Mannheim. Der Plan schien wasserdicht. Als Rosemarie Berthold beschloss, Unternehmerin zu werden und 2019 ein Kreativgeschäft in Mannheim eröffnete, hatte sie vieles richtig gemacht: Ihr Businessplan war solide, die Finanzierung stand. Das Konzept kam bei der Zielgruppe an. Neben Bastelutensilien bot Berthold Workshops für Familien, auch Kindergeburtstage konnten in den 140 Quadratmeter großen Räumen gefeiert werden. „Das hat super funktioniert“, sagt die 40-Jährige.
Dann kam der erste Corona-Lockdown und bremste Berthold jäh aus - wie viele andere Unternehmerinnen und Unternehmer. Neben der Zwangsschließung ihres Geschäfts stand die Mannheimerin aber vor einem weiteren Problem: Die Betreuung ihrer beiden Töchter im Kindergarten und bei der Tagesmutter brach weg. „Anspruch auf einen Notbetreuungsplatz hatten wir im ersten Lockdown nicht, weil ich meinen Laden nicht öffnen durfte.“
Bis Mitternacht im Laden
Dabei bedeutete ein geschlossenes Geschäft nicht, dass es für die Unternehmerin nichts mehr zu tun gab. Um ihren jungen Betrieb am Laufen zu halten, stellte Berthold auf Onlinehandel um, packte Bastelpakete zusammen und verschickte sie. „Tagsüber hatte ich dafür keine Zeit, weil ich mich um die Kinder gekümmert habe. Dafür stand ich dann oft bis Mitternacht im Laden.“
Auch heute, nach fast zwei Jahren Pandemie, ist für die Unternehmerin keine Normalität zurückgekehrt. Vor Corona nahm Berthold ihre Töchter nachmittags, wenn sie sie aus der Betreuung geholt hatte, mit in den Laden. Seit der Pandemie sei das nicht mehr möglich: „Kinder in dem Alter halten keinen Abstand, manche Kunden und Kundinnen würden sich vielleicht unsicher fühlen.“ Berthold hat deshalb ihre Öffnungszeiten reduziert. Nur an einem Nachmittag, an dem ihr Mann sich um die Kinder kümmert, hat sie ganztags auf. Auch das Workshop-Programm ist stark eingebrochen. Ab Januar reduziert Berthold ihre Ladenfläche und konzentriert sich auf den Verkauf.
„Die Corona-Krise hat viele Gründerinnen stark ausgebremst und ihre strukturelle Benachteiligung noch sichtbarer gemacht“, sagt Lena Rübelmann, die das Mannheimer Gründerinnenzentrum GIG7 leitet.
Eines der Kernprobleme: die immer noch weit verbreitete, klassische Rollenverteilung in vielen Familien. Sie hat sich in der Pandemie bekanntermaßen besonders gezeigt und auf Gründerinnen fatal ausgewirkt. Homeschooling, geschlossene Kitas, Quarantäne - oft waren es die Mütter, die den Großteil davon aufgefangen haben.
Entsprechend weniger Zeit blieb für ihr Business, wie die Studie Female Founders Monitor 2020 gezeigt hat: 60 Prozent der Gründerinnen mit Kind gaben an, dass sie ihre Arbeitszeit für die Firma in der Pandemie deutlich reduzieren mussten. Die Folgen wirken bis heute: Die Kapitalsituation vieler Gründerinnen habe sich teils drastisch verschlechtert, viele mussten ihr Geschäft verkleinern oder angemietete Räume aufgeben, sagt Rübelmann. Dazu komme die Doppelbelastung: „Sie hat wirtschaftliche Folgen für die Frauen, es ist wichtig, das klar zu sagen. Wir merken in den Gesprächen: Viele Frauen sind tief erschöpft.“
Rübelmanns Sorge ist, dass sich die klassischen Rollenbilder in der Pandemie weiter gefestigt haben. Denn genau die seien eine der Wurzeln für die existierende, strukturelle Benachteiligung. Das zeige sich zum Beispiel in Finanzierungsgesprächen. Rosemarie Berthold erzählt, wie sie in Bankgesprächen gefragt wurde, was sie machen wolle, wenn ihre Kinder krank seien. „Ich bezweifle, dass viele Männer diese Frage beantworten müssen, wenn sie einen Kredit wollen“, sagt sie. „Solche unbewussten Vorurteile sind ein Grund, warum es für Frauen schwerer ist, an eine Finanzierung zu kommen“, bestätigt Rübelmann. Die Mehrheit der Investoren und Banker seien Männer. „Hans investiert statistisch lieber in Hans.“
Themen teilweise belächelt
Ein weiterer Aspekt sei, dass Frauen oft in Branchen gründen würden, die auf den ersten Blick weniger lukrativ erscheinen als Gründungen im Tech-Bereich, hinter denen oft Männer stünden. „Themen wie Kinder, Bildung, Mode oder Beauty werden gesellschaftlich teilweise belächelt, obwohl es da sehr erfolgreiche Geschäftsideen gibt.“ Auch beim Beratungsunternehmen Pro Social Business mit Standorten in Mannheim und Neustadt/Weinstraße hat man beobachtet, dass Corona Gründerinnen ausgebremst hat. „Wir hatten während der Pandemie nur einen geringen Rückgang bei der Beratungsnachfrage - der Anteil der Frauen ist aber deutlich gesunken“, sagt Vorständin Karin Silvestri. „Viele Frauen konnten wegen familiärer Pflichten nicht zur Beratung kommen oder mussten ihre geplante Gründung verschieben.“ In einigen Fällen habe die Umstellung auf digitale Formate geholfen.
Der „Pandemie-Effekt“ spiegelt sich auch im Global Entrepreneurship Monitor wieder, einer Studie des RKW Kompetenzzentrums und der Leibniz Uni Hannover. Dort waren zuletzt 45 Prozent der befragten Gründungsexpertinnen und -experten der Ansicht, dass Frauen und Männer gleiche Chancen haben, ein Unternehmen zu gründen. 2017 waren es noch mehr als 50 Prozent.