Mannheim/Ludwigshafen. Mit einem geschätzten Vermögen von 33 Milliarden Euro gehören die Reimanns zu den reichsten Familien Deutschlands. Die Ursprünge reichen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, als Johann Adam Benckiser und Karl Ludwig Reimann in Ludwigshafen eine Chemiefabrik aufbauten. Heute steht der verschwiegene Industrie-Clan hinter Marken wie „Calgon“ oder „Jacobs-Kaffee“. Nun werden die dunklen Kapitel bekannt – die Reimanns stellen sich ihrer Rolle im Nationalsozialismus. Fragen und Antworten dazu.
Welche Details gibt es mittlerweile?
Nach Recherchen der „Bild am Sonntag“ soll es in den Fabriken und der Privatvilla der Firmen-Patriarchen Albert Reimann sen. und Albert Reimann jun. in Ludwigshafen während der Zeit des Nationalsozialismus (NS, 1933 bis 1945) zu Gewalt und Missbrauch an Zwangsarbeitern gekommen sein. Auch sollen die beiden Unternehmer überzeugte Nationalsozialisten und Antisemiten gewesen sein. Als Zeit des Nationalsozialismus wird die Regierungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im Deutschen Reich unter Adolf Hitler bezeichnet. In der Diktatur wurden politisch Andersdenkende, Regimegegner sowie religiöse Gruppen verfolgt und getötet. Unter den Begriff Holocaust fällt die Ermordung von etwa sechs Millionen europäischer Juden.
Auf was beruft sich denn die Zeitung?
Die „Bild am Sonntag“ stützt sich auf bisher unveröffentlichte Dokumente aus deutschen Archiven. Demnach zeigen Schriftstücke auch, dass die Reimanns schon 1931 Geld an die Schutzstaffel (SS) gespendet hätten. An Heinrich Himmler, der als Reichsführer SS den Holocaust organisierte, habe Albert Reimann jun. am 1. Juli 1937 geschrieben: „Wir sind ein über hundertjähriges, rein arisches Familienunternehmen. Die Inhaber sind unbedingte Anhänger der Rassenlehre.“
Wie reagiert die Familie auf die bisherigen Recherchen?
Unabhängig von den Nachforschungen der Zeitung hatte die Familie schon länger einen Wirtschaftshistoriker beauftragt. Paul Erker von der Universität München habe vor wenigen Wochen vier Reimann-Kindern, einem Reimann-Enkel sowie ihm einen Zwischenstand der Recherche präsentiert, sagt Peter Harf der „Bild am Sonntag“. Harf ist Vertrauter der Familie. „Als Professor Erker berichtet hat, waren wir sprachlos. Wir haben uns geschämt und waren weiß wie die Wand. Da gibt es nichts zu beschönigen. Diese Verbrechen sind widerlich.“
Warum arbeiten die Reimanns ihre Geschichte im Nationalsozialismus erst jetzt auf?
„Es gab lange keinen Anlass zu glauben, dass es so schlimm ist“, erklärt eine Sprecherin der Familie dieser Zeitung. 1978 wurde die offizielle Benckiser-Chronik veröffentlicht. Harf wird dazu in der „Bild am Sonntag“ zitiert: „Hier wurde die NS-Geschichte vernebelt dargestellt. (...) Aber letztlich war unser Stand damals: Es gab Unternehmen, bei denen schlimmere Dinge gelaufen sind als bei uns.“ Die Reimann-Kinder hätten in den 2000er Jahren angefangen, in Dokumenten ihres Vaters zu stöbern und sie zu lesen. Anfang 2014 sei entschieden worden, die Reimann-Geschichte vollständig und unabhängig aufarbeiten zu lassen.
Was soll nun als Nächstes passieren?
Harf kündigt an, dass die Familie zehn Millionen Euro an eine „passende Organisation“ spenden will. An welche, ist noch nicht entschieden. Die Ergebnisse der Studie zur NS-Firmengeschichte sollen frühestens 2020 vorgelegt werden. Nach Angaben der Sprecherin befinden sich die Quellen – verschiedene Archive – unter anderem in Speyer, Berlin und Washington (USA). Wenn diese nicht öffentlich zugänglich sind, müssen zuerst Anträge gestellt werden.
In welchen Geschäftsfeldern ist die Familie tätig?
Die Familie ist über ihre weltweit tätige Holding – also einer Dachgesellschaft, die Kapitalbeteiligungen an anderen Unternehmen hält – am Konsumgüterkonzern Reckitt Benckiser („Clearasil“, „Kukident“, „Calgon“) beteiligt. Zum Portfolio gehört auch der US-Kosmetikkonzern Coty (Parfümmarken wie „Calvin Klein“ oder „Gucci“). In den vergangenen Jahren hatte die JAB Holding, die mit einem Büro in Mannheim vertreten ist, Milliardensummen in Zukäufe im Lebensmittelgeschäft gesteckt. Auch im Kaffeemarkt mischt die Familie kräftig mit. (mit dpa)
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