Geistliches Wort

Nicht egal

Von 
Andreas Korol
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Vor kurzem las ich in der „Zeit“ folgenden Artikel: „Abends auf dem Heimweg sehe ich einen betrunkenen Mann auf der Straße liegen. Offenbar ein Obdachloser. Ich halte an und versuche, ihm zu helfen. Alle fahren vorbei, bis auf ein kleines Auto, dessen Fahrerin ich gut kenne. Sie organisiert Hilfe im nahe gelegenen Obdachlosenheim. Kurz darauf kommen zwei Mitarbeiter, um den Mann ins Heim zu begleiten. Und ich weiß, dass ich vor Jahren die richtige Frau geheiratet habe.“

Diese kleine Geschichte hat mich sehr berührt. Was wäre aus dem Mann – dem Obdachlosen – geworden, hätte es nicht Menschen gegeben, die geholfen haben. Vielleicht haben Sie, wenn Sie das jetzt lesen, eine Erinnerung an eine ähnliche Situation. Mir fallen da gleich mehrere Geschichten dazu ein. Sie sind Ausdruck dafür, dass es mindestens drei Wirklichkeiten gibt in unserer Gesellschaft.

Nummer eins: Andere sind mir ziemlich egal. Ich schaue, dass es mir selbst gut geht und ich nicht in Bedrängnis komme. Vielleicht verliere ich Zeit oder mache mir die Hände schmutzig. Wird sich schon jemand kümmern.

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Nummer zwei: Ich weiß nicht so recht. Irgendwie sollte man helfen. Aber das wird mir zu anstrengend und man weiß ja nie was dann passiert….

Nummer drei: Da gibt es Menschen, denen es situativ oder chronisch schlecht geht. Sie sind mir nicht egal. Ich solidarisiere mich und tue mein Mögliches dazu, um die Situation zu verbessern. Das kostet mich ein bisschen Anstrengung, aber es lohnt sich.

Sie können sich jetzt fragen, wo sie selbst stehen. Denn nicht angeordnete Moral, sondern ehrliche Selbstreflexion und konsequentes Handeln sind vonnöten. Und das ist genau das, was wir brauchen. Jetzt, gerade in der Situation, in der viele Menschen mitten in unserem Land in eine existenziell schwierige Situation gekommen sind. Durch die brutalen Überschwemmungen hat sich gezeigt, wie wichtig und wertvoll die Solidarität unter uns Menschen ist.

Auch wenn jede/r vom Unglück Betroffene selbst damit umgehen muss, tut es gut zu wissen, dass vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Situation nicht egal ist. Sie überweisen Geld, packen mit an, bringen warme Getränke, schreiben aufmunternde Botschaften. Das verbessert die Grundsituation der vom schlimmen Unglück Betroffenen nicht unbedingt fundamental. Aber es lässt sie besser tragen und aushalten. Und kleine Hilfen können oft in der Summe auch etwas bewirken.

Solidarität existenziell

In der momentan schwierigen Situation durch die Corona-Pandemie wird die Schere zwischen denen, die alles haben und denen, die immer mehr verlieren, immer größer. Deshalb braucht es mehr denn je Menschen, die den Blick für den anderen Menschen haben. Den Blick für das Nötige. Auch wenn es anstrengend wird. Aber daran geht kein Weg vorbei. In der Bahn, im Bus, am Fluss oder auf dem Gehweg. Oder wo auch immer. Eigentlich überall. In unserer Ellbogengesellschaft, in der der Stärkere ungleich mehr Chancen und Möglichkeiten hat, ist das Einüben von Solidarität existenziell, wollen wir als Gesellschaft überleben. Letztlich geht es auch um das eigene Überleben: „Alles nun, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ (Mt. 7,12) Ich möchte diese Empfehlung Jesu ganz ernst nehmen. Sind Sie dabei?

Diakon Andreas Korol, Stadtkirche Heidelberg

Freier Autor Theologe, Diakon und Mitarbeiter in der Stadtkirche Heidelberg; daneben eigene Praxis für Organisationsberatung, Supervision und Mediation Männerkurse in initiatorischer Männerarbeit VIA SAL Praxis am Neckarsteig

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