Diese Ergebnisse waren abzusehen, sie sind wahrlich kein Schock und doch erschütternd, je länger man sich mit ihnen auseinandersetzt. Der Osten wird zur demokratischen Prüfung, denn er vertraut zu großen Teilen radikalen Kräften mehr als den etablierten. Die AfD siegt mit klarem Abstand zur CDU in Thüringen, in Sachsen hat sie ein Drittel der Stimmen geholt. Ihren Wählern macht es nichts aus, dass die AfD in beiden Ländern vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird.
Die nächste Erschütterung: Die Links-Rechts-Populistin Sahra Wagenknecht wird mit ihrem Bündnis kurz nach der Gründung zweistellig. Was AfD und BSW eint, ist das Versprechen eines autoritären Staats. Nur mit heftigen politischen Verrenkungen wird die Regierungsfähigkeit beider Länder gewährleistet sein, wenn man ohne Radikale zusammenarbeiten will.
Wir sehen hier das Ende einer relativen Stabilität, die im Osten seit der Wiedervereinigung allerdings nie mit einer Bindungskraft an Parteien wie im Westen einherging. Das ostdeutsche Misstrauen gegenüber dem Westen und der Hauptstadtpolitik ist kein neues Phänomen.
Dieser Wahlsonntag wirkt dennoch wie eine Abrechnung. Wenn die schlichtesten Antworten auf die Probleme in der Migrations- und Sozialpolitik und zum Ukraine-Krieg den Nerv der Bevölkerung treffen, dann kann man nicht mehr entschuldigend sagen, die ostdeutsche Demokratie sei noch jung und unerfahren. Dafür war diesmal auch die Wahlbeteiligung schlicht zu hoch. Die Menschen in Thüringen und Sachsen wissen ganz genau, welche Botschaft sie mit ihren Stimmen in Richtung Berlin geschickt haben: Die Geduld ist am Ende.
Die Hilflosigkeit der dauerstreitenden Ampel-Parteien werden sie damit sicher nicht beenden. Es ist zu erwarten, dass SPD, Grüne und FDP versuchen, ihre desaströsen Ergebnisse vom Sonntag schnellstmöglich mit neuerlichem, konzeptlosem Aktivismus vergessen zu machen.
Auch sie tragen Verantwortung für den Rechtsruck, angeführt von einem kommunikationsschwachen Bundeskanzler Olaf Scholz. Reagieren muss aber auch Friedrich Merz. Der CDU-Chef gerät mit dem generellen Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linken in Nöte, wenn er halbwegs stabile Verhältnisse sichern will. Genau genommen müsste diese Ablehnung auch gegenüber der Ex-Linken Wagenknecht gelten. Es werden aufgeregte Tage – und die Brandenburger wählen auch noch in drei Wochen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Dieser Wahltag ist das Ende der politischen Stabilität
Die AfD siegt, das BSW wird zweistellig, die Ampel spielt keine Rolle: Die Wahlen in Thüringen und Sachsen bringen etablierte Parteien in Nöte. Wer jetzt reagieren muss, kommentiert "MM"-Chefredakteur Karsten Kammholz