Kennen Sie das? Sie lesen einen alten Text und finden, er passt gut ins Hier und Heute. So ging es mir mit einem Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jeremia (29,1-14). Biblische Propheten Prophetinnen haben ihre Gegenwart scharf beobachtet, um daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Sie haben das gemacht, was der Zukunftsforscher Matthias Horx unter Regnose versteht: Ich stelle mir eine gute Zukunft vor, und überlege von da aus quasi zurück, wie wir dahin gelangt sind. Was haben wir verändert, damit diese imaginierte Zukunft Wirklichkeit geworden ist? Die Antworten darauf geben uns Orientierung für aktuelle Entscheidungen.
Jeremia konnte das: Diesen Blick in eine gute Zukunft wagen und wahrnehmen, was es dafür jetzt schon braucht. Und er tat das vor etwa 2600 Jahren in einer absoluten Krisenzeit. Das jüdische Volk war besiegt, ihr Land besetzt durch die damalige Großmacht der Babylonier. Ein Teil des Volkes war ins Exil deportiert worden. Ihnen schreibt Jeremia einen Brief. Darin bringt er Haltungen und Zusagen zum Ausdruck, die auch in unsere Zeit hineinsprechen: „Findet euch damit ab, dass diese Ausnahmesituation länger dauern wird, richtet euch darin ein.“
Kommt uns das bekannt vor? Auch wir müssen weiterhin damit umgehen, dass die Corona-Pandemie unser Leben bestimmt. Mit Krisen umzugehen ist schwer. Es fordert Mut, sich der ganzen Wahrheit zu stellen. Wir müssen Enttäuschungen zulassen, Schmerzen durchleben und trauern, weil es nie mehr so sein wird wie zuvor. Aber erst, wenn wir akzeptieren, was ist, können wir es verändern. Die Schockstarre löst sich, wir können erste Schritte gehen.
Wagt zu hoffen!
Bei Jeremia liest sich das ganz praktisch: „Baut Häuser, legt Gärten an, verheiratet eure Söhne und Töchter, freut euch auf Enkelkinder. Betet für das Wohl der Stadt, in der ihr jetzt lebt. Betrachtet Babylon nicht nur als Feindesland, sondern auch als einen Ort, an dem es für Euch sogar eine gute Zukunft geben kann! Gott hat euch nicht den Feinden ausgeliefert. Gott ist mit euch – egal, wo ihr seid! Verliert das Gottvertrauen nicht, sondern lotet die Chancen der Krise aus.“
Dass Katastrophen das Glaubensleben durcheinanderbringen, erleben wir in der Pandemie: Wie viele kreative Ideen haben Glaubensgemeinschaften entwickelt, um miteinander zu beten, um Menschen nahe zu sein, die krank, hilfebedürftig, einsam und verzweifelt waren? Und wir sind noch nicht durch. Dazu gibt es von Jeremia eine weitere Empfehlung: Wagt zu hoffen! Inmitten der Katastrophe sagt Gott: „Ich habe Pläne des Friedens und nicht des Unglücks für Euch. Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben.“ Wir können das vielleicht so verstehen: Auch wenn es jetzt unvorstellbar ist, das Leben kann sich in der Zukunft wieder gut anfühlen – anders als früher, aber auch gut, vielleicht sogar besser. Biblische Texte erzählen, dass Gott nicht die Zerstörung der Welt will, sondern ihre Rettung.
Ob die Pandemie je besiegt werden kann, wissen wir nicht. Ob es gelingt, die Klimakrise zu überwinden, ist ungewiss. Aber wagen wir gerade darum, zu hoffen. Werfen wir einen Blick in diese vollendete Zukunft und richten unser Handeln und unsere Entscheidungen danach aus. Das würde auch Jeremia gefallen haben.
Petra Heilig
Ökumenisches
Bildungszentrum Sanctclara
in Mannheim
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