Wenn ich an die Zeiten zurückdenke, in denen ich für die Erziehung meiner Kinder zuständig war, fallen mir immer wieder Situationen ein, die mich nachdenklich machen. Ich neigte dazu, Dinge schnell und konkret regeln zu wollen. In einer großen Familie ist das von Vorteil. „Ich mach jetzt mal eine Ansage und darüber wird nicht diskutiert, basta!“ Alle, die mit Erziehung zu tun haben, kennen das wahrscheinlich gut genug. Heute sehe ich das so: Es kann in der ein oder anderen Situation hilfreich und sogar notwendig sein, zu bestimmen und klar die Richtung vorzugeben. Aber – auch wenn es mühsamer ist – würde ich grundsätzliche Dinge und Entscheidungen immer mit allen besprechen und die Meinung aller hören. Im politischen Kontext heißt das Demokratie – kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt Volksherrschaft – Organisation auf der Grundlage von Partizipation. Das klingt einleuchtend und selbstverständlich, ist es aber nicht. Wir erleben es gerade in unserer Gesellschaft. Da sind Kräfte, Personen, Personengruppen, Parteien – was auch immer – unterwegs, die ein Leitungsmodell präferieren, wie wir es vor Jahrhunderten erlebt haben: Von oben wird gesagt, was richtig und falsch ist und alle haben sich danach zu richten. Der alternde Adel kennt das noch, auch meine Urgroßeltern (die nicht mehr leben). Schon meine Generation ist mit demokratischen Prinzipien groß geworden und kennen anderes nur aus Nachrichten oder Schule.
Seit Jahren verdiene ich mein täglich Brot mit dem Engagement in der Katholischen Kirche. Die Kirche ist nun nicht gerade die Einrichtung, die mit zu viel gelebter Demokratie in Verbindung gebracht wird und dennoch ist deren Gründer (ich meine Jesus) ein Demokrat. Beispiel gefällig? Jesus sagt zu den Zuhörenden: „Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt.“ (Mt 5, 13-14). Damit sagt er: Mischt euch ein und gestaltet die Welt mit. Eure Gedanken, euer Handeln ist wichtig. Und zwar von jedem – egal ob Frau, Mann, alt, jung – ihr sollt etwas beitragen und auch gehört und wahrgenommen werden damit. Demokratie lebt von der Unterschiedlichkeit und der Vielfalt. Und Jesus war vor allem immer auf Augenhöhe mit den Menschen, vor allem den Schwächeren – den Kranken, Ausgestoßenen, Kindern. Mit denen, die öffentlich keine Stimme hatten. Gerade auch sie brauchen eine Stimme. So funktioniert echte Demokratie: Jede und jeder hat eine Stimme und wird gehört.
Das wollten die früheren Machthaber nicht gerne haben – weil es das Machtgefälle und die hierarchische Grundordnung stört. Und so wollen es auch die rechtsradikalen und fundamentalistischen Strömungen unserer Zeit und Tage haben: Die Stimme der Basis stört, Pluralität ist Gift und die Gleichwertigkeit der Kulturen ein Gräuel, mit dem sich nicht herrschen lässt.
Obwohl es mühsamer ist, als von oben herab zu bestimmen und zu herrschen, ist der demokratische Weg der beste und wird dem Menschen am meisten gerecht. Wer Jesus nachfolgt, kann eigentlich nur Demokrat sein und wird sich von allen extremen nationalistischen Strömungen distanzieren – in kleinen wie in großen Kontexten.
Heute würde ich meine Kinder an der ein oder anderen Stelle mehr mitreden lassen. Ich weiß inzwischen, wie kostbar das Miteinander auf Augenhöhe ist. Der einzige Weg, der uns in echter Freiheit hält.
Andreas Korol, Diakon, Stadtkirche Heidelberg
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