Auf die große Bühne am 26. Tag der Deutschen Einheit in Dresden wollte gestern keiner verzichten. Auch nicht die Provokateure von Pegida und AfD - sie hinterlassen wieder einmal die bleibenden Bilder.
Der Regen blieb durchbrochen von Sonne. Aber der Regen war nicht der einzige graue Schleier über dem Einheitsfest in Sachsens Hauptstadt. Immer wieder brach Ärger auf in der Stadt. Gerade dort, wo sich die Politprominenz einfand, um 26 Jahre deutsche Einheit zu feiern.
Gepöbelt wurde am Morgen vor der Frauenkirche, wo der ökumenische Gottesdienst stattfand. Gepöbelt wurde kurz darauf vor der Semperoper, die Bühne bot für den offiziellen Festakt. Es gab Gepöbel vor dem Congress Center, als die Gäste zum Empfang von Bundespräsident Joachim Gauck ankamen. Überall dort schrien Menschen am Rande des Geschehens die altbekannten Protestvokabeln von "Volksverräter" bis "Hau ab!". Gemessen an den Hunderttausenden, die in der Stadt feierten, waren die Schreihälse nicht viele - 100, 150 vielleicht. Aber sie hinterließen die bleibenden Bilder an diesem Tag.
Am Neumarkt vor der Frauenkirche musste die Polizei Personen zurückdrängen, damit die Ehrengäste zu den Protokollveranstaltungen konnten. Dort stand die "Merkel-Weg"-Fraktion, der harte Kern von Pegida, Lutz Bachmann und seine ganz treuen Jünger, durchmischt mit AfD-Klientel. Trotz heftiger Kritik löste die Polizei die unangemeldete Versammlung nicht auf.
Bachmann soll inzwischen die meiste Zeit auf der Urlaubsinsel Teneriffa verbringen. Doch auf den großen Auftritt am 3. Oktober wollte der Gründer der selbst ernannten Abendlandretter nicht verzichten - wenn die Adressaten seiner zwei Jahre währenden Agitation schon mal in Dresden waren.
Die AfD präsentierte sich indifferent: Anhänger der Partei taten draußen ihre Ablehnung für das System kund - während in der Semperoper AfD-Landtagsabgeordnete in feinen Anzügen artig und systemkonform beim Festakt saßen.
Politik nimmt es gelassen
Die ausgebrüllte Politik nahm es, wo es ging, mit Gelassenheit. "Diejenigen, die ihre erstaunliche Empörung kostenlos zu Markte tragen", sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in der Semperoper, "haben offenbar das geringste Erinnerungsvermögen daran, in welcher Verfassung sich die Stadt und das Land befunden haben, bevor die deutsche Einheit Wirklichkeit wurde." Schon bei der letzten Einheitsfeier in Dresden vor 16 Jahren war die Stimmung nicht ungetrübt, meinte Lammert. "Rundum fröhlich ist Dresden auch in diesem Jahr nicht, und Deutschland auch nicht."
Gelassen blieb Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP), als ihn Anhänger von Pegida und AfD vor dem Rathaus als "Volksverräter" beschimpften. Hilbert hatte Vertreter der drei Dresdner Moscheen eingeladen. Als die Polizei einen der Protestler abführte, kam es zu Tumulten. Hilbert nannte das Geschehen hinterher "nicht spektakulär". Schließlich, meinte Hilbert, sei Dresden im Ganzen eben doch "stolz darauf, in diesem Jahr Gastgeber für den Tag der Deutschen Einheit zu sein".
Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte als Reaktion für den rüden Empfang den Wunsch, "dass wir diese Probleme gemeinsam, in gegenseitigem Respekt, in der Akzeptanz sehr unterschiedlicher politischer Meinungen lösen".
Weniger gelassen der Gastgeber: Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) wollte in der Semperoper lieber über anderes sprechen. Über die Brücken, die sein Land bauen will. Über die Millionen Gäste, die jedes Jahr nach Sachsen kommen. Über Sachsens Export, der sich seit dem Jahr 2000 verdreifacht habe, über die halbierte Arbeitslosigkeit, über das erfreuliche Geburtenplus.
Trotzdem musste er einräumen: "Die Einheit Deutschlands ist sehr weit vorangekommen, ganz vollendet ist sie noch nicht." Das betrifft auch das Verhältnis zu Fremden. Tillich hätte gern sein Land präsentiert als das, in dem Tausende Ehrenamtliche um die Integration von Flüchtlingen kümmern. Aber zu sehen war dann doch wieder das Land, in dem der Hass einiger Weniger die anderen übertönt. Dass die einmal mehr unbehelligt brüllen durften, sorgte gestern für viel Kritik an der Polizei.
Dresdens Polizeiführung verfolgt bei diffizilen Großlagen gern dem Prinzip: laufenlassen. Um Eskalationen zu vermeiden, greifen die Beamten auch bei groben Verstößen kaum ein. Polizeipräsident Horst Kretzschmar wollte keine Demo abblasen - aber auf alles eingestellt sein. Die Kehrseite war ein massives Sicherheitsaufgebot. 2600 Polizisten waren rund um das Bürgerfest auf den Beinen. Ohne Taschenkontrolle kam kaum jemand auf die Festmeile. Seit den Bombenanschlägen vom Montagabend vergangener Woche stand die City im Fokus der Sicherheitsleute. Betonklötze versperrten viele Zufahrtsstraßen. Sogar Busse mussten durch eine Sperre aus Polizeiautos. Mehrere linke und rechte Gruppen demonstrierten während der Feierlichkeiten in der Stadt - so am Sonntag das linke Bündnis "Solidarity without limits" mit mehreren hundert Teilnehmern. Man wollte "die Feier nicht unkommentiert lassen", sagte eine Sprecherin.
Seit Donnerstag waren drei vermeintliche Sprengsätze aufgetaucht - erst eine Attrappe am Pfeiler einer Elbbrücke, dann eine verdächtige Tasche in einem Mülleimer und schließlich ein herrenloses Fahrrad, aus dessen Rahmen verdächtige Drähte ragten. Jedes Mal rückten die Sprengstoffexperten an, jedes Mal war falscher Alarm.
Real dagegen waren die drei brennenden Polizeiautos in der Nacht zum Sonntag. Der Motorraum eines BMW der sächsischen Bereitschaftspolizei brannte völlig aus. Der Sachschaden liegt bei mehreren zehntausend Euro, die Täter sind noch unbekannt. Die Ermittler gehen von einer politisch motivierten Tat aus.
Dennoch: Innerhalb der Festung Dresden hatten Hunderttausende Gäste Spaß. An der 100 Meter langen Kaffeetafel im Hof des Dresdner Zwingers nahmen Hunderte Platz. An die 4000 Leute gestalteten das dreitägige Festprogramm. Auf den großen Festbühnen sangen Heinz-Rudolf Kunze, die Prinzen, Lou Bega und Karat. Tillich gab am Nachmittag den Vorsitz im Bundesrat ab an die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD). Turnusgemäß ist Sachsen dann 2032 wieder mit der Einheitsfeier dran.
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