Literatur - Elena Ferrantes Roman „Frau im Dunkeln“ liegt jetzt neu übersetzt vor

Zwiespalt des weiblichen Daseins

Von 
Jeanette Stickler
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Leda, Universitätsprofessorin in Florenz, noch lange nicht fünfzig, geschieden, gut aussehend und schlank, entscheidet sich für lange Ferien am Meer. Doch dem Gedanken, dass es sich bei „Frau im Dunkeln“ um eine unterhaltsame Urlaubsgeschichte handeln könnte, tritt die italienische Autorin des Romans gleich im ersten Satz entgegen: „Ich war noch keine Stunde unterwegs, als mein Zustand sich verschlechterte.“

Der bereits 2006 erschienene Roman ist ein weiteres Werk von Elena Ferrante, jener geradezu legendären Schriftstellerin der Saga um die beiden Freundinnen Elena und Lila, die am Mannheimer Nationaltheater jetzt auch als Schauspiel zu erleben ist. Auch auf Deutsch lag das Buch bereits vor, weitgehend unbeachtet. Zu Unrecht.

Familie aus Neapel

Eingefleischten Ferrante-Lesern mögen die Zutaten bekannt vorkommen – es taucht auch hier der Name Elena auf, es gibt viele Verweise auf Neapel, und immer wieder geht es um das Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern, um die ständig präsente Frage: Wer bin ich, wenn ich Frau bin, wenn ich Mutter bin? Zu solchen Überlegungen wird Leda angestachelt von einer weit verzweigten Familie, die in der Nähe ihrer Strandliege die Tage am Meer verbringt, unverkenn- und unüberhörbar aus Neapel, wo auch Leda aufgewachsen ist.

Ihr Augenmerk fällt dabei auf die junge, schöne Nina, die ein inniges Verhältnis zu ihrer kleinen Tochter Elena zu haben scheint. Als sich Leda dabei ertappt, das Lieblingsspielzeug des kleinen Mädchens an sich genommen zu haben, versetzt diese Handlung nicht nur die Großfamilie in Aufruhr, die verzweifelt danach sucht. Es bringt auch Leda dazu, sich ihrer Kindheit zu erinnern. Vor allem aber hält sie Rückschau auf ihr eigenes Leben als ehrgeizige Studentin und als junge Frau, die kurz hintereinander zwei Töchter zur Welt bringt.

Denn sie sieht sich gezwungen, aus dem Leben an der Universität auszusteigen, während ihr Mann, der Vater der Kinder, unbeirrt seine akademische Karriere fortsetzt: „So war mit fünfundzwanzig für mich jedes andere Spiel gelaufen... Ich war zu müde, um zu arbeiten, zu denken, zu lachen, zu weinen, diesen Mann zu lieben... Ich hatte seit Monaten kein Buch mehr aufgeschlagen, ich war erschöpft und gereizt, das Geld reichte nie, ich schlief kaum.“ Und: „Alles in jenen Jahren schien mir hoffnungslos, ich selbst war hoffnungslos.“ – So hoffnungslos, dass Leda, als ihre Mädchen vier und sechs Jahre alt waren, die erstbeste Gelegenheit nutzte, sich verliebte und die Familie für Jahre verließ.

Ferrantes knapper Roman ist der schonungslose Blick einer Frau auf sich selbst. In dieser aufwühlenden Ich-Erzählung hält sich eine Frau einen Spiegel vor und geht hart mit sich ins Gericht. Nichts wird beschwichtigt, nichts beschönigt, keine Schwäche, keine Aggression, keine Bösartigkeit. In seiner strengen Komposition, die sich keine überflüssige Abschweifung erlaubt, konzentriert sich der Roman auf die Ambivalenzen weiblichen Lebens, auf die widersprüchlichen und kaum zu vereinenden Gefühle, denen junge Frauen und Mütter ausgesetzt sind, wenn sie sich und ihre eigenen Bedürfnisse nicht aufgeben wollen.

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