Frankfurt. Die Kriege im Nahen Osten und der Ukraine zwingen Fluggesellschaften, lange Umwege zu fliegen. Das macht ausgerechnet zu Beginn der Sommerferiensaison den Flugbetrieb teurer und es verzerrt den Wettbewerb. Obwohl die fragile Waffenruhe zwischen Iran und Israel seit wenigen Tagen zu halten scheint, hat sich der Flugverkehr noch nicht normalisiert. „Die Lufträume über dem Iran, Irak, Syrien und Israel sind aktuell gesperrt oder werden nicht angeflogen“, fasst der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft zusammen. Zeitweise waren überdies nach dem iranischen Angriff auf einen US-Militärstützpunkt in Katar die Lufträume über Katar, Bahrain und Kuwait geschlossen.
Damit nicht genug: Wegen des Konflikts zwischen Pakistan und Indien waren im Mai der pakistanische und der indische Luftraum zeitweise gesperrt. Den russischen Luftraum dürfen europäische Fluggesellschaften wegen des Ukraine-Krieges seit drei Jahren nicht mehr nutzen. Wegen der angespannten Lage im Nahen Osten werde bei Flügen nach Asien aktuell vermehrt die Route über die Türkei, Ägypten, den Kaukasus und Afghanistan genutzt, erklärt der Branchenverband. Auch Flüge über Saudi-Arabien, also südlich des Konfliktgebiets, nähmen zu. Um nicht mehr über Russland zu fliegen, verlaufe manche Alternativroute nach Fernost über die Polarregion.
Große Umwege vor allem für Golf-Airlines wie Qatar Airways, Etihad und Emirates
Die noch bestehende Sperrung des iranischen Luftraums sei insbesondere für europäische Airlines ein erhebliches Problem, sagt der auf die Branche spezialisierte Unternehmensberater Jörg Schwingeler. Um Russland zu umfliegen, müssten sie Richtung Indien und Südostasien einen südlichen Umweg wählen, der häufig über den Iran führt: „Jetzt ist auch diese Ausweichroute noch einmal länger geworden.“ Die vielen Abweichungen verstärken außerdem den Verkehr auf den Alternativstrecken. Das führt zu weiteren Verspätungen.
Ausgesetzte Flüge
- Wegen der angespannten Sicherheitslage in der Region hat die Lufthansa Group alle Flüge von und nach Tel Aviv bis mindestens 31. Juli 2025 ausgesetzt . Auch der iranische Luftraum bleibt vorerst gesperrt. Gleiches gilt für den Irak. Libanon, Syrien, Jordanien haben ihre Lufträume inzwischen teilweise wieder freigegeben.
- Die Lufthansa Group hat Flüge zu folgenden Zielen ausgesetzt: Amman (Jordanien) : Streichung verlängert bis einschließlich 11. Juli. Erbil (Irak) : Streichung verlängert bis einschließlich 11. Juli. Beirut (Libanon) : Streichung verlängert bis einschließlich 30. Juni. Tel Aviv (Israel) : bis einschließlich 31. Juli ausgesetzt. Teheran (Iran) : bis einschließlich 31. Juli ausgesetzt.
- Die Einschränkungen gelten laut Lufthansa für Flüge von Lufthansa, SWISS, Austrian Airlines, Eurowings, ITA Airways, Brussels Airlines und Lufthansa Cargo.
Nicht alle Fluggesellschaften sind allerdings gleichermaßen betroffen. Aktuell müssten vor allem die Golf-Airlines wie Qatar Airways, Etihad und Emirates große Umwegen zu ihren Heimatflughäfen einkalkulieren, sagt der Branchenexperte Cord Schellenberg: „Ich gehe davon aus, dass ihre Flugrouten zwischen Europa und der Arabischen Halbinsel um 30 bis 45 Minuten pro Flug verlängert sind.“ Die Branche kämpfe mit diesen Problemen schon länger, betont der Unternehmensberater Heinrich Grossbongardt. Immerhin sei die Lage im Nahen Osten seit Jahren angespannt. Das sanktionsbedingte Flugverbot für EU-Airlines über Russland verlängere die Flugzeiten nach Japan oder Südkorea für europäische Airlines um bis zu zwei Stunden, unterstreicht Schellenberg.
Eine Flugstunde auf der Langstrecke kostet zwischen 10.000 und 15.000 Euro
Für die Fluggesellschaften sind die Folgen teuer: Viele Flüge in und aus den betreffenden Gebieten müssen gestrichen werden. Die Airlines sind verpflichtet, sich um die dadurch gestrandeten Passagiere zu kümmern. Wenn die Ausweichrouten überlastet sind, entstehen zusätzliche Verzögerungen. Verlängerte Flugzeiten verursachten zusätzliche Kosten für Treibstoff, Flugsicherung, Wartung und Personal, erklärt Schwingeler. Zudem können sie den Flugplan durcheinanderbringen. Wenn eine Maschine später landet, führt das nicht selten auch zu Verspätungen für geplante Folgeflüge – oder sogar zu Flugstreichungen.
Für einen Langstreckenflug in einem Airbus A 350 oder einer Boeing 777 koste eine Flugstunde 10.000 bis 15.000 Euro, rechnet Grossbongardt vor. Einnahmeausfälle entstünden überdies durch Fracht, die nicht mitgenommen werden kann, weil für längere Strecken mehr getankt werden muss. Mehrkosten entstehen auch durch Umbuchungen und Kompensationszahlungen. Wenn Dienstzeiten für Crews das gesetzlich zulässige Maximum überschreiten, muss für den Weiterflug eine zusätzliche Crew eingeplant werden.
Besonders hart getroffen haben die geopolitischen Verwerfungen der vergangenen Jahre zum Beispiel die kleine Traditionsfluglinie Finnair. Die profitierte lange von schnellen Verbindungen nach Fernost. Der Flughafen in der Hauptstadt, Helsinki-Vantaa, wurde zu einem Drehkreuz ausgebaut. Seit aber der russische Flugraum für europäische Fluggesellschaften gesperrt ist, sind diese Verbindungen unrentabel geworden. Tatsächlich gibt es aber auch Gewinner: Chinesische Fluggesellschaften sind vom Russland-Embargo nicht betroffen. „Das ist ein enormer Vorteil, auch im Frachtgeschäft“, sagt Grossbongardt: „Durch geopolitische Konflikte und deren finanzielle Auswirkungen verschieben sich die Gewichte im Wettbewerb der Fluggesellschaften“, warnt er. Allein Air China spare auf dem Weg nach Shanghai bis zu drei Stunden Flugzeit.
Mehrausgaben für Treibstoff und längere Flugzeiten könnten ausgerechnet zur anstehenden Feriensaison die Ticketpreise steigen lassen, fürchtet die Reisebranche: Es sei üblich, Mehrkosten zumindest teilweise auf die Reisenden umzulegen. Wie stark sich die Belastungen aber tatsächlich auf die Ticketpreise auswirken werden, ist offenbar auch eine Frage des Wettbewerbs. „Der Markt bestimmt den Preis“, erklärt die Lufthansa knapp. Wenn das Neugeschäft unter den volatilen äußeren Bedingungen leidet und Kunden zögern, halte er sogar kurzfristige Sonderangebote – etwa von den Golf-Airlines – zur Stimulierung der Nachfrage für möglich, sagt Cord Schellenberg. Auch in Richtung USA könne es zu Sonderangeboten kommen.
Das Sitzplatzangebot auf Reisen innerhalb Europas ist knapp
Dagegen bleibe das Interesse an Reisen innerhalb Europas in dieser Sommersaison groß: „Die konstant hohe Nachfrage trifft auf verspätete Flugzeuglieferungen von Airbus und Boeing, weshalb das Sitzplatzangebot knapp ist“, sagt er. Hinzu kommt: Auch, wenn Lufträume offiziell wieder offen sind, werden die alten Routen nicht unbedingt sofort von allen Airlines wieder genutzt. Viele Fluggesellschaften wollten sich nicht der Gefahr aussetzen, geplante Flüge wegen des Wiederaufflammens der Konflikte kurzfristig wieder streichen zu müssen, sagt Schwingeler.
So hätten mehrere Airlines unter anderem die Bedienung von Tel Aviv und Teheran für Wochen oder gar Monate ausgesetzt. „Wenn die Situation sich entspannt und sich auch der Ölpreis wieder im bisherigen Rahmen einpendelt, sind echte Preiserhöhungen unwahrscheinlich“, prognostiziert Schwingeler. „Man muss allerdings damit rechnen, dass Airlines über ihre Buchungssteuerung auf bestimmten Strecken kurzfristig weniger günstige Tickets anbieten und es dadurch zu höheren Flugpreisen kommt.“ Sollten sich die Konflikte verstetigen und die Ölpreise steigen, müsse mit höheren Preisen gerechnet werden.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-wirtschaft-wie-kriege-fluglinien-und-passagiere-treffen-_arid,2313709.html