Ludwigshafen. „Wir verstehen uns als Pflegedienst, für den Pflege mehr als Körperhygiene ist“, so Baris Yilmaz, der 2011 den Pflegedienst MaLu in Ludwigshafen gegründet hat. Die Alterung der Gesellschaft bewirkt dauerhaft, dass es mehr ältere als jüngere Menschen gibt. Diese Verschiebung der Altersstruktur betrifft auch die sogenannten Gastarbeiter, die in den 1950er- und 1960er-Jahren nach Deutschland einwanderten.
Viele von ihnen sind über 80 Jahre alt und müssen wie andere Gleichaltrige auch bei der täglichen Körperhygiene und der medizinischen Versorgung von Altenpflegern unterstützt werden. Für den Pflegesektor erfordern Angebote für diese Zielgruppe nicht nur vor dem religiösen Hintergrund eine kultursensible Ausrichtung.
Erst in Dönergeschäft gearbeitet, dann im Krankenhaus
Ein professioneller Anbieter, der die Bedürfnisse dieser Zielgruppe früh erkannt hat, ist Baris Yilmaz. Der 49-Jährige lebt seit 1990 in Ludwigshafen und folgte damals seinem Vater, der als Gastarbeiter aus Ostanatolien schon viele Jahre in Ludwigshafen lebte. Der bildungsaffine 16-Jährige besuchte gleich nach seiner Anreise eine regionale Schule, die er jedoch nach nur einem Jahr wegen eines Ultimatums der Ausländerbehörde verlassen musste: Arbeiten oder in die Türkei zurückkehren, lautete die Ansage der Behörde.
Yilmaz entschied sich zu bleiben, und arbeitete zwei Jahre in einem Mannheimer Dönergeschäft, heiratete seine Freundin und nahm eine Tätigkeit als Küchenmitarbeiter im Mannheimer Theresienkrankenhaus auf. „Deutsch lernte ich von meinen dortigen Kollegen, ich hatte innerhalb kurzer Zeit sehr viele deutsche Freunde“, erklärt Yilmaz seinen erfolgreichen Erwerb der deutschen Sprache.
Yilmaz’ Ehefrau Hatice, ausgebildet als Krankenschwester und studierte Betriebswirtin, schlug ihrem Mann 2011 vor, einen ambulanten Pflegedienst zu eröffnen. „Hatice erkannte in ihrer Tätigkeit als Krankenschwester, wie hoch die Nachfrage nach kultursensibler Pflege ist“, so Yilmaz. In den damaligen Debatten über die sogenannten Gastarbeiter übersah die Politik Yilmaz zufolge, dass die Arbeitsmigranten nicht nur Arbeitskräfte waren, sondern ihre Sprache, Kultur und Religion mitgebracht hatten und im Alter auch einer dementsprechenden Pflege bedurften. „Damals gab es kaum Deutschkurse, viele der Gastarbeiter konnten auch im Alter wenig Deutsch. Umso wichtiger war es, dass sie von Personen gepflegt wurden, die sie verstehen“, so Yilmaz.
Wer pflegebedürftig, also bei alltäglichen Pflegeabläufen auf die Hilfe anderer angewiesen ist, empfindet oftmals Scham wegen dieser Bedürftigkeit. Vielen Betroffenen fällt es schwer, Hilfe anzunehmen und eigene Bedürfnisse mitzuteilen. Für Migranten, die der Sprache nicht mächtig sind, gesellen sich sprachliche Hindernisse dazu. Allein der Satz „Ich bin Pfleger, ich möchte dir helfen“ in der Muttersprache des Pflegebedürftigen kann Wunder wirken, glaubt Yilmaz. „Über Sprache können wir uns mitteilen und über Kommunikation anderen Vertrauen schenken. Pflege heißt, Scham überwinden, Hilfe zulassen und so die eigene Ohnmacht akzeptieren“, erklärt Yilmaz.
MaLu-Kunden leben in Mannheim und Ludwigshafen
Für den mobilen Pflegedienst MaLu gehört die kultursensible Pflege zum beruflichen Alltag. Über 62 Mitarbeiter aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten und Religionen arbeiten in einem interkulturellen Team zusammen und unterstützen ihre Kunden bei der täglichen Körperhygiene und der medizinischen Versorgung. „Russisch, osteuropäische Sprachen, Türkisch, Kurdisch, Arabisch, Persisch. In unserem Team werden Dutzende Sprachen gesprochen, wir haben muslimische, orthodoxe, christliche und jüdische Mitarbeiter“, lobt Yilmaz die Diversität seines Teams.
Die Kunden von MaLu leben in Mannheim, Ludwigshafen und Frankenthal, auch Krankenhäuser nutzen die Unterstützung des mobilen Pflegedienst. Für Yilmaz und sein Team ist in der alltäglichen Pflege die Beachtung religiöser Rituale und die Kommunikation in der Muttersprache der Pflegebedürftigen sehr wichtig. „Manche Frauen wollen nur von Mitarbeiterinnen gepflegt werden“, erklärt Yilmaz den kultursensiblen Pflegeansatz.
Über die Pflege hinaus ist der Pflegedienst MaLu auch beratend tätig. Aufgrund sprachlicher Barrieren falle es vielen älteren Migranten schwer, Dokumente auszufüllen. Zudem verstärkte die Digitalisierung diese Entwicklung, da gerade ältere Bürger mit digitalen Dokumenten nicht zurechtkämen. Auch ein Überblick darüber, welche juristischen und finanziellen Hilfen ihnen zustünden, fehle den meisten älteren Migranten.
Auch hier setzt die Beratung von Yilmaz und seinen Mitarbeitern an. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels glaubt Yilmaz, dass sich die prekäre Situation in der Pflege und der Fachkräftemangel zuspitzen und auch der Bedarf an kultursensibler Pflege zunehmen werde.
Mit einer Akquise ausländischer Fachkräfte, wie sie von der Politik vielmals vorgeschlagen wird, seien die Herausforderungen in der Pflege nicht zu lösen. Zudem moniert Yilmaz, dass aus dem Ausland akquirierte Fachkräfte zuallererst fachlich nachqualifiziert werden müssten, da ihre ausländischen Qualifikationen nicht für den Pflegealltag in Deutschland ausreichten.
Auch eine sprachliche Nachqualifizierung in Form mehrmonatiger intensiver Deutschkurse sei unabdingbar, um die ausländischen Fachkräfte beruflich und vor allem gesellschaftlich zu integrieren.
Yilmaz bringt sich auch politisch ein
Neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer von MaLu bringt sich Yilmaz auch politisch in regionaler Gremienarbeit ein. Seit 2008 ist Yilmaz SPD-Mitglied und sitzt seit 2014 für die SPD im Ludwigshafener Stadtrat. In zahlreichen politischen Ausschüssen und Vorträgen macht er auf die prekäre Situation in der Altenpflege aufmerksam und fordert von der Politik wirksame Maßnahmen, um den Fachkräftemangel zu entschärfen. Yilmaz moniert neben der hohen Bürokratisierung der Altenpflege - täglich müssen Pfleger mehrere Berichte schreiben - auch die hohen Mietkosten in Städten, die für seine Beschäftigten zunehmend unzumutbar würden.
Auch dass die flächendeckende Kinderbetreuung in Form von Ganztagskitaplätzen nicht garantiert sei, verhindere die Erwerbstätigkeit vieler beruflich hoch qualifizierter Mütter. „Die Arbeit in der Pflege ist sehr hart, und wir müssen die Beschäftigten dementsprechend honorieren“, lautet Yilmaz weitere Forderung für eine flächendeckende Erhöhung der Löhne für Pflegerinnen und Pfleger.
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