ist das ja egal, deshalb sagte ich, ihr Name sei Leonore und gab unverblümt die Details an, die ich durch Beobachtung herausgefunden hatte. Der erste Vorschlag haute mich nicht gerade vom Hocker.
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Lieber Leonore,
seit vielen Tagen sehe ich dich, wie du an meiner Werkstatt vorbeigehst. Es ist ein kurzer Moment, aber für mich ist er jedes Mal von großer Bedeutung. Deine Füße, die morgens von rechts nach links und abends von links nach rechts gehen, haben meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Als ich den Mut fand, aus meiner Werkstatt hinauf in den Verkaufsraum zu gehen, war es, als ob ein Schleier von meinen Augen genommen wurde. Da gingst du und mein Herz machte einen Sprung.
Du bist wunderschön. Dein dunkelbraunes Haar fällt über deine Schultern und verleiht dir eine geheimnisvolle Anmut. Deine zierliche Statur, nicht größer als 1,70 Meter, lässt dich so elegant erscheinen. Ich habe dich beobachtet, wie du oft knielange Kleider trägst, aber auch Jeans, niemals jedoch kurze Röcke. Im Sommer ziert ein heller Hut manchmal dein Haupt, und ich bewundere die Farben, die du wählst - gelb, weiß oder manchmal sogar rot, obwohl letzterer seltener zu sehen ist. Du gehst immer allein, ohne Begleitung, und das hat mich fasziniert.
In meiner Werkstatt habe ich wunderbare Instrumente, aber du hast bisher nie hineingeschaut. Kürzlich habe ich begonnen, Blumen auszustellen, und an diesem Tag bliebst du stehen, um sie anzusehen. Du hast auch zu mir aufgeblickt und meinen Blick erwidert. In diesem Moment wusste ich, dass ich den Mut finden muss, dir meine Liebe zu erklären.
Ich würde gerne die Gelegenheit haben, dich kennenzulernen, zu erfahren, wer du bist, was dich bewegt und was dich zum Lächeln bringt. Vielleicht könnten wir uns auf einen Kaffee treffen oder einen Spaziergang machen. Ich hoffe inständig, dass du mir die Chance gibst, mehr über dich zu erfahren und eine Verbindung aufzubauen.
In Vorfreude auf eine mögliche Begegnung [Dein Name]
Sämtliche von mir verworfenen Versuche waren um Längen besser, als was die KI abgeliefert hatte. Ich sagte ihr das:
„Sich direkt auf ihre Statur zu beziehen, das ist schon ein wenig sexistisch. Geht das nicht ein wenig romantischer? Es müssen auch nicht alle Fakten darin vorkommen, die ich erwähnte habe.“
Es tut mir leid, wenn meine vorherige Antwort nicht deinen Erwartungen entsprochen hat. Ich kann verstehen, dass du einen romantischeren Ansatz bevorzugst. Hier ist ein überarbeiteter Vorschlag:
Immerhin, sie war einsichtig, diese KI.
Liebe Leonore,
seit einiger Zeit begegnest du mir jeden Tag bei meiner Arbeit. Du magst es vielleicht nicht bemerkt haben, aber du hast mein Herz im Sturm erobert. Jeden Morgen, wenn ich deine Füße an mir vorbeigehen sehe, erwacht ein Gefühl in mir, das ich nicht länger ignorieren kann.
Deine Anmut und Schönheit haben mich verzaubert. Dein dunkelbraunes Haar fällt sanft über deine Schultern und verleiht dir einen bezaubernden Glanz. Die Art, wie du dich bewegst, hat etwas Anmutiges und Faszinierendes, das mich tief berührt.
Obwohl wir uns noch nie offiziell begegnet sind, habe ich das Gefühl, dass es zwischen uns eine besondere Verbindung gibt. Jeder Tag, an dem ich dich sehe, bringt mein Herz zum Singen und lässt mich von einer Zukunft voller gemeinsamer Abenteuer und Glück träumen.
Ich habe bemerkt, dass du manchmal an meinem Laden vorbeigehst, ohne hineinzuschauen. Doch als ich dich neulich dabei beobachtete, wie du einen Moment vor den Blumen verweiltest, wusste ich, dass es an der Zeit ist, dir meine Gefühle mitzuteilen.
Leonore, ich sehne mich danach, dich kennenzulernen, nicht nur als die Frau, deren Fußspuren ich jeden Tag bewundere, sondern als die Person, die mein Herz zum Leuchten bringt. Ich möchte wissen, was dich glücklich macht, wovon du träumst und welche Abenteuer du erleben möchtest. Lass uns Zeit miteinander verbringen, uns austauschen und eine Verbindung aufbauen, die tiefer geht als bloßes Vorbeigehen.
In freudiger Erwartung, [Dein Name]
Schon besser. Aber auch ein bisschen albern. „Was soll Maria denn denken, wenn von ihren ‚Fußspuren‘ die Rede ist? Bei aller Romantik, die dir durchaus hier und da gelungen ist, darf es auch ein bisschen sachlich bleiben.“
Entschuldige bitte erneut für das Missverständnis. Hier ist ein überarbeiteter Vorschlag, der einen sachlicheren Ton beibehält:
Liebe Leonore,
seit einiger Zeit kreuzen sich unsere Wege jeden Tag auf wundersame Weise. Als Geigenbauer verbringe ich viele Stunden in meiner Werkstatt, die sich ganz in der Nähe deines gewohnten Weges befindet. Obwohl wir uns noch nie persönlich begegnet sind, hat dein regelmäßiges Vorbeigehen meine Aufmerksamkeit erregt.
Jedes Mal bewundere ich deine anmutige Erscheinung. Dein dunkelbraunes Haar umrahmt dein Gesicht auf bezaubernde Weise und verleiht dir eine natürliche Schönheit, die mich fasziniert. Deine Art zu gehen, hat etwas Anmutiges.
In meiner Werkstatt habe ich die Möglichkeit, feine Instrumente zu schaffen, die dazu bestimmt sind, Emotionen und Geschichten zu erzählen. Doch seitdem ich dich das erste Mal erblickt habe, ist mein Herz erfüllt von einer anderen Art der Schaffenskraft. Es ist die Sehnsucht danach, dich kennenzulernen, die mich antreibt.
Ich würde gerne die Gelegenheit nutzen, um dich kennenzulernen. Es wäre mir eine Ehre, wenn du bereit wärst, dich auf einen Spaziergang einzulassen, um Zeit miteinander zu verbringen und uns gegenseitig besser zu verstehen. Ich bin gespannt auf das, was wir entdecken können, wenn wir uns die Chance geben, uns näherzukommen.
In Erwartung einer möglichen Begegnung, [Dein Name]
Das könnte funktionieren. Ich änderte den Namen von ‚Leonore‘ in ‚Unbekannte, kürzte noch ein paar Adjektive heraus, besorgte mir edles Papier und schrieb es ab. Aber wie sollte ich den Brief zustellen? Ihn ihr einfach in die Hand zu drücken, schien mir zu gewagt. Da kam mir ein Zufall zu Hilfe. Als ich abends vor der Tür auf sie wartete, sah ich, dass sie einen Einkaufskorb trug, in den ich den Brief, als sie an mir vorüberschritt, hineingleiten ließ.
Ich schlief schlecht in der Nacht, genau genommen gar nicht. Als ich morgens in meinem Laden stand, trat sie plötzlich mit unbewegtem Gesicht ein.
„Haben Sie diesen Brief geschrieben?“, fragte sie und legte ihn vor mich hin.
Ich konnte nur nicken.
„Und Sie sind sicher, dass das ihr Brief ist?“
Nervös schaute ich auf das Blatt.
„Doch, das ist meine Handschrift.“
Stumm zeigte sie mit ihrem Zeigefinger auf das Ende des Briefes wo [Dein Name] stand.
„Wenn Sie sich schon Liebesbriefe von Automaten erstellen lassen“, sagte sie ungerührt, „dann zeichnen sie doch wenigsten höchstpersönlich ab“
Ich stand noch lange, nachdem die Türglocke verklungen war, starr und erschüttert da.
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