Berlin. Kommende Woche steuert der Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags nach fast sieben Monaten der Ermittlungen auf einen Höhepunkt zu. Die Abgeordneten befragen Kanzlerin Angela Merkel zu ihrem Engagement für den Betrugskonzern und Finanzminister Olaf Scholz zum Versagen der Aufsichtsbehörden, die ihm unterstellt waren. Doch die Spitzenpolitiker waren selbst kaum selbst mit dem Unternehmen befasst. Der Milliardenbetrug konnte nur so lange unentdeckt bleiben, weil eine ganze Reihe deutscher Institutionen ihren Job nicht richtig gemacht hat.
Die Wirtschaftsprüfer
Vermutlich hatte die Firma EY die besten Chancen, den Betrug rechtzeitig zu erkennen. Die Wirtschaftsprüfer waren seit 2009 damit beauftragt, die Bilanz von Wirecard abzunehmen. Wirtschaftsprüfer haben genau eine Aufgabe: Sie sollen bescheinigen („testieren“), dass das Zahlenwerk des untersuchten Unternehmens stimmt. Manager von EY haben sich vor dem Ausschuss damit herausgeredet, dass Wirecard mit krimineller Energie agiert und sogar gefälschte Bankdokumente vorgelegt hat.
Das ist nach derzeitiger Kenntnis auch richtig. Ein Wirtschaftsprüfer ist kein Detektiv, der jedem Beleg nachforschen muss. Zugleich ist klar: EY hat sich jahrelang allzu leicht hinters Licht führen lassen. Selbst dann, als schon überall Alarmsignale angingen, akzeptierte EY noch angebliche Bankbestätigungen von halbseidenen Geschäftsleuten aus Asien als Beleg für die Existenz des Löwenanteils des Wirecard-Kapitals. Denn das Unternehmen lagerte ein vermeintliches Vermögen von 1,9 Milliarden Euro nicht etwa bei einer verlässlichen Partnerbank in der EU, sondern bei wechselnden Treuhändern in Fernost. EY nahm ebenfalls nicht wahr, dass die Transaktionsdaten der Tochterfirma in Dubai, die angeblich die riesigen Gewinne erzeugte, am Computer zusammengeklickt waren.
Der Aufsichtsrat
Diese ehrwürdige Institution des deutschen Wirtschaftslebens soll Skandale wie Wirecard eigentlich verhindern – und zwar im Tandem mit den Wirtschaftsprüfern. Doch Aufsichtsratsposten gelten eben auch als leicht verdientes Geld. Typischerweise gibt es dort über 300 000 Euro für vier Sitzungen im Jahr. Wer will so eine Einkommensquelle riskieren, indem er allzu unbequeme Fragen an das Management stellt?
Die Wirecard-Aufsichtsräte jedenfalls nicht. Wer Zweifel hatte, trat dort stattdessen zurück und überließ das Problem anderen. Als Mitte 2019 mit Thomas Eichelmann ein engagierter Finanzprofi in die Runde aufrückte, war das denn auch der Anfang vom Ende von Wirecard. Er bestand darauf, die Abschlüsse von einem konkurrierenden Wirtschaftsprüfer doppelt checken zu lassen.
Die Bafin
Im Untersuchungsausschuss des Bundestags bekam die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die meiste Kritik ab. Die Bafin hat zwar formal ihre Arbeit gemacht, doch sie hat an den wahren Erfordernissen einer wirksam Finanzaufsicht eifrig vorbeigearbeitet. Das fing mit der Einstufung von Wirecard als Technikfirma an: Die Bafin ist für Banken und Versicherer zuständig, doch die Wirecard AG war weder das eine noch das andere.
Als sich dann im Jahr 2019 Berichte über Unregelmäßigkeiten häuften, reihten die Verantwortlichen zudem Fehler an Fehler. Sie übertrugen eine Sonderprüfung an einen privaten Verein, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR). Die DPR wiederum hatte weder das Personal noch die Zeit für eine tiefgehende Prüfung. Richtig schlimm war aber die Verhängung eines sogenannten Leeverkaufsverbots für die Wirecard-Aktie. Dabei handelte es sich um einen staatlichen Freispruch, um eine Vertrauenserklärung. Denn ein Leerverkaufsverbot untersagt es Anlegern, auf Kursverluste zu setzen. Die Botschaft der Bafin lautete daher: Finstere Mächte verbreiten Lügen über Wirecard, in Wirklichkeit ist alles in Ordnung.
Die Politik
Die Bundeskanzlerin machte sich im September 2019 gegenüber der chinesischen Regierung für einen Markteintritt Wirecards stark. Türöffner für den Zugang zu Angela Merkel war Lobbyist Karl-Theodor zu Guttenberg, einst Minister unter Merkel. Der Baron mit den guten Kontakten hat im Rahmen eines hochbezahlten Auftrags bei Politikern für Wirecard geworden. Für das Finanzministerium schrieb zu Guttenbergs Firma einen Brief an die chinesische Regierung vor, in dem Deutschland um Vorteile für Wirecard bittet. Die Mitarbeiter der höchsten deutschen Regierungsstellen ließen sich nie durch den ständigen Strom kritischer Berichte irritieren, die über Wirecard erschienen. Es war seit 2008 von „Eigenartigkeiten“ bei Wirecard die Rede, von „Schmuddelgeschichten und dubiosen Deals“, von einem „irreführenden Jahresabschluss“ oder später vom „House of Wirecard“, das jederzeit zusammenbrechen könne.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-wirtschaft-wer-bei-wirecard-alles-versagt-hat-_arid,1785457.html