Drogeriekette

Wird dm zur Apotheke, Herr Werner?

Blut- und Hauttest in den Filialen, Medikamente im Internet: Der dm-Chef spricht über die neue Strategie.

Von 
Katharina Engeln
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Christoph Werner ist Chef von dm. Unter den Drogeriemärkten ist dm Platzhirsch, nun will dm in den Gesundheitssektor vorstoßen. © Klar EFS

Berlin. Für dm läuft es rund. Gerade hat die Drogeriemarktkette ihre Zahlen für das jüngste Geschäftsjahr vorgelegt und konnte ein Umsatzwachstum von 8,2 Prozent vermelden. 19,19 Milliarden Euro setzt die Kette nun im Jahr um, mehr als zwei Drittel davon in Deutschland, wo dm mittlerweile 2.154 Filialen betreibt. Doch damit scheint sich dm-Chef Christoph Werner nicht zufriedenzugeben und nimmt nun den Gesundheitsmarkt ins Visier. Über die Pläne spricht der Firmenlenker mit dieser Redaktion.

Herr Werner, in einigen dm-Märkten gibt es testweise Bluttests, außerdem sind weitere Gesundheitsangebote und eine Versandapotheke geplant. Wird dm jetzt zur Apotheke?

Christoph Werner: Nein, dm ist und bleibt ein Drogeriemarkt. Wir passen unsere Sortimente an die Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden an. Deshalb erweitern wir unsere Kompetenz im Gesundheitsbereich. Dazu gehört künftig auch apothekenpflichtige Artikel online anzubieten, wenn sie nicht verschreibungspflichtig sind.

Wie weit sind Sie mit der Umsetzung?

Werner: Unser Plan ist, dass Kundinnen und Kunden auf dm.de künftig auch Artikel finden, die sonst in Online-Apotheken erhältlich sind. Nach aktuellem Stand soll der Service noch in diesem Kalenderjahr live gehen. Ein konkretes Datum können wir noch nicht nennen, weil dafür Genehmigungen notwendig sind, die erst erteilt werden müssen. Wir sind aber zuversichtlich, dass alles klappt.

Trägt dm zum Apothekensterben bei?

Werner: Das glaube ich nicht. Die Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt seit Jahren. Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist das Nachfolgeproblem: Es gibt immer weniger Menschen, die eine Apotheke übernehmen oder neu eröffnen wollen. Unser Einstieg in den Markt betrifft zudem nur apothekenpflichtige, aber nicht verschreibungspflichtige Produkte. Der überwiegende Teil des Umsatzes der Apotheken kommt aus verschreibungspflichtigen Produkten. Deswegen bin ich überzeugt, dass unser Einstieg in diesen Markt für das Wohlergehen der Apotheken eine eher untergeordnete Bedeutung hat.

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Christian Schall
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Werden bei dm künftig auch Apothekerinnen und Apotheker arbeiten?

Werner: In der Tochtergesellschaft, die den Online-Service betreibt, arbeiten Apothekerinnen und Apotheker. In den stationären dm-Märkten ist das Betreiben einer Apotheke nicht gestattet, daher gibt es dort keine Apotheker. Sollte sich der regulatorische Rahmen ändern, ist vieles denkbar – international gibt es Beispiele für Apotheken in Lebensmittelgeschäften oder Drogeriemärkten.

Könnte dm perspektivisch Notdienste übernehmen – gerade angesichts des Apothekensterbens?

Werner: Dafür müssten wir verschreibungspflichtige Medikamente anbieten – was nicht der Fall ist. Ich persönlich glaube aber, dass das Thema Notdienst anders organisiert werden könnte. Zum Beispiel über Krankenhäuser: Diese verfügen bereits über Apothekensortimente und könnten sie so erweitern, dass sie auch Notdienste übernehmen. So müsste man nicht nachsehen, welche Apotheke gerade Notdienst hat.

Wie wird die Beratung zu nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten bei dm erfolgen?

Werner: Ähnlich wie bei bestehenden Online-Apotheken. Wenn Sie auf ein Produkt klicken, öffnet sich eine Detailseite mit sehr vielen Informationen – deutlich mehr, als Sie im Regal vor Ort finden würden. Zusätzlich sind Bewegtbildinhalte, Chatbots mit KI-Unterstützung oder auch telemedizinische Angebote möglich. Die Mitarbeiter in den dm-Märkten dürfen zu den Produkten nicht beraten, weil das gesetzlich verboten ist.

In vielen dm-Märkten ist die Ladenfläche relativ begrenzt. Wenn Sie zusätzlich Gesundheitsleistungen wie Augen-, Haut- oder Bluttests anbieten – bleibt da überhaupt noch Platz für Bereiche wie Familienecken?

Werner: Wir gehen im Ladenbau grundsätzlich recht großzügig vor – mit breiten Gängen, großen Flächen und viel Raum für Kundinnen und Kunden. Wir haben die Möglichkeit, an den Regalenden kleinere Stationen zu integrieren. So eine Station braucht etwa zwei Quadratmeter Fläche, das lässt sich also gut unterbringen. Wenn sich die neuen Gesundheitsangebote bewähren und Märkte ohnehin alle zehn Jahre umgebaut werden, können solche Konzepte künftig auch baulich fest integriert werden.

Als Sie den Einstieg in die Gesundheitsleistungen vorgestellt haben, gab es Kritik von Verbänden und Verbraucherzentralen: dm trage damit zur Kommerzialisierung des Gesundheitswesens bei. Sorgen Sie für eine Art Zweiklassenmedizin?

Werner: Das sehe ich nicht so. Jeder Kunde entscheidet selbst, ob und welche Leistungen er nutzen möchte. Die Preise sind transparent – wer zum Beispiel eine Blut- oder Augenuntersuchung gleich erledigen möchte, statt Wochen auf einen Arzttermin zu warten, kann das tun.

International erfahren

  • Christoph Werner (52) ist das zweitälteste von sieben Kindern des dm-Gründers Götz W. Werner .
  • Der studierte Betriebswirt war unter anderem bei der L’Oréal-Gruppe in Frankreich und beim Pharmaunternehmen GlaxoSmith­Kline in den USA tätig.
  • 2011 wurde Christoph Werner zum Geschäftsführer des Ressorts Marketing und Beschaffung bei dm bestellt. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Geschäfts­­führung .
  • Werner ist verheiratet und hat zwei Kinder . tki

Werden Kunden nicht indirekt zum Kauf gedrängt – etwa, wenn nach einer Hautanalyse sofort bestimmte Produkte empfohlen werden?

Werner: Nein. Die Hautanalyse im Markt ist kostenlos. Ob jemand eine Mitarbeiterin im Markt fragt, welchen Hauttyp er hat, oder ein Gerät nutzt, das eine automatische Analyse vornimmt – beides führt nur zu einer unverbindlichen Empfehlung. Ich würde sogar sagen: Wenn die Empfehlung vom Gerät kommt, fühlt man sich noch weniger verpflichtet, etwas zu kaufen, als im direkten Gespräch.

Der Präsident des Berufsverbands der Deutschen Dermatologen kritisierte, dass beim dm-Hautscreening fehlerhafte Diagnosen gestellt würden – gleichzeitig würden für diese fehlerhafte Diagnose passende dm-Produkte empfohlen. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?

Werner: Hier handelt es sich um eine anekdotische Evidenz, aber nicht um eine fundierte Studie, dass es fehlerhafte Ergebnisse gegeben hätte. Der Präsident des Berufsverbandes müsste es besser wissen.

Der Berufsverband der Augenärzte warnte, dass Ihr Angebot die Praxen nicht entlasten werde. Viele Patientinnen und Patienten mit Verdachtsdiagnosen würden erst recht zum Augenarzt gehen, was die ohnehin überlasteten Praxen zusätzlich belaste …

Werner: Ich frage mich, ob ich recht gehört habe. Nach meinem Kenntnisstand ist es die frühe Diagnose und Behandlung, die Folgekosten einzudämmen vermag. Wenn Sie sich heute als Kassenpatient einen Termin beim Augenarzt geben lassen, dann warten Sie, und zwar nicht zu knapp. Daher macht es gerade Sinn, ein niederschwelliges Angebot für qualitativ gute Augenuntersuchungen zu machen, wie wir es gerade bei dm pilotieren. Menschen, die einen entsprechenden Befund haben, können dann gezielt einen Augenarzt aufsuchen und sich frühzeitig behandeln lassen. Wenn der Berufsverband der Augenärzte befürchtet, überlastet zu werden, sollte er nach Entlastungsmöglichkeiten suchen, indem er bestimmte Augenuntersuchungen anderen überlässt, die sich dafür gezielt qualifizieren können.

In einigen dm-Filialen werden Augenscreenings bereits angeboten. © Christoph Reichwein picture alli

Jetzt sind Sie aber in Rage.

Werner: Ich bin engagiert. Wir bringen uns ein, in der Hoffnung, mit unseren Gesundheitsdienstleistungen einen kleinen Unterschied für ein funktionierendes Gesundheitssystem zu machen. Ziel ist doch, dass Menschen weiterhin gut versorgt sind und nicht denken, das Gesundheitssystem sei am Ende und der Staat inkompetent. Denn dann wird zunehmend die Systemfrage gestellt. Deswegen kann nicht alles so bleiben, wie es ist. Und wenn dann diese Verbände kommen und gegen jede neue Initiative mobilisieren, drängt sich der Verdacht auf, dass sie vielleicht Teil des Problems sind und nicht Teil der Lösung sein wollen.

Aufgrund der Überlastung von Hausärzten haben die Kassenärzte vorgeschlagen, ärztliche Krankschreibungen künftig erst ab dem vierten Tag beim Arbeitgeber vorlegen zu müssen. Eine gute Idee?

Werner: Hier wedelt wohl der Schwanz mit dem Hund! Denn konkret würde das ja bedeuten, dass bis zur Vorlage des Krankenscheins jeder ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen kurzfristig entscheiden könnte, ob er zur Arbeit erscheint oder nicht. Eine leistungsfähige Organisation arbeitsteiliger Wertschöpfungsprozesse würde dadurch schwierig, und Deutschland würde international noch weiter zurückfallen. Auch das Motiv des Vorschlages ist bemerkenswert: Weil Hausarztpraxen überlastet sind, sollen Krankenscheine erst später ausgestellt werden. Das wäre ungefähr so, wie wenn wir sagen, dass künftig Ladendiebstahl bis 150 Euro bagatellisiert wird, weil die Polizei überlastet ist. Absurd, oder?

Müsste man den Karenztag, also die Lohnfortzahlung erst am zweiten Krankheitstag, wieder einführen?

Werner: Sinnvoll fände ich, einen Karenztag einzuführen und es den Unternehmen zu ermöglichen, selbst zu entscheiden, ob sie ihn zur Anwendung bringen möchten oder nicht. Denn kein Unternehmer hat ein Interesse daran, dass sich Menschen krank zur Arbeit schleppen, ihre Arbeit deswegen nur schlecht ausführen und womöglich Kolleginnen und Kollegen noch infizieren. Andererseits kann es sinnvoll sein, auf einem Karenztag zu bestehen, wenn die Krankmeldungen Einzelner auffällige Muster aufweisen. Hier einzugreifen, ist meines Erachtens ein Gebot der Fairness denjenigen gegenüber, die sich mit Ethos an die Arbeit machen.

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