Binnenverkehr - Adri-eef und Sven Bosman fahren ein 183 Meter langes Containerschiff über den Rhein / Die Millennium steuert regelmäßig die Häfen in Mannheim und Ludwigshafen an

Ein Arbeitsleben auf dem "schönsten Fluss Europas"

Von 
Anne-Kathrin Jeschke
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Mit ihrem Schiff Millennium transportiert die niederländische Familie Bosman Container nach Rotterdam, darin auch Waren aus Mannheim und Ludwigshafen. Die Besatzung arbeitet nicht nur auf dem Wasser, sondern sie lebt dort auch - 350 Tage im Jahr, rund um die Uhr. Ein Besuch.

Die Stadt schläft längst. Sven Bosman aber ist hellwach, als er nach Mitternacht den Terminal der Logistikfirma Contargo im Mannheimer Handelshafen ansteuert. Das 105 Meter lange Schiff parkt der 24-Jährige so lässig ein, als sei es ein Kleinwagen. Der ruhige, höfliche junge Mann zuckt mit den Schultern. Klar, die Technik hilft. Videobilder zeigen den Abstand zur Kaimauer, und Matrose Martijn steht am Bordrand und unterstützt den Schiffsführer per Funk.

Aus Wörth am Rhein kommt die Millennium, die Svens Vater Adri-eef gehört. Ein Containerschiff, das die Männer so pfleglich behandeln "wie eine Jacht". Es ist auf dem Weg nach Rotterdam, zum größten Hafen Europas, den jährlich rund 30 000 See- und 110 000 Binnenschiffe anlaufen. 465 Millionen Tonnen werden dort pro Jahr umgeschlagen. Nahezu Woche für Woche pendelt Familie Bosman zwischen den Niederlanden und Deutschland. Transportiert meist leere Container flussauf- und Güter flussabwärts. Darunter Autoteile, Lebensmittel, Gefahrstoffe. "Fast 3800 Tonnen Gewicht, wenn die Millennium voll beladen ist", erklärt Adri-eef Bosman. Er und Sven wechseln sich am Steuer ab, fahren Tag und Nacht.

Es ist vier Uhr am Morgen, als die Millennium den Terminal in Mannheim verlässt. Als Koppelverband, fast 80 Meter länger als zuvor: Matrose Jonathan Pichon hatte hier mit einer Barge auf seine Chefs gewartet. Die Millennium schiebt den angekoppelten Ladungsbehälter nun durchs Grau der Nacht, rüber nach Ludwigshafen. Denn knapp eine Stunde später schon folgt dort der nächste Zwischenstopp: im Kaiserwörthhafen.

Nur wenige Container müssen hier am frühen Morgen zugeladen werden. Es rumpelt leicht, immer dann, wenn der riesige Kran einen weiteren Behälter absetzt. Im Führerhaus kontrolliert Adri-eef über den Computer, ob alles an seinem Platz landet. Das Gewicht muss gut verteilt sein, damit das Schiff keine Schlagseite bekommt - und welcher Container später wo gelöscht wird, spielt natürlich auch eine Rolle.

Familientreffen fern der Heimat

Als die Millennium in Ludwigshafen ablegt, trifft Adri-eefs Neffe im Hafen ein. In Mannheim liegt das Schiff seines Bruders. "Familientreffen", sagt der Schiffsführer - rheinaufwärts, viele hundert Kilometer entfernt von daheim. Aber wo ist das eigentlich - daheim -, wenn man 350 Tage im Jahr auf dem Wasser verbringt? Das niederländische Zwijndrecht, wo das Haus der Familie steht? Das mehrere Millionen Euro teure Schiff, das Adri-eef nach seinen Vorstellungen bauen ließ? Dessen Innenausstattung mit der einer gemütlichen Wohnung an Land mithält - und dessen Motorraum aus Liebe zum Zweirad kawasaki-grün lackiert ist. Oder ist es der Rhein?

"Wenn ich eine Woche im Haus bin, stört es mich, dass ich immer dasselbe sehe, wenn ich aus dem Fenster blicke." Die kleinen Fältchen um Adri-eef Bosmans Augen hüpfen. Sie verraten, dass der "Kapitän" gerne lacht - aber auch, dass er wenig schläft. Fünf, sechs Stunden reichen, sagt er. Adri-eef ist ein warmherziger Mann Anfang 50. Einer, der schon viel erlebt hat auf dem Wasser - und der so schön davon erzählen kann. Von den ersten Nächten etwa, in denen sein Sohn das riesige Schiff allein gesteuert hat. Adri-eef schlief auf der Bank im Führerhaus - "sicherheitshalber".

Die beiden Männer wachen dort über ein großes Pult voll Technik: überall Knöpfe und Hebel, außerdem zahlreiche Bildschirme. Die Millennium hat allein mehr als zehn Kameras an Bord. Es gibt Sensoren, die die Wassertiefe messen. Funk, Radar, modernste Ausstattung.

Das Schiff gleitet mit knapp 20 Stundenkilometern durchs Wasser, das verrät der Drehzahlmesser. Auf dem Fluss herrscht eine andere Zeitrechnung als an Land, alles wirkt entschleunigt. Die Schiffsbesatzung braucht Geduld: Oft muss sie stundenlang am Hafen warten - etwa weil erst einmal ein anderes Schiff dran ist. Oder weil manche Terminals nachts nicht besetzt sind. Der Beruf hat sich verändert, sagt Adri-eef: "mehr Regeln, mehr Prüfungen, mehr Bürokratie." 2004 bis 2008 seien extrem gute Jahre in der Binnenschifffahrt gewesen. Dann kam die Krise. "Langsam, aber sicher geht es bergauf, aber die Geschäfte sind längst nicht so gut wie vor 2008."

Ein anderes Leben als dieses hier kann er sich trotzdem nicht vorstellen: auf dem Rhein, dem "schönsten Fluss Europas". Der beeindruckendste Abschnitt liege zwischen Bingen und Düsseldorf, vorbei an der Loreley, an Weinbergen und stolzen Burgen. Diesmal aber bleibt ihm der Anblick verwehrt - nachts sind eben alle Felsen grau.

Stunden vergehen, Tage. Die Landschaft wechselt: vom Gebirge am Mittelrhein zur Industrielandschaft des Niederrheins. Dazwischen schiebt sich die Millennium vorbei an den Türmen des Kölner Doms, unter der Hohenzollernbrücke hindurch, deren berühmte Liebesschlösser in der Sonne glitzern. Es sei schon ein besonderes Leben, das sie führten, sagt Adri-eef Bosman. Aber er kennt es nicht anders: Schon seine Großeltern sind auf dem Rhein gefahren. Und seine Frau Dymphna stammt ebenfalls aus einer Schifferfamilie - auch sie hat die Erlaubnis, die Millennium über den Rhein zu lenken. Zur Silberhochzeit haben sie mit der ganzen Familie Urlaub gemacht - ausgerechnet eine Kreuzfahrt. Das muss Liebe sein.

Allein unter Männern

Dymphna Bosman ist meist allein an Bord mit den Männern: mit Adri-eef, mit Sven und den Matrosen, die sich abwechseln. Tochter Joyce hat sich mit ihrer Familie für ein Leben an Land entschieden. Für Sven hingegen war früh klar, wo er hingehört: "Ich habe immer aufs Wochenende gewartet: endlich wieder aufs Schiff." Eine harte Zeit für Dymphna, damals, als die Kinder ins Internat mussten. Anders ging es ja nicht. "Egal, wo wir gerade fuhren, ich habe mich ins Auto gesetzt und sie abgeholt", erzählt die einnehmende Frau, der man ihre 49 Jahre längst nicht ansieht. Wenn die Millennium in Rotterdam anlegt, fährt sie nach Zwijndrecht: ihren Enkel besuchen, zum Yoga, andere Leute treffen. Und einkaufen - für die nächste Fahrt.

Vier Tage sind vergangen, seit die Millennium in Wörth abgelegt hat. Mit Stopps in Karlsruhe, Mannheim, Ludwigshafen, Ginsheim-Gustavsburg und Bonn. Es ist noch Nacht, als die ersten Lichter von Rotterdam am Horizont erscheinen. Eine Stunde wartet Adri-eef Bosman am Terminal des Stadthafens. Diesmal läuft er - sonst die Ruhe selbst - nervös im Führerhaus hin und her. Er will schnell weiter, zum großen Teil des Hafens, der außerhalb der Stadt liegt. Auf den letzten Kilometern: überall Umschlagplätze. Containerbrücken und Transporter, die automatisiert arbeiten. Bunte Containerwände, mächtige Seefrachter. Dagegen wirkt die 183 Meter lange Millennium plötzlich fast wie ein Spielzeugmodell.

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Zwischen Containern nach Rotterdam

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Die Millennium

  • Familie Bosman ließ das Schiff nach eigenen Vorstellungen bauen, 2010 wurde es fertig. Es ist als Koppelverband 183 Meter lang und 11,45 Meter breit.
  • 352 20-Fuß-Container passen auf die Millennium. Bei voller Ladung sind das fast 3800 Tonnen Gewicht.
  • Der Maschinenraum misst nach Angaben Adri-eef Bosmans etwa 100 Quadratmeter, die Wohnfläche beziffert er auf rund 125 Quadratmeter.
  • Die Millennium hat zwei 40 000-Liter-Kraftstofftanks, vollgetankt genügt das für zwei Touren: zweimal in den Südwesten Deutschlands und zurück.
  • Für die Strecke Rotterdam - Mannheim auf dem Rhein rechnet Adri-eef Bosman an reiner Fahrzeit mit etwa 52 Stunden, flussabwärts geht es wesentlich schneller: 32 Stunden.
  • "Zu Berg" fährt das Schiff umgerechnet rund neun bis elf Stundenkilometer, flussabwärts etwa doppelt so schnell.

Freie Autorin Seit 2014 freie Journalistin in Mannheim. Davor: Journalistik-Studium in Leipzig, Volontariat beim "Mannheimer Morgen", Redakteurin beim "MM" und beim "Öko-Test-Verlag" in Frankfurt.

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