Albert Speer war mehr als nur der Stararchitekt von Adolf Hitler. Ein Geschichtswissen-schaftler legt jetzt eine Studie vor, die Speers Mitverantwortung für das Naziregime nachweist. Viele Jahre gingen Historiker davon aus, dass der Mannheimer Hitler nur als Architekt zur Seite stand.
Albert Speer ist einer der einflussreichsten Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts, dessen Fabeln bis in die Gegenwart wirken. Speer wurde bekannt als "Hitlers Architekt" - seit 1942 als Rüstungsminister -, und er war nach der Niederlage von 1945 der vielleicht prominenteste Legendenlieferant zur nationalsozialistischen Herrschaft.
Zahllose Geschichtsbücher präsentieren ihn als reumütigen Edelnazi und folgen kritiklos seinen Erzählungen. Vieles von dem, was Speer nach 1945 berichtet hat, ist irreführend, bewusst verfälschend oder bisweilen frei erfunden.
Das beginnt schon mit der Darstellung seiner Geburt. Speer hat sie literarisiert, um die Bedeutung des Ereignisses hervorzuheben: "An einem Sonntag, dem 19. März 1905, 12 Uhr mittags, kam ich in Mannheim zur Welt. Der Donner eines Frühjahrsgewitters übertönte, wie mir meine Mutter oft erzählte, das Glockengeläute von der nahen Christuskirche."
Abgesehen von Ort und Datum ist alles Fantasie. Auf der offiziellen Urkunde ist als Geburtszeit "Vormittags um elf ein Viertel Uhr" vermerkt, ein Gewitter ist erst für den späteren Nachmittag verzeichnet, und von der Christuskirche stand damals nicht einmal das Fundament.
Geburtsstadt Mannheim
Speers Vater hatte 1892 mit 29 Jahren ein Architektenbüro in Mannheim eröffnet, das in einem Nebenhaus der Familie in der Prinz-Wilhelm-Straße Nr. 19, der späteren Stresemannstraße, untergebracht war. Mannheim und Ludwigshafen gehörten zu den Boomregionen des Kaiserreiches. Der junge Architekt erhielt reichlich Aufträge und wurde in wenigen Jahre ein wohlhabender Mann. 1918 zog die Familie nach Heidelberg in eine geräumige Villa, die Speers Vater auf einem drei Hektar großen Grundstück oberhalb des Schlosses als Geldanlage und Sommerhaus errichtet hatte.
Die aus dieser Zeit überlieferten Briefe erzählen von einer bequemen und zwanglosen Jugend, von trivialen Schulerlebnissen, Rudern und Radfahren, von Konzert- und Theaterbesuchen.
Im Herbst 1923 nahm Speer das Studium in Karlsruhe auf, wechselte 1924 an die Technische Hochschule München und im Jahr darauf an die Hochschule Berlin-Charlottenburg. Bei Heinrich Tessenow schloss er im November 1927 mit einer Diplomarbeit ab und wurde 1929 dessen Hilfsassistent an der Hochschule.
Büro in der Quadratestadt
Speers Ehrgeiz war beachtlich. Seit dem Sommer 1930 begann er, sich für den Nationalsozialismus zu engagieren, und erhielt im September 1930 den ersten Partei-Auftrag. Für die "Kreisleitung West" der Berliner NSDAP machte er eine Villa "salonfähig". Als er im Januar 1931 den Antrag auf die Parteimitgliedschaft stellte, war er schon viele Monate als Nationalsozialist aktiv. Seine sichere Hochschulstelle, um die ihn viele Kommilitonen beneideten, gab er auf, um sich ganz für Hitler und die Partei einzusetzen.
Für gut ein Jahr unterhielt er auch ein Büro in Mannheim, wo er vor allem die Immobilien seines Vaters verwaltete und einige kleinere Aufträge erhielt. Den antisemitischen Geist seiner Partei spiegelte er in einem Brief an Tessenow, dem er über einen Auftraggeber schrieb: "Er ist natürlich ein Jude, da er aber vor 1914 eingewandert ist, meint er sich wie ein Aristokrat benehmen zu müssen."
Verlässlicher Parteimann
Speer hielt weiter engen Kontakt nach Berlin, wo ihm sein Freund Karl Hanke, der persönliche Adjutant von Joseph Goebbels, Aufträge sicherte. Für Hitlers Wahlkampf ging Speer im Juni 1932 ganz in die Hauptstadt, sein Mannheimer Büro schlief langsam ein. In Berlin etablierte sich Speer als verlässlicher Parteimann, und als Hitler an die Macht kam, durfte er für Goebbels dessen neues Ministerium umbauen. Rasch folgten weitere kleine Aufträge, die architektonisch unbedeutend waren, aber üppig aus öffentlichen Mitteln bezahlt wurden.
Speers Aufstieg zum mächtigsten Manager der NS-Architektur dauerte länger, als er später weismachen wollte, aber 1937 hatte er seine wichtigsten Aufträge gesichert: die Verantwortung für das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg und den Umbau Berlins zur Welthauptstadt.
Speer ließ einige Dutzend feste Mitarbeiter und freie Architekten für sich arbeiten, er selbst war meist auf Reisen, um in der Nähe Hitlers seine Macht zu sichern; er kümmerte sich vor allem um die großen Linien. Mit dem Kriegsbeginn im September 1939 erweiterte er seinen Einflussbereich auf den Rüstungsbau und die Kriegslogistik. Bald hatte er mehrere zehntausend Männer in seiner Verantwortung, die Fabriken und Straßen bauten. Speer wurde zum Experten für Kriegslogistik. Als im Februar 1942 der Minister für Bewaffnung und Munition, Fritz Todt, bei einem Flugzeugunfall ums Leben kam, war Speer ein logischer Nachfolger. Als Rüstungsminister wirkte Speer vor allem als Propagandist und Manager. Mit Hilfe seiner Statistiker erfand er die Geschichte vom Rüstungswunder. Bei Lichte betrachtet waren die tatsächlichen Steigerungen der Waffenproduktion vor allem ein Resultat jahrelanger Lernprozesse, die schon Ende der 1930er Jahre begonnen hatten. Auch in den Bereichen, für die Speer keine Verantwortung trug, etwa die Luftwaffe, gelangen vergleichbare Steigerungen. Aber es war Speer, der sich geschickt als Wundermann präsentierte und als populärer Volksgemeinschaftsführer, ja möglicher Nachfolger Hitlers abbilden ließ.
Zusammenarbeit mit Himmler
Zentral war schon früh Speers Zusammenarbeit mit Heinrich Himmler und der SS. Über viele Jahre kooperierten sie beim Ausbau von Konzentrationslagern. Im September 1942 stellte Speer die Ressourcen für den Ausbau von Auschwitz zur Verfügung. Er bewilligte seinerzeit 13,7 Millionen Reichsmark, unter anderem für den Bau neuer Krematorien. Als diese in Betrieb gingen, wurden mehr als 4000 Menschen pro Tag darin verbrannt. Speers Rüstungsproduktion basierte auf Zwangsarbeitern, die er aus ganz Europa heranschaffen ließ. Trotz der sichtbaren Unterlegenheit propagierte Speer bis in die letzten Kriegsmonate die Hoffnung auf Wunderwaffen und den Endsieg.
Als die Niederlage klar wurde, stellte sich Speer rasch um. Er diente sich nun den US-Amerikanern als Experte für den Bombenkrieg an und präsentierte sich als unpolitischer Techniker. Als einziger Angeklagter im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess bekannte er sich zu einer allgemeinen Verantwortung, was ihm die Sympathien der westlichen Richter einbrachte. Im Prozess wurden keine Dokumente über seine reale Täterschaft und die Zusammenarbeit mit Himmler bekannt; Speer kam mit 20 Jahren Haft davon, die er in Spandau absaß. Aus dem Gefängnis konnte er über geheime Kanäle mit seinen Unterstützern draußen problemlos kommunizieren. Er gab Anweisungen, verteilte Geld, das andere für ihn gesammelt hatten, und besorgte seine Familiengeschäfte.
Rückkehr an den Neckar
Nach dem Tod der Eltern - der Vater starb 1947, die Mutter 1952 - ging das Erbe durch eine geschickte Regelung direkt an seine Kinder, er selbst behielt weitgehende Kontrolle. So war sein Vermögen vor möglichen Sühneverfahren sicher. Die Familie, Anwälte und Politiker plädierten jahrelang für Speers vorzeitige Freilassung. 1959 sandten 2000 Bürger Heidelbergs eine Petition an die Alliierten; auch die örtlichen Bundestagsabgeordneten Eduard Wahl für die CDU und Emmy Meyer-Laule für die SPD traten für ihn ein.
Als Speer 1966 aus dem Gefängnis kam, zog er in die Heidelberger Villa, in der er aufgewachsen war. Sie wurde der Stützpunkt seiner Vergangenheitspolitik. Speer lud Historiker, Journalisten und viele, die ihm schrieben, in sein Haus. Fotoreportagen und Filme lieferten passende Bilder. Lange Gesprächssitzungen mit Journalisten wurden zu seinem Markenzeichen. Sie alle meinten, eine besondere Behandlung zu erfahren und letzte Geheimnisse aus ihm herausholen zu können.
Tatsächlich war dies Speers subtile Methode der Beeinflussung. Durch seine Dauerpräsenz als Zeitzeuge betäubte er geschickt die Neugier. Historiker und Journalisten hörten sein Lebenstonband, folgten seinen Erzählungen, verzichteten meist auf eigene Forschungen. Seine 1969 mit Hilfe von Joachim Fest und Wolf Jobst Siedler veröffentlichten Erinnerungen verkauften sich weltweit rund drei Millionen Mal.
Talentierter Erzähler
Die 1975 von denselben drei Autoren komponierten "Spandauer Tagebücher" waren ebenfalls ein Welterfolg. Speer wurde zum Millionär und konnte seine Fabeln bis zu seinem Tod 1981 stabil halten. Die markanteste Täuschung war sein angebliches Nichtwissen von der Judenverfolgung. Bereits 1948 wurde im Prozess gegen SS-Führer Oswald Pohl das Dokument über Speers Finanzierung von Auschwitz bekannt, der US-amerikanische Historiker Raul Hilberg beschrieb die Details 1961.
Selbst in Deutschland konnte man Speers Verantwortung für Auschwitz seit 1968 nachlesen. Aber die Öffentlichkeit interessierte sich nicht für Speers Lügen. Viele Deutsche wollten Speer glauben, weil er ihnen eine bequeme Ausrede anbot, sich nicht mit den problematischen Aspekten der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen.
Speers Verführung als Erzähler war attraktiv. Wer genau hinsieht, ist immer wieder verblüfft, wie lange und wie wirkungsvoll seine Fabeln bis in die jüngere Gegenwart wirken. Dabei ist Aufklärung recht einfach: Blicken wir in die Quellen und machen uns rational ein Bild von den überlieferten Fakten. Dann sehen wir nicht nur den Täter Albert Speer in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern wir erkennen auch: Den ehrlich reuigen Albert Speer nach 1945 hat es nicht gegeben.
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