Im Nordosten von Neapel wird unter den Augen der Polizei im großen Stil Geld gefälscht. Das Gewerbe hat dort Tradition, die Betrüger sind weltweit vernetzt.
Die Menschen am Steuer ihrer Kleinwagen hupen und stehen zeternd im Stau. Vespa-Fahrer ohne Helm schieben sich laut knatternd an ihnen vorbei. Die Gassen sind eng in Giugliano in Campania, der europäischen Hauptstadt der Geldfälscher. Während die Staats- und Regierungschefs der EU mühsam versuchen, ein Mittel gegen die Euro-Krise zu finden, blüht hier im Nordosten von Neapel das Geschäft mit den Banknoten. Das Traditionsgewerbe der Geldfälscher kennt keine Rezession.
Seit Jahren drucken die Fälscher im Norden von Neapel ihre Blüten. Früher italienische Lira, US-Dollar und andere Währungen, in Druckereien, die im Straßendickicht auch für die Polizei kaum zu finden sind. Seit einem Jahrzehnt sind die Fälscher aus Giugliano in Campania Spezialisten in der Herstellung falscher Euros. Sie haben es zu einem kleinen Monopol gebracht. Insgesamt 5,5 Millionen gefälschte Euro-Scheine mit einem Gegenwert von 400 Millionen Euro stellten die Ermittler seit Einführung der Einheitswährung im Jahr 2002 weltweit sicher. Mehr als die Hälfte davon stammt aus Giugliano und Umgebung. Es ist eine strukturschwache Gegend, die vor allem für die Untaten der Camorra, der Mafia Kampaniens, bekannt ist.
Geldfälschung hat Tradition
Wenn Alessandro Gentili über die Kunstfertigkeit der Fälscher aus der italienischen Region Kampanien spricht, dann klingt beinahe Bewunderung mit. Gentili ist Carabinieri-Kommandant und Chef der Antifalschgeld-Einheit in Rom. In Uniform sitzt er an seinem Schreibtisch neben einer EU-Fahne und einem silbernen Säbel. "Made in Italy ist auch bei den Geldfälschern eine internationale Marke", sagt Gentili. Italien habe eine große Tradition in diesem Gewerbe. Die Zahlen seien bei näherer Betrachtung allerdings weniger alarmierend als auf den ersten Blick. Etwa 600 000 gefälschte Euro-Banknoten wurden 2011 aus dem Verkehr gezogen. Im Vergleich zu den über 14 Milliarden legalen Scheinen, die in den 17 Euro-Ländern zirkulieren, ist das vergleichsweise wenig. Aber auch Gentili weiß, dass die Dunkelziffer der Euro-Blüten höher liegt.
Die Via Santa Maria a Cubito verbindet die dicht besiedelte Gegend von Giugliano mit dem Hinterland von Neapel. Hier stehen verlassene Garagen neben Luxusvillen, Tankstellen und nie fertiggestellten Rohbauten. Vor Monaten lag hier noch meterhoch der Müll. Jetzt werden wieder Tomaten angebaut, Mozzarella-Büffel weiden. Die Aufmerksamkeit der internationalen Medien ist versiegt. Niemand scheint sich daran zu stören, dass die Camorra in dieser Gegend Giftmüll, auch aus Norditalien, entsorgt.
Erst vor ein paar Monaten entdeckten Polizisten hier bei einer Hausdurchsuchung einen im Vorgarten verscharrten Plastikbehälter mit 150 000 Euro Falschgeld. Alle Jahre wieder hebt die Polizei in der Gegend auch illegale Druckereien aus. Die erste entdeckten Polizeibeamte 2004 in Parete bei Giugliano, später auch in den Nachbargemeinden Castel Volturno, Marano und Lusciano. Etwa 20 Quadratkilometer umfasst die Gegend, in der heute noch die europäische Fälscherelite zu Hause ist.
Laut Polizei interessiert sich die lokale Camorra für das Falschgeldbusiness eher am Rande und konzentriert sich auf Drogenhandel, illegale Giftmüllentsorgung und Markenpiraterie. Sie benutzt das Falschgeld eher als Tauschware, etwa für Kokain oder Heroin. "Das Verbrechen ist hier wie eine nur schwer zu bekämpfende Krebsgeschwulst", sagt der Bürgermeister von Giugliano, Giovanni Pianese. Dass die Kriminalitätsdichte ausgerechnet in
dieser Gegend so hoch ist, erklärt sich der Bürgermeister auch mit dem Erfindungsreichtum seiner
Landsleute: "Die Neapolitaner beherrschen die Kunst des Sich-Arrangierens ausgezeichnet und legen viel Fantasie an den Tag, wenn es darum geht, einen Broterwerb zu erfinden."
"Giotto" nannten die Ermittler ihre großangelegte Operation, die im Januar 2009 zu 109 Festnahmen führte, die Hälfte davon in Kampanien. Giotto war ein berühmter italienischer Maler des Mittelalters, der einmal eine täuschend echte Fliege auf das Bild seines Meisters gezeichnet haben soll. Heute ist er der inoffizielle Schutzpatron der Fälscher von Giugliano. "Das sind Experten der grafischen Kunst, des Drucks und der Informatik", sagt Carabinieri-Kommandant Gentili.
Die tatsächlichen Fälscher von Giugliano, Schätzungen zufolge eine Gruppe von nicht mehr als 20 Leuten, seien unauffällige und meist nicht vorbestrafte Männer, die sich in den Dienst krimineller Organisationen stellen oder von diesen erpresst werden. "Napoli-Group" nennen sie die Beamten von Europol.
Bis zu 13 Jahre Haft sieht das italienische Strafgesetzbuch für Geldfälscher vor, doch oft sind die Betrüger schon nach ein paar Monaten wieder in Freiheit. Mit Giuseppe S. und Mario T. beispielsweise haben die Ermittler schon mehrfach Bekanntschaft geschlossen. Sie wurden verhaftet, weil sie Euros reproduzierten, und schließlich wieder freigelassen, um nur kurz darauf wieder als Geldfälscher aufzufliegen. Ein Clan soll sich die beiden verfügbar gemacht haben, weil sie Hologramme täuschend echt nachahmen können.
Spezialität: 20-Euro-Scheine
Die Spezialität der "Napoli-Group" sind Imitationen von 20-Euro-Scheinen, weil diese am Unauffälligsten in Umlauf zu bringen sind. Die Wenigsten rechnen bei diesem Betrag damit, eine Blüte zu bekommen. Zudem sehen die im Vierfarb-Offsettdruck hergestellten Scheine den Originalen durchaus ähnlich, wie Carabinieri-Kommandant Gentili versichert. Wasserzeichen, Hologramm, Sicherheitsfaden sind gut imitiert. Allein mit dem griffigen Baumwollpapier der regulären Banknoten haben die Fälscher Probleme. Die Blüten sind auffällig glatt.
Längst hat die Globalisierung auch die Branche der Geldfälscher erfasst. Nach Italien, also Kampanien, sind Geldfälscher vor allem in Frankreich und Spanien aktiv, wo im Gegensatz zu den eher nach traditionellen Methoden arbeitenden Italienern mit Laserdruckern kopiert wird. Doch die Operation "Giotto" brachte ans Licht, dass sich kriminelle Banden aus Giugliano und Umgebung auch mit Experten in den süditalienischen Regionen Apulien und Kalabrien zusammengetan haben. Allerdings, so sagt Carabiniere Gentili, gilt auch dort: "Ein Neapolitaner ist immer dabei."
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