Literatur - Angelika Klüssendorf schreibt in „Jahre später“ ihre Geschichte einer jungen Frau weiter / Ein ungleiches Paar driftet zunehmend auseinander

Szenen einer Ehe mit brutalem Chirurgen

Von 
Jeanette Stickler
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Die Autorin Angelika Klüssendorf in der Kölner Buchhandlung Bittner. © Schäfer

Eine unglückliche Kindheit hat die Schriftstellerin Angelika Klüssendorf, Jahrgang 1958, in „Das Mädchen“ beschrieben, eine schwierige Jugend in „April“. Da darf man im dritten Teil des Zyklus mit dem Titel „Jahre später“ nicht erwarten, dass hier nun eitel Sonnenschein herrscht.

Aber ein wenig Hoffnung auf angenehmere Empfindungen, auf Vertrauen etwa, Freude, ja, gar Liebe wird freilich zunächst gesät. Aus dem Mädchen mit dem Namen April ist eine Schriftstellerin geworden, die zusammen mit ihrem Sohn Julius von ihren Einkünften als Kellnerin, Putzfrau und Blumenverkäuferin lebt. Bei einer Lesung aus ihrem ersten Buch macht ein Mann auf sich aufmerksam.

Ausgelassenheit währt nur kurz

Ludwig ist Arzt, „schwitzt, trägt die falschen Klamotten, hat einen merkwürdigen Gang“. Überhaupt ist einiges befremdlich an ihm, dennoch oder vielleicht gerade deshalb fühlt sich April sofort mit ihm verbunden und vertraut. Sie treiben Schabernack miteinander, lesen sich gegenseitig Kinderbücher vor, sind ausgelassen und heiter.

Tatsächlich entsteht daraus eine Ehe, eine Familie mit einem gemeinsamen Kind. Und zugleich eine riesige Überforderung. Ludwig arbeitet in großer Anspannung als Chirurg.

Freizeit: Kriegsspiele am PC

In seiner wenigen Freizeit zieht er sich zuhause vor den Computer mit lärmenden Kriegsspielen zurück, April versucht sich in der Rolle einer fürsorglichen Gattin und Mutter. Der Leser ahnt schon früh, dass diese Konstellation auf Dauer nicht gut gehen kann.

Ehemann Ludwig erweist sich im Verlauf zunehmend als menschenverachtender Dämon: „Ich werde Dich zertreten wie einen Parasiten“, droht er April, „ich werde dich vernichten.“

Angelika Klüssendorf schildert die zarten und hoffnungsvollen Triebe dieser ungleichen Beziehung. Schließlich beschreibt sie auch die nicht mehr kittbaren Zerwürfnisse. In welcher Radikalität Klüssendorf den Niedergang und das Ende einer Ehe ungeschönt vor Augen führt, ist von großer Eindringlichkeit: Das ist eine schnörkellose, glasklare, schonungslose Prosa, wie sie nicht oft zu lesen ist.

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