Jahrestag - Am 10. Februar 1962 spielt die Glienicker Brücke zwischen Potsdam und Berlin eine zentrale Rolle mitten im Kalten Krieg - mit einem spektakulären Agentenaustausch zwischen Ost und West

Ein Spionage-Krimi auf der "Brücke der Freiheit"

Von 
Ulrich Zander
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Die DDR nannte sie "Brücke der Einheit", dabei war sie eher stählernes Symbol der deutschen Teilung. Während dieser Zeit verrottete die elegante Konstruktion aus dem Jahre 1907 abgeriegelt und verwaist über der Havel. Vor 50 Jahren erwachte sie kurz aus ihrem Dornröschenschlaf - zum ersten und hochkarätigsten Agentenaustausch des Kalten Krieges.

An jenem nasskalten Sonnabend tauchen im Westsektor Berlins am Ostufer der Brücke wie auch gegenüber, in der sowjetischen Besatzungszone, dunkle Limousinen aus dem Nebel auf. Ihnen entsteigen jeweils elf Diplomaten, Regierungsbeamte, Soldaten und, so die Aussage eines Augenzeugen, "Kerle mit hochgeschlagenem Mantelkragen, die wie Ringkämpfer aussahen". Zwei Männer treten aus dem Pulk hervor. Ein grauhaariger, hagerer mit Hornbrille namens Rudolf Iwanowitsch Abel und Francis Gary Powers, ein jüngerer, sportlicher Mann. Die beiden begeben sich auf die Brücke, gehen aufeinander zu. Um 8.52 Uhr überqueren sie den schmutzig-weißen Strich, der die Brückenmitte markiert - und Trennlinie zweier verfeindeter Welten ist. Der Russe und der Amerikaner nicken sich kurz zu, wechseln aber kein Wort miteinander.

Das Fünf-Cent-Stück

Begonnen hatte der Spionage-Thriller, der seinen Abschluss im Austausch auf der "Brücke der Freiheit" (US-Version) fand, am 23. Juni 1953. Der 13-jährige James Bozart, Zeitungsjunge im New Yorker Bezirk Brooklyn, benötigt Wechselgeld. Er klingelt bei zwei Frauen, und die kratzen ihre Cents, Nickels und Dimes zusammen. Jimmy bedankt sich artig, stolpert - und das Geld fällt zu Boden. Beim Auflesen bemerkt er, dass ein Fünf-Cent-Stück am Rand auseinanderklafft. Im Spalt steckte ein winziger "dunkler Punkt".

Jimmy erzählt seinen Freunden von der aufregenden Entdeckung. Die Geschichte macht die Runde und landet schließlich beim FBI. Die Untersuchung ergibt, dass die Münze so präpariert war, dass sie mit einer Nadel geöffnet werden konnte. Der "Punkt" erwies sich als Mikrofilm und zeigte Zahlenkolonnen, die nicht entschlüsselt werden konnten. Auch fanden die Ermittler niemals heraus, wie die Münze in den Besitz der Wohnungsinhaberinnen gelangt war. Nur eines war klar: In Amerikas Metropole sind feindliche Spione am Werk.

Daraufhin geschah - nichts. Vier Jahre lang.

Der Mann in Paris

Anfang Mai 1957 stürmt ein Mann in die Pariser US-Botschaft. Reino Hayhanen gesteht, Mitglied eines sowjetischen Spionagerings in New York zu sein. Zum Beweis legt Hayhanen ein hohles Fünf-Cent-Stück auf den Tisch. Da erinnert man sich. Hayhanen hatte zuvor den Befehl erhalten, umgehend "zu einer Besprechung" nach Moskau zurückzukehren. Da er 5000 Dollar des sowjetischen Geheimdienstes unterschlagen hatte und außerdem als harter Trinker, Bigamist sowie Radaubruder aufgefallen war, zog er eine Haftstrafe in den USA der Zwangsarbeit in Sibirien vor. Hayhanen wurde später als "der dümmste Agent, der je einen Trenchcoat trug", bezeichnet. Dennoch konnte er dem US-Geheimdienst Informationen über seinen Agentenführer "Mark" geben. Zwar kannte Hayhanen, inzwischen wieder in den USA, Marks Klarnamen nicht, dafür aber dessen ungefähres Domizil.

Das FBI legte sich bei dem heruntergekommenen Brooklyner Wohnblock in der Fulton Street auf die Lauer. Unter Verdacht war der Mieter Emil Goldfus, der dort ein Fotoatelier betrieb. Die Beschreibung des Hauswarts deckte sich mit Hayhanens Angaben. Doch der Spion war nicht in seinem Studio, seine Wohnadresse war nicht bekannt. Eine Hausdurchsuchung brachte einen leistungsstarken Sender, Spezialfilme für Mikropunktfotografie, ein Sortiment ausgehöhlter Münzen, Knöpfe, Kugelschreiber und Geheimcodes ans Licht. Ein einziger davon soll entschlüsselt worden sein: "Wir beglückwünschen Sie zu ihrem herrlichen Kaninchen. Vergessen Sie nicht, sich mit der Beethoven-Partitur zu beschäftigen. Rauchen Sie Ihre Pfeife, aber halten Sie das rote Buch in der rechten Hand." Was das allerdings bedeutete, wurde nie geklärt. Wie spätere Nachforschungen ergaben, war der echte Emil Goldfus bereits als Kleinkind verstorben.

Die Verfolgung

Der Gesuchte kurte in Florida. Einen Monat später war er wieder da. Die US-Agenten verfolgten ihn bis in ein Hotel in Manhattan, wo er unter dem Namen Martin Collins abgestiegen war. Sein Pass stellte sich als gefälscht heraus. Am 21. Juni 1957 wurde der gefährlichste Spion, der je auf amerikanischem Boden tätig war, festgenommen. Welche Staatsgeheimnisse sein Spionagering nun tatsächlich nach Moskau verraten hatte, konnte nie zufriedenstellend geklärt werden.

Fest stand nur, dass sein Netz bis zur Westküste und tief nach Südamerika hineinreichte. Denn Rudolf Iwanowitsch Abel, Oberst des KGB, hüllte sich meist in Schweigen. Den Ermittlern blieb lediglich, Abels Fähigkeiten zu bewundern. Der absolut unauffällige Mann beherrschte fünf Sprachen fließend, malte passabel, hatte herausragende technische Fähigkeiten und kannte sich ausgezeichnet in theoretischer Physik aus, was ihn der Atomspionage verdächtig machte. Ein IQ-Test ergab: "nahezu genial".

Abel wurde, was erst nach dem Ende der Sowjetunion ans Licht kam, als William Genrikowitsch Fischer im englischen Newcastle upon Tyne geboren. Sein deutschstämmiger Vater war ein Kampfgenosse Lenins gewesen und schmuggelte Waffen nach Russland. Der Sohn arbeitete für den sowjetischen Geheimdienst in Norwegen, Großbritannien, Frankreich, der Türkei und Nazi-Deutschland. In der Sowjetunion war er als Techniker und Ingenieur tätig. Am 16. November 1948 reiste er mit falschen Papieren über Kanada in die USA ein. Er war mit einer Deutschen verheiratet, die laut "Spiegel" in der DDR, in "Altenburg bei Leipzig", lebte. Das Paar hatte eine Tochter.

Am 14. Oktober 1957 wurde Abel in einem reinen Indizienprozess zu 30 Jahren Haft und 3000 Dollar Geldstrafe verurteilt. Er entging dem elektrischen Stuhl nur, weil pragmatische Entscheidungsträger in weiser Voraussicht annahmen, dass "man ihn noch lebend benötigen würde, falls einer der eigenen Leute den Sowjets in die Hände fiele."

Der Abgeschossene

Am 1. Mai 1960, frühmorgens um 5.26 Uhr hebt der US-Pilot Francis Gary Powers mit seiner U2, einem Spionageflugzeug, vom pakistanischen Peschawar ab und dringt kurz darauf mit 750 Stundenkilometern in sowjetischen Luftraum ein. Die erwartet komplikationslose "Milchmannstour" (CIA-Jargon) sollte bei einem kräftigen Frühstück nach rund 6500 Flugkilometern im norwegischen Bodø ihren Abschluss finden. Doch dazu kommt es nicht mehr. Statt Militärstellungen bei Swerdlowsk, Archangelsk und Murmansk zu fotografieren, landet er per Fallschirm mitten in einer Kolchose, rund 30 Kilometer von Swerdlowsk entfernt. Das von den US-Strategen für unmöglich gehaltene war geschehen: Powers war aus über 21 000 Metern Höhe abgeschossen worden.

Die ohnehin angespannte Atmosphäre zwischen den beiden Supermächten ist durch den Zwischenfall nun vollends vergiftet. Der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow verlangt in rüdem Ton eine Entschuldigung vom US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower, die dieser verweigert. Eine geplante Gipfelkonferenz am 16. Mai in Paris ist geplatzt, ein anberaumter Besuch Eisenhowers in Moskau endet mit seiner brüsken Ausladung.

Der Schauprozess

Am 17. August 1960, Powers 31. Geburtstag, beginnt vor dem Militärsenat des Obersten Gerichtshofes der Sowjetunion der Schauprozess gegen Powers. Die Anklage lautet auf "Luftspionage". Der Generalstaatsanwalt: "In diesem Prozess steht nicht nur der Flieger vor Gericht, sondern auch die US-Regierung, die wahren Initiatoren und Organisatoren ungeheuerlicher Verbrechen, die gegen den Frieden und die Sicherheit der Völker gerichtet sind." Nach nur drei Verhandlungstagen fällt das Urteil: zehn Jahre, davon drei im Gefängnis und der Rest im Arbeitslager. Das relativ faire Verfahren mit dem relativ milden Urteil ist für die Sowjets ein gelungener Propaganda-Coup und konnte als ein verstecktes Angebot zum Agentenaustausch gedeutet werden.

Im Februar 1962 war es so weit. Die Lage in Mitteleuropa wurde inzwischen ein wenig freundlicher bewertet: Meteorologisch herrschte Kälte, politisch aber leichtes Tauwetter. Nun galt es, einen Ausgleich für die unterschiedlichen "Kaliber" der Gefangenen zu finden. Auf der einen Seite ein Meisterspion (CIA-Direktor Allen Dulles: "Ich wünschte, wir hätten ein paar Männer, wie Abel einer ist, in Moskau."), auf der anderen "ein einfacher Pilot". Der Osten "legte noch einen in der DDR festgenommenen amerikanischen Studenten drauf", der dann diskret in den Westen abgeschoben wurde.

Das Ende

Abel erlag 1971 - hoch geehrt - in Moskau einem Krebsleiden. Powers kam knapp sechs Jahre später in Los Angeles bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben.

Die Glienicker Brücke verbindet heute wieder den Berliner Ortsteil Wannsee mit der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam.

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